EuGH stellt Umsatzsteuerpflicht in Frage: Wie frei ist ein Auf­sichtsrat?

Gastbeitrag von Dr. Stefan Diemer

02.08.2019

Die Vergüung für Aufsichtsräte war in Deutschland seit Jahrzehnten umsatzsteuerpflichtig. Ein Urteil des EuGH legt nun nahe, dass diese Steuer fallen kann, mit monetären Auswirkungen auf Aufsichtsräte und Unternehmen, so Stefan Diemer.

Die Tätigkeit von Aufsichtsräten wird in Deutschland seit Jahrzehnten als umsatzsteuerpflichtig behandelt. Eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gibt Anlass, diese bisher als gesichert geltende Rechtslage in Frage zu stellen: Die Luxemburger Richter haben in dem niederländischen Fall IO die Tätigkeit von Aufsichtsräten generell als nicht umsatzsteuerbar behandelt (Urt. v. 13.06.2019, Az. C 420/18).

Worum geht es? Die Umsatzsteuer fällt auf alle entgeltlichen Leistungen von Unternehmern an und beträgt in der Regel 19 Prozent. Unternehmer können Personen und Gesellschaften sein. Die von einem Unternehmer bezahlte Umsatzsteuer kann dieser sich vom Finanzamt unter bestimmten Voraussetzungen zurückholen (sogenannte Vorsteuer).

Hohe Kosten für Holding-Gesellschaften

Auch Aufsichtsräte stellen ihre Vergütung den Unternehmen in Rechnung und setzen bisher auf diese – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auch einen anteiligen Betrag für die Umsatzsteuer, das sind auch hier zusätzlich 19 Prozent auf den Rechnungsbetrag. Diese bezahlt das Unternehmen dann mit der Vergütung an den Aufsichtsrat.

Den Bruttobetrag der Rechnung – also mit Umsatzsteuer –muss die Gesellschaft als Betriebsausgabe verbuchen (soweit sie nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist). Obwohl das Unternehmen diese Kosten tatsächlich hat, kann es die Kosten aber nur zur Hälfte bei ihrer Körperschaft- und Gewerbesteuer geltend machen, vgl. § 10 Nr. 4 Körperschaftssteuergesetz (KStG). Das Unternehmen gibt also bei der Bezahlung der Aufsichtsräte effektiv mehr Geld aus, als es selbst als Betriebsausgabe bei der Steuererklärung geltend machen kann. Gerade bei Holding-Gesellschaften mit geringer Vorsteuerquote führt dies zu einer spürbaren Kostenbelastung.

Für einzelne Mitglieder des Aufsichtsrates hingegen ergeben sich aus der Umsatzsteuerpflicht ihrer Vergütung Vorteile. Sie können die Vorsteuer aus ihren Bürokosten und sonstigen Kosten im Zusammenhang mit ihrer Aufsichtsratstätigkeit geltend machen. Dies ist vor allem deswegen interessant, da – mit Ausnahme von Reise- und Übernachtungskosten – weitere Kosten nicht ohne weiteres der Gesellschaft in Rechnung gestellt werden dürfen. Insbesondere eigene Bürokosten eines Aufsichtsrates brauchen von der Gesellschaft aus rechtlichen Gründen nicht übernommen zu werden.

Aufsichtsräte sind bisher selbstständige Unternehmer

Dieser Vorteil für Aufsichtsräte könnte mit der EuGH-Entscheidung fallen. Bisher gehörten Aufsichtsräte nach einhelliger Auffassung in die Gruppe von Unternehmern, deren Leistungen der Umsatzsteuer unterfallen. Denn gegenüber den Gesellschaften sind sie selbstständig, nachhaltig sowie mit Einnahmenerzielungsabsicht tätig und qualifizieren sich damit als umsatzsteuerliche Unternehmer. Die Selbstständigkeit wird mit der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Weisungsunabhängigkeit begründet.

