Über Kosovos Staatlichkeit wird gestritten. Dass die EU jedoch bereits mit dem Balkanland im Bereich der elektronischen Kommunikation zusammenarbeitet, billigt der EuGH: Es sei kein "Drittland", aber einem solchen gleichzustellen.
Der Beschluss der Europäischen Kommission, eine Beteiligung des Kosovo am Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Zusammenarbeit (GEREK) zuzulassen, ist nichtig. Die Europäische Kommission war für die Entscheidung nicht zuständig. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf eine Nichtigkeitsklage Spaniens hin entschieden und gleichzeitig klargestellt, die Beteiligung des Kosovo am GEREK sei nicht grundsätzlich ausgeschlossen (Urt. v. 17.01.2022, Rs. C-632/20 P).
Zwar sei der Kosovo kein "Drittland" im unionsrechtlichen Sinn, jedoch könne er mit Blick auf das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 22. Juli 2010 mit einem Drittland gleichgestellt werden. 2008 hatte sich der Kosovo einseitig für unabhängig erklärt und der IGH hatte dies für völkerrechtskonform erklärt, ohne jedoch die Frage der Staatlichkeit zu beantworten. Auch innerhalb der EU ist die Frage der Staatlichkeit des Kosovo umstritten: Während 22 Mitgliedsstaaten den Kosovo als unabhängigen Staat anerkennen, weigert sich unter anderem Spanien dagegen.
2016 hatte die Europäische Union mit dem Kosovo ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) geschlossen. Daraufhin erließ die Europäische Kommission im März 2019 einen Beschluss, die nationalen Regulierungsbehörden des Kosovos zur Beteiligung am GEREK zuzulassen, woraufhin Spanien klagte.
Kein Drittland, aber einem solchen gleichgestellt
Spanien hatte sich in seiner – vor dem Europäischen Gericht (EuG) noch erfolglosen – Klage vor allem darauf berufen, der Kosovo sei kein "Drittland" im Sinne der GEREK-Verordnung, könne also nicht beteiligt werden. Denn die Begriffe "Drittland" und "Drittstaat" seien gleichwertig, wenngleich sie einem unterschiedlichen Grad an rechtlicher Förmlichkeit entsprächen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass der Begriff "Drittland" in eine eigenständige Kategorie des Völkerrechts umgewandelt werde, die eine andere Bedeutung habe als im Völkerrecht. Schließlich seien Staaten die Schlüsselsubjekte der internationalen Beziehungen.
Das EuG (Urt. v. 23.09.2020, Rs. T-370/19) hatte das nicht überzeugt: "Drittland" bedeute nicht notwendigerweise auch "Drittstaat". So zeige der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) mit seinen Überschriften zu den Titeln III ("Drittländer") und VI ("internationale Organisationen und Drittländer"), dass sich die internationale Gesellschaft aus verschiedenen Akteuren zusammensetze. Außerdem würden im AEU-Vertrag die beiden Begriffe nebeneinander verwendet, insbesondere in Fragen der Außenbeziehungen werde aber eher der Begriff "Drittland" verwendet.
Dieser Rechtsauffassung hat der EuGH nun eine Absage erteilt. Die unterschiedslose Verwendung von "Drittland" und "Drittstaat" lasse gerade nicht auf einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt schließen. Vielmehr spreche für einheitliche Auslegung auch, dass manche Sprachfassungen nur die Kategorie des "Drittstaats" vorsehen. Allerdings stelle sich die Entscheidung insoweit aus anderen Gründen als richtig dar: Der Kosovo könne einem "Drittland" gleichgestellt werden, ohne gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Nur so könne die praktische Wirksamkeit der GEREK-Verordnung gewährleistet werden. Dies stehe auch im Einklang mit der Rechtsauffassung des IGH, der 2010 vertreten hatte, die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo habe nicht gegen das Völkerrecht verstoßen.
Europäische Kommission nicht zuständig
Dennoch hat der EuGH das Urteil des EuG aufgehoben und den Beschluss der Kommission für nichtig erklärt. Nicht die Europäische Kommission, sondern das GEREK und das GEREK-Büro seien für den Abschluss der Arbeitsvereinbarungen zuständig gewesen.. Der Europäischen Kommission komme insoweit lediglich eine Kontrollfunktion zu.
Die Wirkungen des Beschlusses der Kommission werden jedoch bis zum Inkrafttreten etwaiger neuer Arbeitsvereinbarungen zwischen dem GEREK, dem GEREK-Büro und der nationalen Regulierungsbehörde des Kosovos, maximal aber sechs Monate, aufrechterhalten. So solle eine Beteiligung des Kosovos am GEREK nicht gefährdet werden.
Europäische Integration des Kosovo ungewiss
Der Streit um die Staatlichkeit des Kosovo ist auch ein Hemmnis bei der weiteren europäischen Integration des Westbalkanlandes. So hat der Kosovo im Mai 2022 einen Antrag auf Mitgliedschaft im Europarat gestellt. Im Dezember 2022 folgte dann der Antrag auf Aufnahme in die EU. Die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen gelten als ungewiss – neben Spanien haben auch Rumänien, Griechenland, Zypern und die Slowakei die Eigenstaatlichkeit der Balkan-Republik noch nicht anerkannt.
lm/LTO-Redaktion
EuGH erklärt Kommissionsbeschluss als nichtig: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50799 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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