BVerfG: bpb verletzt Persönlichkeitsrechte durch herabsetzende Kritik an Aufsatz

von hho/LTO-Redaktion

28.09.2010

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat mit der Kommentierung eines wissenschaftlichen Aufsatzes das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Autors verletzt, weil diese abschätzig war und die gebotene rechtsstaatliche Distanz nicht gewahrt hat. Dies entschied das BVerfG in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss.

Das beanstandete Schreiben der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) werde deren Aufgabe, die Bürger mit Informationen zu versorgen und dabei Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren, nicht gerecht (Az.: 1 BvR 2585/06).

Im Jahr 2004 erschien unter dem Titel "Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte" in der Zeitschrift "Deutschland Archiv", die ein privater Verlag im Auftrag der bpb herausgibt, ein politikwissenschaftlicher Aufsatz zur Verbreitung des Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung während der NS-Zeit. Der Autor, ein emeritierter Professor, vertritt dort die These, dass die Mehrheit der Deutschen seinerzeit nicht antisemitisch eingestellt gewesen sei, sondern mit den verfolgten Juden sympathisiert habe, wobei er unter anderem von einer "deutsch-jüdischen Symbiose unter dem Hakenkreuz" spricht.

Nach Auslieferung der Zeitschrift an mehrere tausend Abonnenten erlangte die Bundeszentrale Kenntnis vom Inhalt des Aufsatzes und richtete daraufhin ein Schreiben an die Abonnenten, in dem sie die Veröffentlichung des Aufsatzes "außerordentlich" bedauerte und versicherte, dass dieser "einmalige Vorgang" sich nicht wiederholen werde. Das Schreiben endete mit einer Entschuldigung gegenüber allen Lesern, "welche sich durch den Beitrag verunglimpft fühlen".

Der Autor vertrat die Ansicht, dass ihn das Schreiben als Mensch und Wissenschaftler in seinem Ruf schädige und herabsetze. Seine Klage vor den Verwaltungsgerichten blieb in allen Instanzen erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben.

Es argumentierte, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch den Schutz vor solchen Äußerungen umfasse, die - ohne im engeren Sinne ehrverletzend zu sein - geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken. Eine solche Herabsetzung gehe von der abschätzigen Kommentierung des Aufsatzes in dem Schreiben der Bundeszentrale aus. Er werde als Autor eines Aufsatzes dargestellt, der nicht mehr diskursiv erörtert, sondern nur noch makuliert werden kann, was vor dem Hintergrund des sensiblen Themas Antisemitismus eine erhebliche Stigmatisierung des Betroffenen mit sich bringen könne.

Als Anstalt des öffentlichen Rechtes könne sich die Bundeszentrale nicht wie Private auf die Meinungsfreiheit berufen. Zwar gehöre zu den Grundlagen ihrer eigenen Tätigkeit auch das öffentliche Vertrauen in die eigene Glaubwürdigkeit und Integrität, so dass ein legitimes Interesse an der Distanzierung von ihr zuzurechnenden Beiträgen bestehe, die extreme oder extremistische Meinungen vertreten. Hierbei habe die Bundeszentrale jedoch Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren.

Das Schreiben der Bundeszentrale habe den ihr einzuräumenden
Einschätzungs- und Handlungsspielraum weder gewahrt noch sei es den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht geworden, urteilten die Richter.

Zitiervorschlag

BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 28.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1579 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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