Nach 337 Verhandlungstagen ist die Frage der Strafbarkeit noch immer nicht geklärt. Dennoch stellt das Koblenzer LG einen der größten Neonazi-Prozesse in Deutschland ein. Der Grund: Die überlange Verfahrensdauer sei ein Verfahrenshindernis.
Das Landgericht (LG) Koblenz hat einen der umfangreichsten Neonazi-Prozesse in Deutschland nach mehr als 300 Verhandlungstagen eingestellt. Das Gericht begründete diesen Beschluss am Dienstag mit dem "Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer" von fast fünf Jahren (Beschl. v. 29.05.2017, Az. 12 Kls – 2090 Js 29752/10).
Schon vor etwa einem Monat hatte es die Hauptverhandlung vorläufig ausgesetzt, weil der Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen mit Erreichen der Altersgrenze Ende Juni zwingend aus dem Dienst scheide und ein Prozessende bis dahin auszuschließen sei. Weil der einzige Ergänzungsrichter schon vor Längerem für einen anderen Pensionsfall der Staatsschutzkammer hatte einspringen müssen, wurde die Hauptverhandlung somit gemäß § 228 Absatz 1 Satz 1, 1. Alt. Strafprozessordnung (StPO) ausgesetzt.
Das Verfahren zu Straftaten aus dem Umkreis der mutmaßlich rechtsextremen Organisation Aktionsbüro Mittelrhein hatte im Sommer 2012 gegen ursprünglich 26 Personen begonnen, zuletzt waren es noch 17 Angeklagte. Die fast 1000-seitige Anklage lautete auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung.
Geprägt wurden die Verhandlungen von eigenartigen Momenten: Einer der 34 Verteidiger trug einen Antrag in Reimform vor, Stinkbomben erzwangen eine Saalräumung und ein Schöffe schied aus dem Verfahren aus, weil er der Anklage vor Weihnachten Schokoladen-Nikoläuse auf den Tisch gestellt hatte.
Entschädigungen und Straflosigkeit sind das Ergebnis
Nun endet der Prozess vorerst. Das Hindernis, welches zur Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO führt, ergebe sich aus Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz, so die Richter. Das Verfahren habe sich zu lang hingezogen.
Die Kammer hat weiterhin beschlossen, dass zwei Angeklagte für die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen sind. Sie hätten nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme mit einem Freispruch rechnen dürfen, so die Richter. Die Staatskasse habe daher die notwendigen Auslagen der beiden zu tragen.
Für die übrigen Angeklagten gilt das nicht. Sie hätten die Strafverfolgungsmaßnahmen grob fahrlässig verursacht – und müssten ihre notwendigen Auslagen daher selber tragen. Zudem sei auch nach der bisher durchgeführten Hauptverhandlung ein erheblicher Tatverdacht gegen sie verblieben. Zwar ohne Entschädigung, aber straflos verlassen damit die verbliebenen 15 Angeklagten nach fünf Jahren den Gerichtssaal.
Der am Dienstag ergangene Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Sollten Rechtsmittel eingelegt werden, entscheidet das Oberlandesgericht Koblenz über diese.
nas/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
Wegen überlanger Dauer: . In: Legal Tribune Online, 30.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23064 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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