Nach der Abgasaffäre müssen sich Volkswagen und Porsche mit Klagen vieler Aktionäre auseinandersetzen – und zwar jeweils an ihrem Unternehmenssitz, wie das OLG Braunschweig im Musterverfahren nun entschied.
Kapitalanleger müssen ihre Ansprüche in der VW-Dieselaffäre nach Auffassung des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig am Standort des jeweiligen Herstellers einklagen. Das Gericht hält es nicht für möglich, sämtliche Klageverfahren in der Sache an einem Ort zu bündeln. Für Schadenersatzansprüche gegen die Volkswagen AG sei damit ausschließlich das Landgericht (LG) Braunschweig zuständig, für Ansprüche gegen VW-Hauptaktionär Porsche SE hingegen das LG Stuttgart, teilte der zuständige Zivilsenat am Montag mit (Beschl. v. 12.08.2019, Az. 3 Kap 1/16).
Die beiden Unternehmen sind Musterbeklagte in dem Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), bei dem VW-Investoren Schadenersatz in Milliardenhöhe für erlittene Kursverluste nach Bekanntwerden des Dieselbetrugs fordern. Im Kern geht es um die Frage, ob die Märkte rechtzeitig über den Skandal um Millionen von manipulierten Dieselmotoren informiert wurden. Musterklägerin ist die Deka Investment.
Grundsätzlich ist der deutsche Zivilprozess davon geprägt, dass sich zwei Parteien gegenüber stehen. Hiervon macht das KapMuG eine Ausnahme. Es ermöglicht eine "Bündelung" von Parallelverfahren und deren einheitliche Entscheidung im Musterverfahren.
Erster Teil-Musterentscheid in der Geschichte des KapMuG
Mit dem Beschluss hat das OLG Braunschweig den ersten Teil-Musterentscheid in der Geschichte des seit 2005 existenten KapMuG getroffen. Der 6. Zivilsenat hat damit die Frage geklärt, an welchem LG die Anleger ihre Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal geltend machen müssen. Das OLG entscheidet in der Sache nur über die Musterklage, ihre jeweiligen Ansprüche müssen die Beteiligten aber später selbst vor den LG geltend machen, für die die Feststellungen aus dem Musterverfahren bindend sind. Im Rahmen dessen entscheidet das OLG eben auch über die Zuständigkeit der LG.
In Rede stand nun, ob die gesetzlichen Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit – unter anderem der § 32b ZPO* – es zulassen, sämtliche Klageverfahren wegen Schäden von Anlegern bei einem Ausgangsgericht, also entweder dem LG Braunschweig oder dem LG Stuttgart, zu bündeln.
Diese Frage ist höchst umstritten, VW und Porsche vertraten dazu unterschiedliche Auffassungen, ebenso die Deka. Das OLG Braunschweig hat eine Verfahrensbündelung mit der heutigen Entscheidung verneint und begründet dies mit dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitsvorschrift.
OLG: Gericht am Unternehmenssitz ist ausschließlich zuständig
Der Gesetzgeber hat mit § 32b ZPO* eine ausschließliche Zuständigkeit bei Schadensersatzklagen wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen geschaffen. Danach ist in solchen Fällen "das Gericht ausschließlich am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft zuständig".
Nach Ansicht des Senats hat der Gesetzgeber dabei die "Sach- und Beweisnähe vor Augen gehabt" und die Zuständigkeit deswegen auf den Unternehmenssitz konzentriert. Denn bei irreführenden Kapitalmarktinformationen müsse stets auf Unternehmensdaten und die verlautbarten Ad-hoc-Mitteilungen am Sitz des Unternehmens zurückgegriffen werden. Darüber hinaus solle die Regelung verhindern, dass die Zuständigkeit aufgrund verschiedener Gerichtsstände zersplittert werde. Dieses gesetzgeberische Ziel werde aber erreicht, wenn jeweils das Gericht am Sitz des Unternehmens ausschließlich zuständig sei, dem eine Verletzung seiner Informationspflichten vorgeworfen werde, heißt es in dem Beschluss aus Braunschweig.
Eine inhaltliche Entscheidung, ob VW und Porsche den Anlegern haften, ist mit dem heutigen Teilmusterentscheid allerdings nicht verbunden.
Rechtsbeschwerde zum BGH ist wahrscheinlich
"Ungeachtet der heutigen Entscheidung ist Volkswagen weiterhin der Auffassung, dass das sach- und beweisnächste Gericht über alle angeblichen Ansprüche der Kläger entscheiden sollte", sagte ein VW-Sprecher. Aus Sicht von Volkswagen wird die Dieselthematik künstlich aufgespalten, wenn nach Abschluss des Braunschweiger Musterverfahrens in Stuttgart weiterverhandelt werden müsste. Daher werde man die genaue Begründung des Entscheides prüfen. "Volkswagen wird sich jedenfalls weiterhin mit allen rechtlichen Mitteln gegen die unberechtigten Forderungen zur Wehr setzen", kündigte der Unternehmenssprecher an.
Verhandelt wird seit fast einem Jahr. Gegen den Teilentscheid ist nun die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) möglich. Klägervertreter Andreas Tilp geht "fest davon aus", dass das Rechtsmittel auch zum Einsatz kommt. Denn die entschiedenen und vom OLG aufgeworfenen Fragen seien zu umstritten und von extremer praktischer Bedeutung, eine höchstrichterliche Klärung sei daher dringend erforderlich, sagte der der Tübinger Rechtsanwalt der TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.
Mögliche Beschwerden behindern die Fortsetzung des Verfahrens nach Angaben des Gerichts nicht. Nächster Termin ist der 21. Oktober, an dem sich der Senat auch wieder den inhaltlichen Haftungsfragen zuwenden will.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
*Korrektur am Tag nach Veröffentlichung
OLG Braunschweig im Kapitalanleger-Musterverfahren: . In: Legal Tribune Online, 12.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37003 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag