Italien ist überfordert mit der Anzahl an Flüchtlingen. Eine unmenschliche oder erniedrigende Aufnahmesituation bietet sich dort aber nicht, so das BVerwG. Asylanträge könnten hierzulande daher grundsätzlich als unzulässig abgelehnt werden.
Italien mit seiner EU-Außengrenze ist seit Jahren überfordert mit der Aufnahme von Flüchtlingen. Sogenannte systemische Mängel bestehen dort aber nicht, entschied nun das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Das heißt: Die Zweitanträge von in Italien anerkannten Flüchtlingen, die in Deutschland einen erneuten Asylantrag stellen, können daher grundsätzlich schon als unzulässig abgelehnt werden (Urt. v. 21.11.2024, Az. 1 C 23.23 u. 1 C 24.23). Das hat das BVerwG als Tatsachenrevisionsinstanz entschieden, § 78 Abs. 8 Asylgesetz (AsylG).
In solchen Konstellationen geht es immer um die Frage, wie schnell das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Asylanträge ablehnen kann. Nach den sogenannten Dublin-Regeln ist für Flüchtlinge das Land zuständig, in dem ein Mensch erstmals europäischen Boden betreten hat. Ziehen die Menschen weiter, so bleibt es bei der Zuständigkeit des zuerst betretenen Landes und der zweite Asylantrag kann von den Behörden Deutschlands, das keine EU-Außengrenzen hat, als unzulässig abgelehnt werden.
Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn in dem zuerst betretenen Land die Lage so schlecht ist, dass die Schutzsuchenden nicht mehr im Sinne der EU-Grundrechtecharta versorgt werden können. Das traf in der Vergangenheit viele Jahre auf Italien und Griechenland zu.
Zwei Oberverwaltungsgerichte, zwei Meinungen
Doch wie ist die Lage in Italien? Über diese Bewertung ist das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Koblenz (zu BVerwG 1 C 23.23: OVG Koblenz, Beschl. v. 10.11.2023, Az. 13 A 10942/22OVG; zu BVerwG 1 C 24.23: OVG Koblenz, Beschl. v. 27.11.2023, Az. 13 A 10953/22) anderer Auffassung als das OVG NRW (Beschl. v. 20.07.2021, Az. 11 A 1674/20.A). Das OVG NRW sah zuletzt systemische Mängel und hat in einem jüngeren Fall eine Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Dort fragt es: Wie wirkt es sich aus, dass Italien sich weigert, die Leute aufzunehmen? Reicht das schon für die Annahme systemischer Mängel? (Vorlage v. 14.02.2024, 11 A 1255/22.A). Die Frage hat der EuGH noch nicht beantwortet.
Das OVG in Koblenz hingegen hat – ohne Vorlage an den EuGH – eine Entscheidung getroffen und die Frage in einem Grundsatzverfahren (Beschl. v. 27.03.23, Az. 13A10948/22.OVG), auf das die jetzt vom BVerwG entschiedenen Fälle Bezug nehmen, selbst beantwortet. Das OVG Koblenz ist überzeugt, dass den Schutzberechtigten in Italien zwar unmittelbar nach der Rückkehr die Obdachlosigkeit drohe. Es sei aber für nicht besonders vulnerable Personen keine Ausnahmesituation, die eine Überstellung ausschließe – systemische Mängel in Italien sah das Gericht gerade nicht, die Ablehnung der Zweitanträge hier in Deutschland als unzulässig sei damit möglich.
"Lage ist grundsätzlich geklärt"
Solche unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Obergerichte gibt es insbesondere im Asylrecht immer wieder. Schon lange soll dies vermieden werden, sodass inzwischen bei einer solchen divergierenden Rechtsprechung das BVerwG als sogenannte Tatsachenrevisionsinstanz konsultiert werden kann. Das ist hier geschehen.
Das BVerwG sieht es nun also wie das OVG Koblenz: In Italien drohen Alleinstehenden, erwerbsfähigen und nicht vulnerablen Menschen keine erniedrigenden oder unmenschlichen Lebensbedingungen, also keine Verletzung der entsprechenden Rechte aus Art. 4 der EU-Grundrechtecharta.
Es sei zu erwarten, dass diese Schutzberechtigten ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene befriedigen könnten. Sie können voraussichtlich "zumindest in temporären Unterkünften oder Notschlafstellen mit grundlegenden sanitären Einrichtungen, die von kommunalen Stellen sowie kirchlichen und anderen nichtstaatlichen Hilfsorganisationen angeboten werden, unterkommen". Von denen könnten sie auch sonstige Unterstützung bekommen oder arbeiten, auch medizinische Grundversorgung gebe es.
In den Fällen vor dem OVG ging es um Frauen aus Somalia und Syrien. Die Entscheidung gilt also konkret auch für Frauen, was in bestimmten Konstellationen wichtig werden kann. So hat der EuGH beispielsweise entschieden, dass ein Asylgrund für Afghaninnen allein wegen ihres Geschlechts vorliegt.
Spannend wird sein, wie sich der EuGH zu der Frage verhält, die das OVG NRW ihm vorgelegt hat. Bisher hat der EuGH lediglich entschieden, dass Asylanträge nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen – also § 71a Abs. 1 AsylG keine Anwendung findet –, wenn der Staat der ersten Prüfung kein EU-Mitgliedstaat ist.
Derzeit bleibt die Diskussion eine theoretische: Italien reagiert seit Jahren nicht auf Überstellungsgesuche aus Deutschland, sodass die Zuständigkeit für die Schutzsuchenden nach sechs Monaten auf Deutschland übergeht.
BVerwG zu umstrittener Frage im Asylrecht: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55928 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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