BGH zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung: Leib­liche Mutter muss poten­zi­ellen Vätern nach­for­schen

19.01.2022

Jeder hat ein Recht auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung. So kann ein adoptiertes Kind auch Jahre nach der Adoption von der leiblichen Mutter Informationen über den leiblichen Vater einfordern, so der BGH.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass die leibliche Mutter auch nach einer Adoption ihrem Kind zur Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters verpflichtet ist (Beschl. v. 19.01.2022, Az. XII ZB 183/21).

In dem Fall, mit dem sich der BGH zu beschäftigen hatte, wollte ein adoptiertes Kind von seiner leiblichen Mutter Informationen über den leiblichen Vater erhalten. Doch die Mutter konnte ihr keine Auskunft geben: Die Mutter war bei der Geburt ihrer Tochter erst 16 Jahre alt gewesen und in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsen. Sie hatte die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt. Nach der Geburt lebte sie mit ihrem Kind zunächst in einem Mutter-Kind-Heim und später in einer Mädchen-Wohngemeinschaft, ehe das Kind von einem Ehepaar adoptiert wurde. Der leibliche Vater blieb für die Tochter ein Unbekanter. Ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren war ebenso erfolglos wie ein außergerichtlicher Vaterschaftstest mit einem weiteren Mann. Daher rief die Tochter die Gerichte an.

Die erste Instanz, das Amtsgericht (AG) Stuttgart (Beschl. v. 30.102019, Az. 23 F 642/18) hatte den Antrag zurückgewiesen, weil der Mutter die Auskunftserteilung unmöglich sei. Dagegen hatte die Tochter mit Erfolg Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart eingelegt (Beschl. v. 30.03.2021, Az. 17 UF 52/20). Dieses verpflichtete die leibliche Mutter, der Tochter alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu benennen, die ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt haben.

Letztlich landete der Fall beim BGH.

Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung von großer Bedeutung

In dritter Instanz behielt die Tochter nun Recht, die Karlsruher Richterinnen und Richter haben den begehrten Auskunftsanspruch der Tochter ebenfalls bejaht. Anspruchsgrundlage für die begehrte Auskunft sei § 1618a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach sind Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig. Auch wenn die Vorschrift keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß vorsehe, könnten daraus für Eltern und Kinder wechselseitig Rechtsansprüche erwachsen, betonte der BGH nun.

Grund für den Auskunftsanspruch sei unter anderem das allgemeinen Persönlichkeitsrecht, so der BGH. Daraus folge das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, was der bei Auslegung des § 1618a BGB zu berücksichtigen sei.

In einem ähnlich gelagerten Fall habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen solchen Anspruch zwar abgelehnt. Es sei dort aber um einen Anspruch des sogenannten Scheinvaters gegen die Kindesmutter auf Auskunft über die Identität des leiblichen Kindesvaters gegangen, so der BGH. Dabei sei der Anspruch in diesem Fall aber allein auf die Durchsetzung finanzieller Interessen gerichtet gewesen, so der BGH. Der Informationsanspruch der Tochter gegen die leibliche Mutter im hier vorliegenden Fall beinhalte dagegen eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Entsprechend liege hier auch keine Kollision mit der Rechtsprechung des BVerfG vor.

Nachforschungen sind der Mutter zumutbar

Dass die leibliche Mutter wegen der Adoption nicht mehr die rechtliche Mutter sei, stehe diesem Anspruch, den der BGH der Tochter zugesteht, auch nicht entgegen. Denn das Auskunftsschuldverhältnis zwischen Kind und Mutter sei vor der Adoption entstanden. Würde man dies anders sehen, wären adoptierte Kinder hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung gegenüber nicht adoptierten Kindern gegenüber schlechtergstellt, so der BGH.

Zwar könne das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre der Mutter dazu führen, das Bestehen des Auskunftsanspruchs zu verneinen. Dazu habe die Mutter aber nichts dargelegt. Mit der bloßen Mitteilung, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, habe sie den Anspruch jedenfalls nicht erfüllt. Sie habe auch nicht dargelegt, dass ihr trotz aller zumutbaren Erkundigungen eine Erfüllung unmöglich ist.

So habe das OLG eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen aufgelistet, an die sich die Tochter wenden könne, um Hinweise zu potenziellen leiblichen Vätern der Antragstellerin zu erhalten. Diesen Nachfragemöglichkeiten fehlt es nach Auffassung des BGH weder an der Erfolgsaussicht noch sei es der Mutter unzumutbar, sich an die genannten Kontakte zu wenden.

cp/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BGH zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung: . In: Legal Tribune Online, 19.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47253 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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