Vorlage an Bundesverfassungsgericht: Amts­richter hält Kin­derpor­no­gra­phie-Norm für ver­fas­sungs­widrig

10.10.2022

Verfahren wegen des Besitzes von Kinderpornographie können nach einer Gesetzesänderung nicht mehr eingestellt werden. Die Strafverfolgung trifft oft die Falschen. Ein Amtsrichter will die Strafnorm nach einem SZ-Bericht nicht anwenden.

Der Münchener Amtsrichter Robert Grain hält die Neuregelung für die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornographie, § 184 Strafgesetzbuch (StGB), für verfassungswidrig und hat deshalb ein konkretes Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angestrengt. Das berichtet die SZ.

Hintergrund ist die vor einem Jahr in Kraft getretene umstrittene Strafrechtsverschärfung. Seitdem haben sämtliche Tatvarianten des § 184b StGB eine Mindeststrafbarkeit von einem Jahr, wenn die Inhalte ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Die Ausnahmen sind eng. Nur wenn die Tathandlungen mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben oder dienstlichen und beruflichen Pflichten in Zusammenhang stehen, entfällt die Strafbarkeit.

Die Mindeststrafe von einem Jahr und damit die Einstufung als Verbrechen (§ 12 Abs. 1 S. 1) führt dazu, dass die Staatsanwaltschaft Verfahren nicht mehr wegen Geringfügigkeit einstellen (§ 153 StPO) oder von Strafverfolgung unter Auflagen oder Weisungen absehen kann (§ 153a StPO). 

Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft bei Personen, die Bilder besitzen oder verbreiten, ohne im Verdacht zu stehen, selbst Konsument zu sein oder solche Inhalte deliktstypisch zu verbreiten, Verfahren regelmäßig eingestellt. Solche Fälle betreffen etwa Eltern, die entsprechende Fotos auf den Handys ihrer Kinder gefunden haben und an andere Eltern der Schulklasse zur Warnung oder Prüfung weiterschicken oder Lehrer, die derartige Bilder bei Schülern finden und sichern. Selbst Belästigungsopfer können sich jetzt strafbar machen, wenn sie Fotos nicht sofort löschen, die ihnen ein Täter zugesandt hatte.

Staatsanwälte müssen Gesetz anwenden

Dass Belästigungsopfer nun wegen zu langsamer Löschung von Bildern vor Gericht stehen und ihnen eine Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis droht, sofern keine Möglichkeit der Bewährung besteht, sorgt bei vielen Staatsanwälten für Unmut. "Wir halten uns natürlich an das, was der Gesetzgeber verlangt, aber was wir hier machen müssen, das liegt den Kollegen auf der Seele - und mir auch", teilt der Hamburger Oberstaatsanwalt Michael Abel der SZ (Annette Ramelsberger) mit. Das neue Gesetz führe zu einer Schwemme von unnötigen Strafverfolgungsfällen auf seinem Schreibtisch, die ihn ratlos und traurig machten. Auch Eltern, die Nacktbilder ihres eigenen Nachwuchses auf dem Handy speichern, können betroffen sein.

Robert Grain, Richter am Amtsgericht München, hält die nun fehlende Einstellungsmöglichkeit für verfassungswidrig. Er hat es dem BVerfG zur Prüfung im Wege der konkreten Normenkontrolle vorgelegt (Art. 100 Abs. 1 GG). Dem Verfahren liegt laut SZ ein Fall zugrunde, in dem ein Kind ein Nacktbild an ein anderes Kind versandte und die Mutter dieses zur Warnung an weitere Eltern schickte. Laut SZ kritisiert Grain unter anderem das Missverhältnis zur Strafandrohung von krassen Bildern mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern durch Tiere oder Folter, wo nur eine Höchsstrafe von fünf Jahren drohe. Bis zur Klärung der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ist das Strafverfahren nun ausgesetzt.

Das Bundesverfassungsgericht teilte LTO mit, dass der Antrag unter dem Aktenzeichen 2 BvL 11/22 bereits am 22. Juni 2022 dort eingegangen ist. 

fz/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Vorlage an Bundesverfassungsgericht: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49833 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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