Auch bei Angestellten privater Unternehmen, die innerhalb des Konzerns in Aufsichtsratsfunktionen entsandt werden und ihre Aufsichtsratsvergütung an ihren Arbeitgeber abführen müssen, geht die Finanzverwaltung ohne Einschränkung von einer selbstständigen Tätigkeit aus. Hierzu ist ein Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig, dass bis zur Entscheidung des EuGH vom 13. Juni 2019 ausgesetzt war und nun wieder aufgenommen wird (Az. BFH V R 23/19).

Ausnahmen macht die Finanzverwaltung nur für Aufsichtsräte, die als Beamte oder Angestellte von staatlichen Stellen (zum Beispiel Städten, Gemeinden) entsandt werden und ihre Aufsichtsratsvergütung auf ihre Bezüge anrechnen müssen.

EuGH: Aufsichtsrat ist untergeordnet

Der EuGH beurteilt die Selbstständigkeit in dem von ihm entschiedenen Fall IO dagegen anders – er geht von einem Unterordnungsverhältnis aus. Selbstständigkeit erfordere eine Tätigkeit im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung sowie die Übernahme des mit der Tätigkeit einhergehenden wirtschaftlichen Risikos. Der EuGH stellt darauf ab, dass in dem entschiedenen Fall die Mitglieder des Aufsichtsrates ihre Befugnisse nicht individuell ausübten, sondern nur als kollektives Organ. Ferner würden sie nur auf Rechnung und unter Verantwortung des gesamten Aufsichtsrates tätig und hafteten nicht für Schäden, die sie Dritten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben verursachen.

Einer Selbstständigkeit steht nach dem EuGH auch entgegen, dass die Aufsichtsräte in dem Fall keinem wirtschaftlichen Risiko unterliegen, weil eine feste Vergütung vereinbart war, die unabhängig von Sitzungsteilnahme oder Arbeitszeit gewährt wurde.

Für die Luxemburger Richter sind damit die individuellen Befugnisse und das wirtschaftliche Risiko der einzelnen Mitglieder eines Aufsichtsrates entscheidend und nicht mehr eine rechtlich festgeschriebene Weisungsfreiheit. Danach gelten Aufsichtsräte nicht mehr als Selbstständig und damit auch nicht als Unternehmer, die Umsatzsteuer in Rechnung stellen müssen und dürfen. Die Aufsichtsräte verlieren danach die genannte Möglichkeit, Vorsteuer aus ihren Bürokosten etc. gegenüber dem Finanzamt geltend zu machen. Im Ergebnis erhöhen sich damit ihre Kosten. Gerade eigene Büro- und Kommunikationskosten sowie bestimmte Schulungskosten können von den Gesellschaften, für die sie tätig werden, aus rechtlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt erstattet werden.

Folgen für deutsche Aufsichtsräte

Die vom EuGH aufgestellten Kriterien sind durchaus auf deutsche Aufsichtsräte übertragbar: Auch hier sind die wesentlichen Pflichten eines Aufsichtsrates die Überwachung des Vorstandes, die Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand einschließlich dessen Bestellung sowie die Abberufung und Regelung seiner Vergütung. Alle diese Pflichten obliegen dem Aufsichtsrat als Gremium (sogenanntes Kollegialorgan) und können von diesem auch nur als Gremium, nicht aber von einzelnen Mitgliedern ausgeübt werden. Sofern einzelne Mitglieder Rechte haben, wie beispielsweise auf Berichterstattung, kann dieses Recht nur durch Leistung an den Aufsichtsrat als Gremium, nicht aber an das einzelne Mitglied ausgeübt werden. Auch eine Dritthaftung von Aufsichtsratsmitgliedern gibt es in Deutschland – wie auch im Fall IO – nicht. Die Folgen jeglichen Handelns des Aufsichtsrates trägt die Gesellschaft.

