Wenn ein im Internet gekauftes sperriges Gut mangelhaft ist, kann es sein, dass der Verkäufer ausrücken muss, um den Mangel zu beheben. Macht er das nicht, darf der Verbraucher sofort vom Vertrag zurücktreten, so der EuGH am Donnerstag.
Verbraucher müssen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sperrige oder schwer zu transportierende Produkte, die sie telefonisch oder im Internet gekauft haben, bei Mängeln nicht unbedingt zurücksenden. Wenn mit dem Transport "erhebliche Unannehmlichkeiten" verbunden wären, müssten die Verkäufer sich darum kümmern, erklärten die Luxemburger Richter am Donnerstag (Urt. v. 23.05.2019, Az. C-52/18).
Der Fall, den das EuGH damit entschied, kam aus Deutschland. Ein Mann hatte 2015 telefonisch ein fünf mal sechs Meter großes Partyzelt bestellt. Nach der Lieferung fielen dem Mann jedoch Mängel am Zelt auf. Er informierte den Verkäufer und war der Meinung, dass die Mängel bei ihm zu Hause behoben werden müssten. Eine Rücksendung des Zeltes kam für ihn jedenfalls nicht in Frage. Der Verkäufer weigerte sich, den Wünschen des Verbrauchers nachzukommen, und bestritt die Mängel. Daraufhin wollte der Verbraucher nichts mehr von dem Vertrag wissen und erklärte den Rücktritt. Da Verkäufer und Verbraucher die Frage, wo eventuelle Mängel behoben werden sollten, vertraglich nicht geklärt hatten, landete der Fall vor dem Amtsgericht Norderstedt (AG).
Das Gericht hätte bei seiner Entscheidung wohl auch weniger Probleme gehabt, wenn die gekaufte Ware etwas kleiner gewesen wäre. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH) gilt grundsätzlich, dass der Verbraucher verpflichtet ist, die mangelhafte Ware auf Verlangen an den Verkäufer zurückzusenden, damit dieser die Ware dort auf Mängel überprüfen kann. Dieses "Recht der zweiten Andienung" soll vermeiden, dass der Käufer einer Sache die vollständige Auflösung des Vertrages verlangen kann, ohne dem Verkäufer die Möglichkeiten gegeben zu haben, den Mangel zu beheben.
EuGH: Immer noch eine Frage des Einzelfalles
Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn im Rahmen des Nacherfüllungsverlangens "erhebliche Unannehmlichkeiten" für den Verbraucher entstehen und der Verkäufer sich weigert, selbst aktiv zu werden. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Ware sehr sperrig ist oder zunächst wieder abgebaut werden muss, um sie verschicken zu können. Denn gemäß der europäischen Verbraucherschutzrichtlinie muss der Verbraucher den Verkäufer lediglich über den Mangel informieren und ihm die Sache zum Zwecke eines Nachbesserungsversuches "bereitstellen". Wo er das tun muss, dazu sagt die Richtlinie nichts.
Der EuGH entschied nun, dass bei sperriger Ware der Verkäufer ausrücken muss. Ist der Verkäufer in solchen Fällen nicht bereit, die Sache abzuholen, verletzt er damit seine vertraglichen Pflichten und der Verbraucher ist dann berechtigt, sofort den Rücktritt zu erklären. Maßgeblich bleiben aber immer noch alle Umstände des Einzelfalles. Denn grundsätzlich sei dem Verbraucher ein gewisses Maß an Unannehmlichkeiten durchaus zuzumuten, so der EuGH. Erst ab einer gewissen Schwelle darf die grundsätzlich unterlegene Stellung des Verbrauchers bei der Überprüfung von Mängeln zu Lasten des Verkäufers gehen.
Wenn diese Schwelle aber nicht erreicht ist, ist es Sache des Verbrauchers dafür zu sorgen, dass der Verkäufer die Ware für den Nachbesserungsversuch erhält. Zusätzliche Kosten dürfen dem Verbraucher aber auch dann nicht entstehen, so der EuGH. Die Kosten für den Transport muss dannn immmer noch der Verkäufer tragen.
Einen Vorschuss für diese Transportkosten muss der Verkäufer dem Verbraucher aber nicht gewähren, so die Luxemburger Richter weiter. Eine solche Verpflichtung lasse sich aus der europäischen Richtlinie nicht ableiten. Anders ist das allerdings in Deutschland seit dem 01. Januar 2018. Denn damals wurde der § 475 Abs. 6 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eingefügt, der nunmehr bestimmt, dass den Verkäufer sehrwohl eine Vorschusspflicht trifft.
Für Prof. Dr. Stephan Lorenz, Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität München, ist das keine Überraschung. Denn zum Ort der Nacherfüllung hat sich bereits 2011 der BGH umfangreich geäußert. "Die Vorlage des AG an den EuGH war daher nicht unbedingt erforderlich, ist aber aus Gründen der Rechtssicherheit dennoch begrüßenswert", so Lorenz.
Auch die in Deutschland geltende Vorschussregelung hält Lorenz aus europarechtlicher Sicht für unbedenklich. Denn die Verbraucherschutzrichtlinie stelle lediglich einen Mindestschutz auf. Den Mitgliedstaaten stehe es daher frei, Regelungen zu treffen, die den Schutz des Verbrauchers erweitern.
tik/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
EuGH zum Verbraucherschutz bei Fernabsatzverträgen: . In: Legal Tribune Online, 23.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35557 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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