Sind Richter befangen, wenn sie sich schon in einem anderen Verfahren mit dem Angeklagten beschäftigt haben und sein Verhalten dort als rechtswidrig einstuften? Nein entschied das BVerfG in einem Cum-ex-Fall des Landgerichts Bonn.
In Strafverfahren wegen sogenannter Cum-ex-Geschäfte wurde nicht gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) verstoßen. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, eine entsprechende Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 27.01.2023, Az. 2 BvR 1122/22).
Konkret geht es um Verfahren vor dem Landgericht (LG) Bonn, in dem es zu einer Verurteilung eines Generalbevollmächtigten der Warburg Bank zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen kam (Urt. v. 01.06.2021, Az. 62 KLs - 213 Js 32/20 - 1/20).
Der Mann hatte laut rechtskräftigem Urteil falsche Steuererklärungen selbst unterzeichnet oder nach Prüfung zur Unterschrift freigegeben. Dadurch erreichte er mit anderen Verantwortlichen, dass das zuständige Finanzamt zu Unrecht insgesamt mehr als 168 Millionen Euro an die Warburg Bank zahlte.
Nachdem die Revision des ehemaligen Warburg-Mitarbeiteres erfolglos blieb, machte er nunmehr beim BVerfG eine Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter geltend.
Die Begründung: Entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan hatte die Kammer des LG Bonn, die ihn veurteilte, zuvor im März 2020 erstmals in Sachen Cum-ex ein Urteil gegen zwei britische Börsenhändler gesprochen. Weil zwei der Richter schon am Prozess gegen die Börsenhändler mitgewirkt hätten, seien sie ihm nicht unvoreingenommen entgegengetreten, meint der Mann, der als Generalbevollmächtigter für die Warburg-Bank gearbeitet hat.
Bloße Vorbefassung führt nicht zu Befangenheit
Die 3. Kammer des Zweiten Senats hat keine solche Verletzung festgestellt. Hierbei führt die Kammer zunächst zum Prüfungsmaßstab aus, dass die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen durch das BVerfG nur dann beanstandet werden, "wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind oder die Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt wird."
Bezüglich der in Rede stehenden Befangenheitsanträge prüft das BVerfG also nur, ob die Ablehnungsentscheidungen willkürlich waren oder spezifisches Verfassungsrecht verletzt haben. Es geht insoweit nicht darum, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit bestand.
Die hier einschlägige BGH-Rechtsprechung zur Befangenheit wegen Vorbefassung ist nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Danach gilt, dass ein Richter auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantreten kann, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet habe. Für die Befangenheit bedarf es folglich weiterer Gründe.
Diese Grundsätze sieht die Kammer auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), welche insoweit als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte dient. Auch der EGMR hat insoweit unter anderem ebenfalls entschieden, dass die bloße Vorbefassung noch keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters in einem nachfolgenden Fall begründet.
Nicht ein Verfahren für alle
Die Kammer bestätigt die Auffassung des LG Bonn, wonach ein großer Prozess gegen sämtliche an Cum-ex-Geschäften beteiigte Personen nicht sachgemäß gewesen wäre. Insbesondere wären Beteiligte mit untergeordeten Tatbeiträgen so einer wohl unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer ausgesetzt gewesen. Auch mit dem Beschleunigungsgebot sei dies nicht zu vereinbaren gewesen, so die Kammer.
Das LG Bonn hatte ferner argumentiert, die Befassung mit den Tatbeiträgen des Generalbevollmächtigten schon in dem Verfahren gegen die britischen Börsenhändler sei unerlässlich gewesen. Denn für deren Strafbarkeit wegen Beihilfe bedurfte es einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat, welche das Gericht über bloße Vermutungen hinaus mit hinreichender Sicherheit habe feststellen müssen.
Gleichwohl wurde damit noch keine Aussage über die Schuld des Generalbevollmächtigten getroffen, denn für die Stafbarkeit wegen Beihilfe kommt es hierauf gar nicht an. Die Schuldfrage war vielmehr erst Gegenstand des Verfahrens, in dem der Generalbevollmächtigte selbst angeklagt war. Insoweit bestehen nach Auffassung des BVerfG keine verfassungs- oder konventionsrechtlichen Bedenken.
jb/LTO-Redaktion
Angeklagter scheitert mit Verfassungsbeschwerde beim BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 17.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51093 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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