Lediglich das Kriterium des wirtschaftlichen Risikos könnte in Einzelfällen anders zu bewerten sein. Ein solches kann jedoch überhaupt nur angenommen werden, wenn die Vergütung erfolgs-, tätigkeits- oder leistungsabhängig ist. Denkbar sind zum Beispiel Sitzungsgelder oder am Unternehmenserfolg ausgerichtete Vergütungskomponenten. Ob derartige Vereinbarungen indes dazu führen würden, alle anderen Kriterien auszuhebeln und eine selbstständige Tätigkeit der Aufsichtsräte anzunehmen, ist fraglich.

Und das wirtschaftliche Risiko?

Denn selbst in den Folgen einer fahrlässigen Pflichtverletzung eines einzelnen Mitglieds des Aufsichtsrates hat der EuGH kein relevantes wirtschaftliches Risiko gesehen. Eine solche Pflichtwidrigkeit habe keine unmittelbare Auswirkung auf die Vergütung, weil damit ohne besonderes Verfahren keine Entlassung aus dem Amt herbeigeführt werden könne. In dem konkreten Fall wäre eine Entscheidung des gesamten Aufsichtsrates mit Dreiviertelmehrheit erforderlich. Auch dies ist der Abberufung eines deutschen Aufsichtsrates durch Hauptversammlungsbeschluss mit Dreiviertelmehrheit ähnlich.

Wenn zumindest in dem besonderen Verfahren zur Entlassung des Aufsichtsratsmitglieds ein wirtschaftliches Risiko vorliegt, stellt sich wiederum die Folgefrage, ob ein solches alleine ausreichte, um eine selbstständige Tätigkeit bei ansonsten eingeschränkten individuellen Befugnissen zu begründen. Diese Frage wird man hier als offen bezeichnen müssen – wahrscheinlich ist eine solche Einordnung aber nicht.

Wann erfolgt eine Klärung für Deutschland?

Für Gesellschaften in Deutschland stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen künftig noch Umsatzsteuer an Aufsichtsräte bezahlt werden muss beziehungsweise Vorsteuer geltend gemacht werden kann. Dies kann insbesondere für Gesellschaften mit keiner oder eingeschränkter Vorsteuerquote interessant sein. Parallel müssen sich Aufsichtsräte fragen, in welchem Umfang sie Vorsteuern aus Aufwendungen für ihre Aufsichtsratstätigkeit geltend machen und ob dies in Zukunft noch möglich ist. Es ist denkbar, dass künftig durch geeignete Vergütungsregelungen eine bewusste Gestaltung der umsatzsteuerlichen Selbstständigkeit möglich ist.

Für die Vergangenheit dürfte Vertrauensschutz auf Grund der eindeutigen Regelung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass bestehen, wonach die Tätigkeiten von Aufsichtsräten selbstständig ist. Dies hindert aber keine Gesellschaft – aus zivil- und gesellschaftsrechtlichen Gründen gemeinsam mit ihren Aufsichtsräten – in geeigneten Fällen (zum Beispiel niedrige Vorsteuerquote) zu versuchen, sich auf eine denkbare fehlende Umsatzsteuerbarkeit zu berufen und Umsatzsteuer vom Finanzamt für die Vergangenheit zurück zu fordern, soweit die betroffenen Umsatzsteuerbescheide verfahrensrechtlich noch geändert werden können. Bis zu einer Entscheidung des BFH sollte daher im Einzelfall geprüft werden, ob Umsatzsteuerbescheide offengehalten werden können.

Beantworten wird die für Deutschland noch offenen Fragen bald der BFH in dem erwähnten, ausgesetzten Verfahren voraussichtlich bald entscheiden.

Der Autor Dr. Stefan Diemer ist Partner bei Eversheds Sutherland (Germany) LLP. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind unter anderem die Beratung nationaler und internationaler Mandanten bei der steuerlich optimierten Gestaltung laufender Unternehmungen einschließlich Akquisitionen, Verkäufen und Restrukturierungen.

Zitiervorschlag

EuGH stellt Umsatzsteuerpflicht in Frage: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36849 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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