Klimaaktivisten wollen Berlin lahmlegen: Busch­mann zieht his­to­ri­sche Paral­lele zu Aktionen von "Letzte Gene­ra­tion"

21.04.2023

Für die kommende Protestaktion planen die Klimaaktivisten von "Letzte Generation", Berlin ab Montag komplett lahmzulegen. Bundesjustizminister Buschmann zieht eine historische Parallele zu Straßenprotesten der 1920er Jahre.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vergleicht die Aktionen der Klimagruppe "Letzte Generation" mit Straßenprotesten von vor 100 Jahren. "In den 1920er und 1930er Jahren gab es in Berlin straßenschlachtartige Zustände, weil sich Menschen am linken und rechten politischen Rand selbst ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen und die eigenen Vorstellungen mit der Faust durchzusetzen", sagte der FDP-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Das darf sich nicht wiederholen."

Die "Letzte Generation" hat angekündigt, Berlin ab Montag auf unbestimmte Zeit lahmlegen zu wollen. So will sie ihre Forderungen nach einer radikalen Klimawende durchsetzen. Am Mittwoch hatte sie mit Protestmärschen begonnen.

Grünen-Chef Nouripour übte scharfe Kritik an der Klimagruppe. "Wenn Menschenleben gefährdet werden, dann geht das einfach nicht. Dann ist das indiskutabel", sagte er dem Sender RTL/ntv. "Wir gewinnen keine Akzeptanz, wenn die Leute stundenlang im Stau stehen, obwohl sie dringend zur Arbeit müssten."

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mahnte die "Letzte Generation", mit Aktionen wie Straßenblockaden keine Menschenleben zu gefährden. Es sei unverantwortlich, wenn dadurch Rettungskräfte und Krankentransporte behindert würden, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Rettungswege müssen frei bleiben."

Buschmann warf den Aktivisten vor, mit ihren Protesten dem Klimaschutz zu schaden. "Letztlich schadet die 'Letzte Generation' mit ihrem Vorgehen ihrem Anliegen", sagte er. Die "Letzte Generation" habe überzogene, aggressive Vorstellungen von der Durchsetzung ihrer Ziele. Mit Straftaten werbe man nicht für Klimaschutz.

Gleiche Regeln für alle

Der Justizminister verteidigte die Gerichtsurteile gegen Klimaaktivisten. "Wir leben in einem Rechtsstaat. Da gelten die gleichen Regeln für alle." Wenn akzeptiert würde, dass sich ein Teil der Gesellschaft unter Berufung auf ein höheres Ziel nicht an das Recht gebunden fühle, würden das sicher immer mehr Gruppen für sich in Anspruch nehmen. "Was jetzt die Klimakleber tun, probieren dann möglicherweise als nächstes die Reichsbürger oder radikale Abtreibungsgegner."

Deutschlands Richter sehen derweil keine Notwendigkeit für schärfere Gesetze gegen Klimaschutzaktivisten. "Schärfere Strafgesetze braucht die Justiz nicht, um auf Rechtsverstöße im Zuge von Klima-Protesten klar und deutlich reagieren zu können", sagte Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Die bestehenden Gesetze geben den Gerichten ausreichend Spielräume, um etwa Fälle von Nötigung, Sachbeschädigung oder Eingriffe in den Straßenverkehr jeweils tat- und schuldangemessen zu bestrafen."

Rechtswissenschaftler wie etwa der Augsburger Strafrechtsprofessor Dr. Michael Kubiciel warnen indes davor, in der politisch besonders aufgeheizten Debatte Sachverhalte juristisch zu vereinfachen. "Man sollte die jeweiligen Lager bzw. einzelne aggressive Vertreter nicht noch dadurch anstacheln, dass man die einen pauschal auf das NotwehrR hinweist (Anwendung=Einzelfall!) u. auf der anderen Seite zivilen Ungehorsam unter § 34 StGB (strukturell nicht geeignet) fasst", twitterte er.

ADAC-Präsident Christian Reinicke zeigte Verständnis für die Ziele der Klimaschutzgruppe, nicht aber für deren Methoden. "Ich kann die Anliegen der Klimakleber verstehen", sagte Reinicke der Augsburger Allgemeine. Die Klimaaktivisten verträten Ziele, hinter denen sich jeder versammeln könne, denn nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei Klimaschutz ein im Grundgesetz verankertes Staatsziel. Er bezweifelte allerdings, dass die Klimaschützer die richtigen Mittel wählten, "denn sie verärgern viele Menschen mit der Form ihres Protestes."

Aktivisten verlangen Gesellschaftsrat

Die Aktivisten fordern die Bundesregierung auf, einen Plan zum Erreichen des international angestrebten 1,5-Grad-Ziels vorzulegen, mit dem man die schlimmsten Folgen der Erderwärmung verhindern will. Das Bündnis fordert zudem einen Gesellschaftsrat mit 160 gelosten Mitgliedern, der das Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe wie Öl, Kohle oder Gas in Deutschland bis 2030 konkret planen soll. Außerdem setzt sich die Gruppe für ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket ein.

Die Letzte Generation hatte sich 2021 nach einem Hungerstreik gegründet und blockiert seit Anfang 2022 immer wieder den Verkehr, vornehmlich in deutschen Großstädten. Meist kleben sich die Teilnehmer dabei fest.

dpa/lmb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Klimaaktivisten wollen Berlin lahmlegen: . In: Legal Tribune Online, 21.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51604 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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