Ein suizidgefährdeter Mann soll in die Türkei ausgeliefert werden und das zuständige OLG segnet dies wiederholt ab. Damit wurde der Mann in seinen Grundrechten verletzt, stellte das BVerfG nun fest.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines türkischen Staatsangehörigen gegen seine Auslieferung in die Türkei überwiegend stattgegeben, weil er durch die Auslieferungsbeschlüsse in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verletzt wurde (Beschl. v. 21.05.2024, Az. 2 BvR 1694/23).
Der Mann war in der Türkei wegen Diebstahls in mehreren Fällen zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Weil er sich in Deutschland aufhielt, ordnete das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig im August 2022 die Auslieferungshaft gegen ihn an. Zu dieser Zeit befand er sich schon wegen einer anderen Sache im Maßregelvollzug. Im Rahmen eines Suizidversuchs fügte sich der Mann im Januar 2023 schwere Verletzungen zu und musste deshalb in der Folge intensiv ärztlich behandelt werden. Kurze Zeit später wurde er dann erst aus dem Maßregelvollzug entlassen, bevor dann der Auslieferungshaftbefehl in Vollzug gesetzt und er sodann Ende Februar 2023 inhaftiert wurde.
Trotz seiner Suizidalität erklärte das OLG Braunschweig in zwei weiteren Beschlüssen die Auslieferung in die Türkei für zulässig. Hierdurch wurde der Mann in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, so das BVerfG. Das OLG habe insbesondere nicht ausreichend aufgeklärt, ob sich aus dem Gesundheitszustand des Mannes ergibt, dass Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Suizidversuches geboten sein könnten. Insoweit hatte auch die ärztliche Direktion des Maßregelvollzugs in einem Schreiben entsprechende Bedenken geäußert, der Mann sei wegen der drohenden Auslieferung "nicht ausreichend von seiner Suizidalität distanziert".
BVerfG kann fehlende Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht nachvollziehen
Aus Sicht des OLG stand die Suizidalität der Auslieferung hier nicht entgegen, soweit die entsprechende Haftanstalt in der Türkei über einen festangestellten Psychologen verfüge und damit der Suizidalität "ausreichend belastbar entgegengewirkt werden" könne. Trotzdem war aus Sicht des Mannes und dessen Ärzten eine adäquate medizinsich-psychologische Versorgung in der Türkei nicht gewährleistet. Einer seiner Ärzte stellte im April 2023 fest, der Mann sei nicht reise- bzw. transporttauglich.
Ein gutes halbes Jahr später bekräftigte das OLG Braunschweig in einem weiteren Beschluss abermals die Zulässigkeit der Auslieferung. Das BVerfG untersagte daraufhin einstweilen die Übergabe an die Türkei bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, welche jetzt überwiegend zugunsten des Mannes ausfiel.
Aus Sicht des BVerfG war insoweit insbesondere unverständlich, warum das OLG Braunschweig trotz der durch den Mann eingereichten ärztlichen Stellungnahme für das Verfahren keinen Sachverständigen hinzugezogen hat. Denn die Stellungnahmen hätten - im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) - gewichtige Gründe für die Annahme enthalten, dass im Fall der Durchführung der Auslieferung ein tatsächliches Risiko für einen weiteren Suizidversuch bestehe. Aus Sicht des OLG hatte eines der fachärztlichen Gutachten Tendenzen eines "Gefälligkeitsgutachten" aufgewiesen, was aber, so das BVerfG, in der Gesamtschau mit den übrigen ärztlichen Stellungnahmen nichts ändere.
Erst kürzlich hatte das BVerfG einer weiteren Verfassungsbeschwerde gegen die Auslieferung in die Türkei stattgegeben.
BVerfG gibt Verfassungsbeschwerde überwiegend statt: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54691 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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