Staatsanwaltschaft nimmt Revision zurück: Frei­spruch für Anwalt von erfun­denem NSU-Opfer rechts­kräftig

10.06.2021

Er habe "so ziemlich gegen alle anwaltlichen Sorgfaltspflichten verstoßen", strafbar habe er sich aber nicht gemacht. Nun ist der Freispruch für den Anwalt eines erfundenen NSU-Opfers rechtskräftig.

Der Freispruch für den Anwalt eines erfundenen NSU-Opfers ist rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft habe die Revision zurückgenommen, teilte ein Sprecher des Aachener Landgerichts am Mittwoch mit. Das Gericht hatte den Mann am 30. November vergangenen Jahres vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft in Aachen hatte eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung gefordert.

Der Anwalt Ralph W. aus Eschweiler bei Aachen hat im sog. NSU-Prozess mehr als zwei Jahre lang eine angebliche Geschädigte des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertreten, die tatsächlich nie existiert hat. Er hat dabei Atteste vorgelegt, die gefälscht waren, und für die Nebenklagevertretung insgesamt über 211.000 Euro für Gebühren, Kosten und Auslagen erhalten. Das Geld muss er zurückzahlen.

Auch im Loveparade-Prozess vor dem LG Duisburg wollte W. sich als Nebenklagevertreter für einen Geschädigten bestellen lassen, bezahlen sollte auch hierfür der Staat. In gleich zwei Fällen war er angeklagt. Einmal, weil er gefälschte Atteste vorgelegt hatte und keinen Nachweis darüber erbringen konnte, dass sein Mandant überhaupt unter Nachwirkungen der Katastrophe in Duisburg litt. Ein anderes Mal, weil er eine Mandantin, die ihn beauftragt hatte, an den bekannten Kölner Strafverteidiger Mustafa Kaplan übertragen haben soll.

Nachlässig, aber nicht strafbar

Aus Sicht der Aachener Strafkammer reichte es in keinem der Fälle für die erforderliche richterliche Überzeugung, dass der Angeklagte schuldig ist. "Für die Bestrafung der Handlungen des Angeklagten war die Strafkammer nicht die richtige Instanz", sagte die vorsitzende Richterin bei der Urteilsverkündung im November 2020. W. habe gegen "so ziemlich alle anwaltsrechtlichen Vorschriften verstoßen, die man sich denken kann. Aber dafür ist nicht die Strafkammer zuständig." Nach Auffassung des Landgerichts hatte der angeklagte Jurist zwar nachlässig gehandelt, sei bis zuletzt aber gutgläubig gewesen – und könne deshalb strafrechtlich nicht belangt werden.

Ralph W. sah sich im Prozess hingegen selbst als Opfer eines Betrugs. Sein Verteidiger Peter Nickel sagte bei den Verhandlungen in Aachen, sein Mandant sei von einem Mann, der bei dem Anschlag tatsächlich verletzt wurde, getäuscht worden. In seinem mehr als dreistündigen Plädoyer erklärte er, sein Mandant habe dem inzwischen gestorbenen Anschlagsopfer geglaubt. Der Mann habe den Kontakt zu dem angeblichen Opfer gehalten und dafür eine Provision von Ralph W. verlangt. Sein Mandant habe sich darauf eingelassen, weil er an dem "historisch bedeutsamen Prozess" teilnehmen wollte, sagte Nickel.

Über fünf Jahre waren am Oberlandesgericht München die rassistischen Morde des sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt worden. 2018 wurde Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Staatsanwaltschaft nimmt Revision zurück: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45171 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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