Gegen eine Richterin auf Probe aus Thüringen hat das LG Gera die Anklage wegen Rechtsbeugung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Frau hatte in einem Verfahren ihres eigenen Vaters entschieden.
Ein Jahr und neun Monate nach Erhebung hat das Landgericht (LG) Gera die Anklage gegen eine Proberichterin wegen des Verdachts der Rechtsbeugung gem. § 339 Strafgesetzbuch (StGB) zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet, wie jetzt bekannt wurde (Beschl. v. 16.05.2023, Az. 11 KLs 542 Js 23378/20). Terminiert hat die zuständige 11. Strafkammer des Gerichts in Thüringen in dem Verfahren allerdings noch nicht. Dies sei " derzeit auch noch nicht absehbar", teilte die Pressesprecherin des LG Gera auf Anfrage von LTO mit.
Dies ist – neben dem laufenden Strafverfahren gegen einen Familienrichter vom Amtsgericht (AG) Weimar – ein weiterer Fall aus der Corona-Pandemie, in dem gegen eine Richterin wegen des Verdachts der Begehung einer Straftat verhandelt werden wird. In dem vorliegenden Fall hatte die Frau während ihres Bereitschaftsdienstes eine Entscheidung zugunsten ihres Vates getroffen. Der war zu der Zeit Pfarrer in Thüringen gewesen und hatte ein Gemeindemitglied in einem Pflegeheim besuchen wollen. Das ließ die damals noch geltende Corona-Schutzverordnung (ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO) allerdings nicht zu.
Kurzerhand entschied die damalige Richterin auf Probe auf Antrag ihres Vaters, dass das Pflegeheim ihm jederzeit Zutritt gewähren müsse (AG Jena, Beschl. v. 14.04.2020, Az. 26 AR (BD) 24/20). Sie hätte den Fall auch der mit ihr Dienst habenden Kollegin übergeben können – das tat sie aber nicht, obwohl man im Richteramt in Fällen von Verwandten in gerader Linie gerade nicht tätig werden darf, § 41 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO).
Selbstanzeigen verzögern Prüfung der Anklage
Die zuständige Staatsanwaltschaft Erfurt nahm daraufhin die Ermittlungen auf und erhob am 31. August 2021 Anklage gegen die Richterin. Über deren Zulassung musste das LG Gera entscheiden. Dort allerdings hatten mehrere Richter:innen Selbstanzeigen erstattet, über die zunächst zu entscheiden war. Wie viele Selbstanzeigen es gab, wer und warum diese erstattet wurden und wann sie beschieden wurden, bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht mitteilen. Die Akte liege beim Vorsitzenden Richter, teilte die Pressestelle als Begründung mit.
Neben den strafrechtlichen Ermittlungen wurde auch der damalige Präsident des LG Gera aktiv (die Position wurde Ende des Jahres 2021 mit Dr. Götz Herrmann neu besetzt). Der frühere leitete noch im April 2020 ein Disziplinarverfahren gegen die Frau ein, nachdem er von dem verwandtschaftlichen Verhältnis zwischen dem Pfarrer und der Richterin erfahren hatte.
Ministerium im Urlaubsmodus
Schließlich erließ das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz (TMMJV) im März 2021 den Bescheid über die Entlassung der Richterin aus dem Dienst zum 30. April 2021 und ordnete die sofortige Vollziehung an. Auf deren Widerspruch hin stellte das LG Meiningen als Richterdienstgericht im Mai 2021 die aufschiebende Wirkung wieder her.
Dagegen legte wiederum das Ministerium Beschwerde ein, der Dienstgerichtshof entschied im Dezember 2021 (Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 15.12.2021, Az. DGH W 1/21): Es blieb bei der sofortigen Vollziehung, die Frau musste sofort aus dem Richterdienst ausscheiden. Die Frau erhob Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) allerdings nicht zur Entscheidung annahm (Beschl. v. 09.03.2022, Az. 2 BvR 91/22).
Ob über die Entlassung in der Hauptsache inzwischen entschieden ist, konnte das TMMJV auf LTO-Anfrage nicht beantworten, es verwies zur Begründung auf die andauernde Ferienzeit.
Proberichterin in Thüringen: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52380 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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