Das BVerfG stellt hohe Anforderungen an bundesweite Stadionverbote: Diese müssten dem Gleichbehandlungsgebot entsprechen, ebenso seien diverse Verfahrensrechte der Betroffenen zu wahren. Fananwälte und Sportrechtler begrüßen das Urteil.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Verfassungsbeschwerde eines mit einem bundesweiten Stadionverbot belegten Fußballfans als unbegründet zurückgewiesen (Beschl. v. 11.04.2018, Az. 1 BvR 3080/09). Die Verbote dürften aber mit Blick auf das Gleichheitsgebot nicht willkürlich festgesetzt werden und müssten auf einem sachlichen Grund beruhen, entschied der Erste Senat in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. Für ein Stadionverbot reiche allerdings schon die Sorge, dass von einer Person die Gefahr künftiger Störungen ausgehe.
Nach einem Auswärtsspiel des FC Bayern München gegen den MSV Duisburg im Jahr 2006 kam es außerhalb des Stadions zu Auseinandersetzungen zwischen den Fangruppen. Die Polizei nahm daraufhin 50 Personen in Gewahrsam, unter ihnen der damals 16-jährige Beschwerdeführer. Gegen ihn wurde dann ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet, das später wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde.
Nach der Einleitung des Ermittlungsverfahrens sprach der MSV Duisburg im Namen des Deutschen Fußballbundes (DFB) ein zweijähriges, bundesweites Stadionverbot gegen den 16-Jährigen aus. Gestützt wurde das Verbot auf die Stadion-Verbotsrichtlinien des DFB. Trotz der späteren Verfahrenseinstellung entschieden der MSV und der DFB ohne Anhörung des zur Münchener Ultra-Szene gehörenden Jugendlichen, das Verbot aufrecht zu erhalten.
Keine Willkür bei Verbot
Der Fan klagte zunächst auf Aufhebung des Stadionverbots, stellte seinen Klageantrag nach Erledigung dann auf einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verbots um. Wie schon in den Vorinstanzen war er damit auch beim Bundesgerichtshof (BGH) erfolglos. Zwar müsse der Veranstalter beim Ausschluss von bestimmten Personen die mittelbar in das Zivilrecht einwirkenden Grundrechte beachten und dürfe einzelne Zuschauer nicht willkürlich ausschließen.
Stadionverbote könnten eine nennenswerte präventive Wirkung nur dann erzielen, wenn sie auch gegen solche Besucher ausgesprochen werden könnten, die zwar nicht wegen einer Straftat verurteilt seien, deren bisheriges Verhalten aber besorgen lasse, dass sie bei künftigen Spielen sicherheitsrelevante Störungen verursachen würden. Dies sei bei dem Münchener Ultra der Fall, das Stadionverbot war rechtmäßig, entschied der BGH.
Das BVerfG hatte an dieser Entscheidung nichts zu beanstanden. Die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Eigentümerbefugnissen und Gleichbehandlungsgebot bei der Beurteilung eines auf das privatrechtliche Hausrecht gestützten Stadionverbots sei in erster Linie Sache der Zivilgerichte. Diese müssten sicherstellen, dass das Verbot nicht willkürlich ist und auf einem sachlichen Grund beruht. Dass die Gerichte einen solchen Grund schon in der begründeten Besorgnis sehen, dass von einer Person die Gefahr künftiger Störungen ausgeht, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Richtlinien des DFB sind nicht zu beanstanden
Allerdings stellte das BVerfG verfahrensrechtliche Anforderungen an das Erfordernis eines sachlichen Grundes. Dazu gehöre jedenfalls grundsätzlich die vorherige Anhörung der Betroffenen. Auch sei die Entscheidung auf Verlangen zu begründen, um den Betroffenen die Durchsetzung ihrer Rechte zu ermöglichen. Dies schließe aber nicht aus, dass in begründeten Fällen die Entscheidung zunächst auch ohne Anhörung ergehen und diese nachgeholt werden kann. Die nähere Konkretisierung der Anforderungen obliege aber den Fachgerichten.
Auch im Hinblick auf die verfahrensrechtlichen Anforderungen hatte die Verfassungsbeschwerde des Müncheners aber keinen Erfolg. Der DFB hat seine Richtlinien mittlerweile geändert, sie sehen jetzt eine Anhörung und in Fällen der Überprüfung des Stadionverbots auch eine Begründung der Entscheidung vor. Für das konkret in Streit stehende, inzwischen erledigte Stadionverbot habe er im Übrigen im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens wenigstens nachträglich die Möglichkeit gehabt, sich mit den Gründen für das Stadionverbot auseinanderzusetzen und sich hierzu Gehör zu verschaffen.
Der in der Ultraszene bekannte Fananwalt Andreas Hüttl begrüßte die Entscheidung des BVerfG gegenüber LTO: Auch wenn das Urteil "für den Einzelfall misslich" sei, habe das BVerfG die Verfassungsbeschwerde "offensichtlich sehr ernst" genommen und "sehr erfreuliche und ausführliche Ausführungen" gemacht. Dem Rechtsanwalt zufolge seien die Entscheidungsgründe für weitere Verfahren, in denen es um Stadionverbote gehe, "durchaus eine Hilfe" Das Urteil gebe "praktische Handlungsanweisungen an die Handhabung von Stadionverboten", lobte Hüttl.
Bedeutung über den Einzelfall hinaus
Der Rechtsanwalt begrüßte, "dass eine Drittwirkung von Grundrechten auch auf diesen Themenkomplex durchgreifen". Das Gericht habe klargestellt, dass Stadionverbote nicht willkürlich verhängt werden dürfen, sondern auf einem sachlichen Grund beruhen müssen, so Hüttl. Außerdem müssten die Verbote künftig "aussagekräftig begründet" und die Betroffenen "verbindlich" angehört werden. Bemerkenswert sei auch, dass das Urteil vom Senat als Spruchkörper abgefasst wurde. Derartige Senatsentscheidungen gebe es "nur sechs bis sieben Mal pro Jahr".
Nach Einschätzung des Berliner Sport- und Medienrechtlers Robert Golz lasse sich die Entscheidung auch auf andere Sachverhalte übertragen, in denen ein Privater – ähnlich wie ein Fußballverein - seine aufgrund eines Monopols oder einer strukturellen Überlegenheit resultierende Entscheidungsmacht nutze, um bestimmte Personen ohne sachlichen Grund auszuschließen. Dem Rechtsanwalt zufolge könnte dies etwa dann der Fall sein, wenn Vereine bestimmte Medienvertreter von ihren Pressekonferenzen ausschließen, weil diese sich z.B. in der Vergangenheit kritisch über den Verein geäußert hätten. Hier würde es dann auf Seiten der Pressvertreter um die Berufs- und die Pressefreiheit gehen.
Der Anwalt sieht noch weitere Folgewirkungen des Urteils: "Die Entscheidung des BVerfG könnte auch auf die Teilnahme an sozialen Netzwerken wie z.B. Facebook übertragen werden, die einen Nutzer ausgeschlossen haben. Wenn jedoch der Ausschluss auf einen sachlichen Grund zurückzuführen ist und nicht willkürlich oder sachfremd erfolgte, kann dem Ausschluss nichts entgegengesetzt werden", so Golz zu LTO.
Alexander Cremer und Hasso Suliak, BVerfG zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28333 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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