Justiz in Neubrandenburg: Ver­fahren gegen SS-Sani­täter Zafke vor der Ein­stel­lung

31.08.2017

Das Verfahren gegen den früheren SS-Sanitäter Hubert Zafke muss wegen der Verhandlungsunfähigkeit des 97-Jährigen eingestellt werden. Der Prozess hatte sich immer wieder verzögert. Nun wird gegen die Richter ermittelt - wegen Rechtsbeugung.

Der Neubrandenburger NS-Prozess steht vor dem Ende: Die Staatsanwaltschaft hat die Einstellung des Verfahrens gegen einen früheren SS-Sanitäter am Landgericht (LG) Neubrandenburg beantragt. Der 96-Jährige sei wegen Demenz verhandlungsunfähig, erklärte ein Sprecher der Anklagebehörde am Donnerstag in Schwerin.

Die Demenz-Erkrankung des Mannes habe einen Grad erreicht, der es ihm nicht mehr erlaube, seine Interessen wahrzunehmen und Prozesserklärungen "in verständiger und verständlicher Weise" entgegenzunehmen oder abzugeben. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft verwies auf ein psychiatrisches Gutachten vom März sowie auf im Juli eingeholte Stellungnahmen von Sachverständigen auf Antrag der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger.

Der 96-Jährige wird beschuldigt, Beihilfe zum Mord in 3.681 Fällen geleistet zu haben. Er war 1944 einen Monat im KZ Auschwitz-Birkenau als SS-Sanitäter tätig - nach Angaben seiner Verteidigung in der Betreuung von KZ-Personal. In der Zeit wurden mindestens 3681 Menschen aus Deportationszügen unmittelbar in Gaskammern umgebracht. Die Anklage wirft dem 96-Jährigen vor, sich in die Lagerorganisation eingefügt und so die Vernichtung von Leben befördert zu haben.

Anwälte werfen Richtern Rechtsbeugung vor

Der Prozess hatte im November 2015 begonnen. Die Anschuldigungen gegen Zafke gerieten jedoch schnell in den Hintergrund. Grund dafür waren Streitigkeiten über die Nebenklageberechtigung der Brüder Walter und William Plywaski. Deren Mutter Regina Plywaski war in dem KZ Ausschwitz zu der Zeit ermordet worden, als laut Anklageschrift auch Zafke dort tätig war. Das Oberlandesgericht (OLG) Rostock stellte die Berechtigung zur Nebenklage insgesamt dreimal fest, zum ersten Mal bei Prozessbeginn 2015.

Die Schwurgerichtskammer des LG widerrief die Nebenklageberechtigung Anfang 2016 wieder. Auf die daraufhin eingelegte Beschwerde hob das OLG diese Entscheidung auf. In der Folge ließ das LG Neubrandenburg zunächst neben Walter auch dessen Bruder William Plywaski als Nebenkläger zu. Anfang 2017 sprachen die Richter dann schließlich beiden Brüdern die Nebenklageberechtigung wieder ab.

Sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Anklageschrift keinen Tatvorwurf umfasse, der im Zusammenhang mit der Ermordung von Regina Plywaski stehe. Damit legten sie eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im viel diskutierten Fall Gröning anders als die Karlsruher Richter aus. Sowohl die Nebenklagevertreter als auch die Staatsanwaltschaft stellten daraufhin Befangenheitsanträge gegen die drei Richter. Das LG gab allen drei Befangenheitsanträgen statt.

Thomas Walther, Anwalt eines der Nebenkläger, hatte deshalb Anzeige wegen Rechtsbeugung gegen den vorsitzenden Richter Klaus Kabisch erstattet. Prof. Cornelius Nestler, Anwalt des zweiten Nebenklägers, hat Kabisch zudem wegen Beleidigung angezeigt. Die Beweisaufnahme mit dem Ziel, über Zafkes Tatbeteiligung und Schuld zu befinden, hätte nach Auffassung der Anwälte im Februar 2016 stattfinden können und müssen. "Eine deutsche Justizposse hat nun als Tragödie ein Ende gefunden. Zurück bleiben Nebenkläger mit neuen Wunden aus Neubrandenburg, die genauso wenig heilen werden wie die Wunden, die ihnen als verfolgte Juden im Holocaust vor über sieben Jahrzehnten zugefügt wurden.", so die Anwälte in einer gemeinsamen Mitteilung.

acr/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Justiz in Neubrandenburg: . In: Legal Tribune Online, 31.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24229 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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