Hass und Hetze im Netz bekämpfen – das hat sich die Ampelkoalition vorgenommen und am Mittwoch ein Eckpunktepapier für ein Gesetz gegen digitale Gewalt vorgestellt. Es sieht richterliche Accountsperren und Auskunftsrechte vor.
Das Profil von Influencerin Hannah M. auf Instagram wird immer wieder von Accounts aufgesucht, die ihr wiederholt beleidigende und sexistische Kommentare unter ihren geposteten Beiträgen hinterlassen. "Trotz dieser Offenheit und diesem Vertrauen, dass man da in die Welt setzt, gibt es auch immer Menschen, die das missbrauchen", erzählte sie 2021 dem Business Insider. Dagegen sollen Betroffene wie sie nun endlich besser vorgehen können – beispielsweise durch eine richterlich angeordnete Sperrung dieses Accounts. Dieses Instrument ist eines von mehreren Neuerungen, die das Bundesjustizministerium (BMJ) in einem am Mittwoch vorgestellten Eckpunktepapier für ein Gesetz gegen digitale Gewalt vorsieht. Mit neuen Regelungen will die Ampelkoalition wie im Koalitionsvertrag festgelegt Hass und Hetze im Netz bekämpfen. Und bewegt sich damit inhaltlich nah am Ergebnis eines von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) in Auftrag gegebenen Gutachtens vom Institut für Europäisches Medienrecht, das LTO bereits in der vergangenen Woche vorstellte.
Richterliche Accountsperren als Schlüsselinstrument
So sind etwa die richterlich angeordneten Accountsperren auch im Gutachten und nach dem Vorschlag der GFF eine der wesentlichsten Maßnahmen. Das Eckpunktepapier präzisiert die Anordnung für Accountsperren als Anspruch der Betroffenen zum "Schutz gegen notorische Rechtsverletzer" mit konkret formulierten Voraussetzungen. Sie orientieren sich weitgehend an den Voraussetzungen, die auch der Digital Service Act (DSA) für Accountsperren vorsieht.
Zunächst darf eine Inhaltemoderation, also das Löschen von Inhalten, nicht als milderes Mittel ausreichen. Zudem muss eine Widerholungsgefahr für schwerwiegende Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehen. Die Accountsperre müsse darüber hinaus verhältnismäßig sein. Eine Verletzung von Community-Standards, die keine Rechtsverletzung ist, werde daher nicht ausreichen. Auch darf eine Sperre nur zeitlich begrenzt angeordnet werden. Letztlich muss der betroffene Account zuvor auf das Sperrersuchen hingewiesen worden und Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben. Mit diesen Bedingungen soll der mit einer Sperre einhergehende Eingriff in die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein.
Die GFF begrüßt die grundsätzliche Ausarbeitung von Regelungen zu Accountsperren. "Vieles bleibt hier aber noch vage, etwa die genaue Ausgestaltung des Verfahrens. Außerdem beschränkt das Ministerium die neuen Regeln auf schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen: Volksverhetzende Inhalte oder das Verwenden von Hakenkreuzen, die keine Individuen in ihren Rechten verletzen, würden danach keine Accountsperren begründen", so Dr. Benjamin Lück, Jurist bei der GFF gegenüber LTO.
Die Grünen-Rechtspolitikerin Renate Künast mahnt gegenüber LTO zur Umsetzung des Persönlichkeitsschutzes wie im analogen Leben. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse auch die Verbreitung und Reproduzierbarkeit beachtet werden. "Dass eine bestimmte Person mehrfach massiv attackiert werden muss, bevor reagiert werden kann, halte ich für nicht ausreichend. Es ignoriert auch die Wirkungsweisen und Methoden im Netz."
Zustellungsbevollmächtigte sollen bleiben
Das BMJ-Eckpunktepapier überschneidet sich auch mit Vorschlägen der GFF zur Erforderlichkeit eines "inländischen Zustellungsbevollmächtigten". Diese Person erleichtert die Kommunikation zwischen Betroffenen und Diensteanbietern und die Zustellung von Schriftstücken etc. Die Verpflichtung der Diensteanbieter, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, ist bereits in § 5 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) normiert. Dieses wird allerdings mit Inkrafttreten des DSA aufgehoben, sodass mit dem Gesetz gegen digitale Gewalt eine entsprechende Nachfolgeregelung den Platz einnehmen soll, so das BMJ in seinem Eckpunktepapier.
Auskunftsrechte sollen gestärkt werden
Ein weiteres Hauptaugenmerk des Eckpunktepapiers liegt auf den privaten Auskunftsrechten, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion aus Ende 2022 bereits vermuten ließ. Betroffene sollen schneller und besser an die Daten von Accountinhabern gelangen. "Künftig sollen auch Nutzungsdaten wie z. B. die IP-Adresse herausgegeben werden müssen, soweit dies verhältnismäßig und für die Rechtsverfolgung erforderlich ist. Bisher beschränkt sich die Regelung auf die Herausgabe von Bestandsdaten wie Name oder E-Mail-Adresse. Das ist deshalb unzureichend, weil den Anbietern hierzu oft keine Daten oder falsche Daten vorliegen", führt das BMJ im Papier aus. Zur Herausgabe dieser Daten sollen wie bisher nicht nur Anbieter von Telemedien, sondern alle Anbieter von Messenger- und Internetzugangsdiensten vom Gericht verpflichtet werden dürfen. Nur so könne man die IP-Adresse auch zuordnen.
Neu ist laut Eckpunktepapier auch, dass die Auskunftsrechte in allen Fällen einer rechtswidrigen Verletzung absoluter Rechte, beispielsweise dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, gegeben sein sollen. Bisher ist ein Auskunftsverfahren nur bei bestimmten strafbaren Inhalten möglich, zukünftig soll es durch die Erweiterung dann auch etwa bei wahrheitswidrigen Restaurantkritiken eröffnet werden können.
Schließlich sollen Diensteanbieter zur Sicherung von Daten verpflichtet werden können, nachdem ein Auskunftsverfahren eingeleitet werden soll. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Beweise abhandenkommen.
"Bei der Reform der Auskunftsansprüche wird es im Einzelnen sehr stark darauf ankommen, eine ausreichende Balance zu wahren", so Lück von der GFF. Eine gesetzliche Regelung sollte letztlich auch Nutzer:innen helfen, die sich gegen rein willkürliche Sperren der Plattformen wehren wollen.
"Gut, dass die Beratungen nun beginnen, es bleibt aber noch viel zu tun. Auch damit dieses Gesetz zeitgleich mit der nationalen Umsetzung des Digital Services Act in Kraft treten kann", meint Künast.
Es besteht nun Gelegenheit, zum Eckpunktepapier bis zum 26. Mai 2023 Stellung zu nehmen. Auf der Basis der Rückmeldungen wird ein Referentenentwurf erstellt werden, der voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2023 vorgelegt werden wird, heißt es aus dem BMJ. Möglicherweise hat bis dahin auch das Land Niedersachsen einen entsprechenden Konkurrenzentwurf, der derzeit erarbeitet wird, in den Bundesrat eingebracht.
BMJ stellt Eckpunktepapier vor: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51527 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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