Debatte nach Tötung durch Minderjährige in Freudenberg: DAV und NRV gegen Absen­kung des Straf­mün­dig­keitsal­ters

20.03.2023

Nach der Tötung eines Mädchens in Freudenberg durch zwei minderjährige Mitschülerinnen ist eine Debatte um die Absenkung der Grenze der Strafmündigkeit entbrannt. DAV und NRV halten dagegen, eine Änderung des Rechts sei nicht notwendig.

In der Debatte um die Senkung des Strafmündigkeitsalters nach den schrecklichen Ereignissen in Freudenberg haben sich der Deutsche Anwaltverein (DAV) und die Neue Richtervereinigung (NRV) gegen eine Änderung des § 19 Strafgesetzbuch (StGB), der die Strafmündigkeitsalter ab 14 Jahren regelt, ausgesprochen. "So schrecklich der Vorfall auch ist und uns fassungslos macht: Kriminalpolitik darf sich nicht nach Einzelfällen richten", sagte Swen Walentowski, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DAV. Die Fachgruppe Familienrecht der NRV sieht das ähnlich. "Das entsetzliche Geschehen in Freudenberg gibt keinen Anlass, die Grenze der Strafmündigkeit Jugendlicher zu verändern. Mehr Ressourcen in Kindergärten, Schulen und in der Kinder- und Jugendhilfe könnten helfen, frühzeitiger zu intervenieren. Neue Strafandrohungen nützen hingegen Nichts", so die NRV in einer Mitteilung.

Auslöser der Debatte ist die Tötung eines 12-jährigen Mädchens im nordrhein-westfälischen Freudenberg. Die Täterinnen sollen zwei 12- und 13-jährige Mädchen sein. Nach den Berichten über die Tat wurde eine Petition mit dem Titel "Verurteilt Luises Mörderinnen! Ändert das Alter der Strafmündigkeit in Deutschland!" gestartet, die mittlerweile über 130.000 Menschen unterschieben haben. 

"Hinter den Äußerungen zur Herabsetzung der Strafbarkeitsgrenze scheint ein eher reflexhaftes Streben nach Härte und Strafe zu stehen und die Grundannahme, dass harte Strafen die Begehung weiterer Straftaten verhindern. Das ist insbesondere bei Kindern falsch und geht an den wirklichen Problemen völlig vorbei", so die NRV. Auch der DAV warnt: Für eine sachliche Debatte müsse beachtet werden, dass auch ohne Anwendung des Strafrechts delinquentes Verhalten von Kindern nicht ohne Folgen bliebe. Das Strafrecht sei die ultima ratio des Rechtsstaats und dürfe nicht leichtfertig bei Kindern angewandt werden.

DAV: Keine "Vergeltung" gegenüber Kindern

Die NRV verweist darauf, dass der Staat auch bei Straftaten durch unter 14-Jährige reagiert. "Das Kinder- und Jugendhilfegesetz sieht vielfältige Maßnahmen vor, die jeweils ganz individuell auf die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Familien angepasst werden". Auch der DAV verweist darauf, dass solche Taten nicht ohne Konsequenzen bleiben. "Familienrecht und Jugendhilfe bieten eine Auswahl an Maßnahmen, auf die in solchen Fällen zurückgegriffen werden kann – von der Erziehungshilfe für die Eltern über die Inobhutnahme des Kindes bis hin zur Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung", so Walentowski.

Nach Angaben der NRV geht aus der polizeilichen Kriminalstatistik hervor, dass es jährlich um die 20 Fälle schwerer Delinquenz im Kindesalter gibt. "Alle diese Fälle sind schwer fassbar. Das sollte aber niemanden dazu verleiten, von einem 'beunruhigenden Anstieg solcher Taten' zu sprechen. So etwas schürt Ängste und verhindert eine sachorientierte Betrachtung. Tatsächlich kann man bei den sehr niedrigen Zahlen aus den kleinen jährlichen Schwankungen in der Statistik gar nichts herleiten", hieß es.

Das Strafrecht ist laut DAV nicht das geeignete Mittel, um auf solche Gewalttaten zu reagieren. "Die 'Vergeltung' gegenüber Kindern kann kein Teil unseres Justizsystems sein. Dies muss bei der Debatte über eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters beachtet werden", konstatiert Walentowski.

Auch der ehemalige BGH-Strafrichter Prof. Dr. Thomas Fischer hat das Thema am vergangenen Wochenende in seiner LTO-Kolumne aufgegriffen und kommt zu einem ganz ähnlichen Resümee.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Debatte nach Tötung durch Minderjährige in Freudenberg: . In: Legal Tribune Online, 20.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51356 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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