Können Zurückweisungen von schutzsuchenden Ausländern an den EU-Binnengrenzen die Anzahl illegaler Einreisen reduzieren? Womöglich. Aber sie sind rechtswidrig, urteilte der EuGH.
Zurückweisungen von Drittstaatsangehörigen an EU-Binnengrenzen sind regelmäßig rechtswidrig. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden (Urt. v. 21.09.2023, Az. C-143/22 | ADDE). Das Gericht bleibt damit bei seiner bisherigen Entscheidungspraxis (u.a. EuGH, Urt. v. 19.03.2019, Az. C-444/17, Arib).
Die Entscheidung erging auf eine Klage von Vereinigungen aus Frankreich, darunter Asylrechts-Anwälte. Sie wenden sich gegen eine französische Verordnung, über die Drittstaatsangehörigen schon an der Binnengrenze die Einreise nach Frankreich verweigert werden solle. Die Kläger sehen darin einen Verstoß gegen die Rückführungsrichtlinie. Diese ist anwendbar, wenn ein Drittstaatsangehöriger illegal in einen EU-Mitgliedstaat eingereist ist und sich dort illegal aufhält.
"Gegenüber eingereisten Drittstaatsangehörigen muss dann eine Rückkehrentscheidung – also eine Abschiebungsandrohung mit Frist zur freiwilligen Ausreise – ergehen", erklärt Dr. Constantin Hruschka, Senior Researcher am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, der schwerpunktmäßig zum europäischen Asylrecht forscht. Die Person dürfe also an der Grenze nicht direkt ins Nachbarland zurückgeschickt werden. Das gelte selbst dann, wenn die Person eine Gefahr darstellt – in dem Fall könne die Person jedoch inhaftiert werden.
An Binnengrenzen gelten andere Regeln als an EU-Außengrenzen
Der EuGH hat weiter klargestellt, dass an den Binnengrenzen andere Regeln gelten als an den EU-Außengrenzen, weil die Person – anders als an der Außengrenze an der Grenzkontrollstelle – bereits beim Überschreiten der Grenzlinie als eingereist gilt. "Für Deutschland und alle anderen Mitgliedstaaten bedeutet das, dass direkte Zurückweisungen an der Binnengrenze auch dann illegal sind, wenn die Personen kein Asylgesuch stellen", so Hruschka. "Die in der öffentlichen Diskussion immer als Haupteffekt von Binnengrenzkontrollen geschilderte Folge der geringeren Anzahl von Einreisen können also mit diesen Kontrollen nicht rechtmäßig erreicht werden", ergänzt er.
Nach dem Urteil des EuGH darf Drittstaatsangehörigen, die kein Asyl beantragen, die Einreise in die EU aufgrund des Schengener Grenzkodex nur an den EU-Außengrenzen verweigert werden, wenn der betreffende EU-Mitgliedstaat Personen, die er im Zuge der illegalen Einreise aufgreift, vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ausnimmt.
Keine Aushebelung der Rückführungsrichtline: . In: Legal Tribune Online, 21.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52755 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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