Auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion zum Austausch der Bundesregierung über ihr Cannabis-Vorhaben mit der EU-Kommission antwortet Lauterbachs Ministerium schmallippig – und unterschlägt ein Treffen.
Dass die ursprünglich einmal umfassend geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland gegen europarechtliche Vorgaben verstoßen könnte, treibt die Bundesregierung bzw. das federführende Bundesgesundheitsministerium (BMG) bereits seit längerem um.
Um unionsrechtlich auf der sicheren Seite zu sein, dampfte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sein Vorhaben ein, spaltete es in ein – europarechtlich eher unproblematisches – Säule-1-Gesetz sowie ein möglicherweise europarechtlich heikles Säule-2-Gesetz auf. Während zu Säule-1 seit Donnerstag ein erster Referentenentwurf vorliegt, hat das BMG den Säule-2-Entwurf für nach der Sommerpause versprochen.
Dieser sieht regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten vor. Unternehmen soll dann die Produktion, der Vertrieb und die Abgabe von Genuss-Cannabis in Fachgeschäften an Erwachsene in einem lizensierten und staatlich kontrollierten Rahmen ermöglicht werden. Der Gesetzentwurf werde voraussichtlich im Rahmen eines sog. Notifizierungsverfahrens der Europäischen Kommission zur Prüfung vorgelegt, schreibt das Ministerium auf seiner Website.
Verstoß gegen EU-Recht?
Dass Minister Lauterbach vom ursprünglichen Legalisierungsprojekt, das er noch im Oktober 2022 angekündigt hatte, abrücken musste und daraufhin im April 2023 die reduzierte 2-Säulen-Lösung präsentierte, hat offenbar auch viel mit dem Feedback der EU-Kommission zu tun. Es ist davon auszugehen, dass diese letztlich Lauterbach auf den Verstoß gegen europäisches Recht hingewiesen und zur Planänderung bewogen haben.
Um in diesem Prozess die Hintergründe zu erfahren und Licht ins Dunkel zu bringen, bat die Linksfraktion Ende Juni die Bundesregierung bzw. das BMG im Rahmen einer Kleinen Anfrage ("Gespräche der Bundesregierung mit der EU-Kommission zur Cannabis-Gesetzgebung", BT-Ds. 20/7440) um entsprechende Informationen. Unter anderem stellte die Fraktion die Frage, wann die Gespräche zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission zur Cannabisgesetzgebung in Deutschland stattgefunden haben und wer die Bundesregierung und wer die EU-Kommission dabei jeweils repräsentiert hat.
Zwei Treffen mit EU-Kommission
Die Antwort des BMG, die LTO exklusiv vorliegt, lautet: "Am 14. November 2022 fand ein informelles Gespräch auf Staatssekretärsebene unter Leitung des Bundesministeriums für Gesundheit sowie Vertreterinnen und Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft mit der Generaldirektorin der Generaldirektion Migration und Inneres der Europäischen Kommission statt." Gegenstand des Gesprächs sei das Eckpunktepapier der Bundesregierung vom 26. Oktober 2022 gewesen.
Ziel der Bundesregierung war laut Antwort, eine erste grundsätzliche Einschätzung seitens der Europäischen Kommission zur Vereinbarkeit der im Eckpunktepapier vorgesehenen gesetzlichen Regelungen mit dem Europarecht einzuholen. Über die Inhalte des Gespräches und weitere Teilnehmende sei, so das BMG, mit der EU-Kommission Vertraulichkeit vereinbart worden. Weitere Treffen erwähnt die Bundesregierung in der Antwort an die Linksfraktion nicht.
Nach LTO-Informationen sind die Angaben des BMG bzw. der Bundesregierung hier jedoch unvollständig. Denn wie eine Sprecherin der EU-Kommission bestätigte, traf sich EU-Generaldirektorin Monique Pariat nicht nur am 14. November 2022, sondern auch am 18. Januar 2023 mit dem BMG-Staatssekretär und Juristen Thomas Steffen, "um die deutsche Initiative zur Cannabislegalisierung auf der Grundlage des im Oktober 2022 verabschiedeten ersten Eckpunktepapiers zu erörtern“. Warum die Bundesregierung dieses Treffen in ihrer Antwort an die Linksfraktion verschweigt, ist unklar. Eine Anfrage von LTO an das BMG blieb bis zum Erscheinen dieses Artikels unbeantwortet.
Doch nicht nur die Termin-Unterschlagung bringt den drogenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Ates Gürpinar, auf die Palme. Der Bundestagsabgeordnete stört sich vor allem daran, dass das Ministerium jegliche Informationen zurückhält.
Linke: "Antwort der Bundesregierung ist eine Unverschämtheit"
"Die Antwort ist eine Unverschämtheit und für die Ampel blamabel", so der MdB. Im Vergleich zu ihren Vorgängerregierungen habe diese Koalition mehr Transparenz versprochen, das Gegenteil sei der Fall: "Das Gespräch war die Ursache für das Abrücken der Regierung von einem ihrer Koalitionsversprechen. Es ist zu vermuten, dass die Regierung das vermeintlich vertrauliche Gespräch nutzt, um ihr Unvermögen in der Gesetzgebung, ihre Mutlosigkeit in ihrer politischen Arbeit zu kaschieren", glaubt Gürpinar.
Gürpinar will dies nun nicht hinnehmen: "Es ist eine zentrale Aufgabe der Abgeordneten, die Regierung zu kontrollieren. Daher habe ich bei der Bundestagspräsidentin Beschwerde eingelegt und prüfe, inwiefern mein Informationsanspruch nach IFG hier beeinträchtigt wurde."
Eine weitere Antwort der Bundesregierung an die Linksfraktion macht stutzig. Auf die Frage, inwiefern das niederländische Modell in der Cannabis-Politik nach Auffassung der Bundesregierung mit dem EU-Recht vereinbar sei, lautet die Antwort des Ministeriums knapp: "Die Bundesregierung hat keine unionsrechtliche Bewertung des niederländischen Modells in der Cannabis-Politik vorgenommen."
Das Gegenteil steht nun im Referentenentwurf "Cannabisgesetz". Im Kapitel "Vereinbarkeit mit den völkerrechtlichen Verträgen und dem Recht der Europäischen Union" wird explizit u.a. auf die Niederlande verwiesen. Das Land mit seinem Ansatz der "Tolerierung und Pilotprojekte" wird von der Bundesregierung als Beleg dafür genannt, dass sich in der EU eine Richtungsänderung hin zu einer "modernen, zielgerichteten Cannabispolitik" abzeichne.
Gespräche zu Cannabis mit der EU-Kommission: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52229 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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