Ende Mai verkündeten Allen & Overy und Shearman & Sterling Fusionspläne. Viktor Winkler erwartet kein Scheitern der Beteiligten, aber den Abschied von einem Geschäftsmodell, das den Markt jahrzehntelang geprägt hat.
Der geplante Zusammenschluss von Allen & Overy und Shearman & Sterling ist der Anfang vom Ende. Er steht für den Übergang zu einer neuen Ära im Rechtsberatungsgeschäft und für den Niedergang eines in die Jahre gekommenen Geschäftsmodells: Es ist das Ende der Ära der Großkanzleien. Das Projekt A&O Shearman ist der Versuch, diese Ära ein letztes Mal um einige Jahre zu verlängern.
Dieser Versuch könnte sogar gelingen. Nahezu alle steilen Thesen, die wir zur Zeit in der Branche zur spektakulären Fusion heiß diskutieren, sind nämlich falsch: Allen & Overy hat nicht erst jetzt die dramatische Chance auf den US-Markt ergriffen (sie ist schon längst da und hat etwa die Hälfte ihres letzten Umsatzplus dort gemacht). Integration ist nicht das Problem (von Hogan Lovells bis Linklaters ging das immer sehr einfach nach dem Motto "love it or leave it", mit übrigens vielen Losern unter den Leavern) und auch die Unternehmenskultur ist nicht das Problem (auch wenn Shearman auf dem Woke-Spektrum vielleicht noch nicht dieselbe Stufe der Erleuchtung erlangt hat wie Allen & Overy).
Auch das vermeintliche Schmerzthema Conflicts of Interest ist eine Fata Morgana (es gelingt den besonders Großen wie Clifford und Skadden alltäglich, ohne Friktionen) und betriebswirtschaftlich ist die Entscheidung ebenfalls überzeugend (auch wenn man hört, dass die Fusion für Allen & Overy nicht ganz so billig war wie die meisten denken).
Tun, was richtig ist
Was machen die Fusionspartner dann falsch? Nichts. Wim Dejonghe ist ein bewährter Innovator. Für die kreative Kraft, mit der er, der erste ausländische Senior Partner der Kanzlei, Allen & Overy positiv verändert hat, erhält er zu wenig Anerkennung. Wenn man der Financial Times glauben darf, wie die Verhandlungen abliefen, haben hier zwei Profis sehr rational und überlegt gehandelt. Und Skalieren ist das, was Sinn macht.
Die beiden Partner tun hier also das, was richtig ist, weil sie allein das Geschäftsmodell der Großkanzleien nicht ändern können. Dieses Geschäftsmodell basiert in seinem innersten Kern noch immer auf einer spektakulären Entdeckung aus den 1930er und 1940er Jahren, vor allem dann der Zeit des "New Deal" in Amerika: Dass nämlich Mandanten bei den damals allerorts einsetzenden Fusionen eine verblüffende Bereitschaft zur Zahlung von sehr hohen und sehr vielen Stundensätzen hatten.
Das war damals und ist bis heute vor allem deshalb verblüffend, weil diese zivilrechtliche Rechtsberatung – bald "M&A-Beratung" genannt – ein Phantom ist: Während die regulatorischen Schranken (Fusionskontrolle, Arbeitsverträge, usw.) nur Nebensache sind, wird zu etwas "beraten", was gar nicht rechtlich normiert ist. Jedenfalls nicht vom Staat, sondern lediglich von den Großkanzleien selbst. Diese haben es mit "M&A" geschafft, ein Rechtsgebiet zu erfinden, das es gar nicht gibt.
Mandanten zahlten dennoch seit der Erfindung dieses Beratungsmodells die mit Abstand höchsten Stundensätze für genau diese Beratung. Warum? Reine Psychologie. Als Maßstab für den Wert der Rechtsberatung setzte man nicht das Risiko (der Nichtberatung) an, sondern den Wert der Transaktion – damit war zum ersten Mal ein Maßstab gefunden, bei dem auch sechsstellige Honorare plötzlich klein aussahen.
Aus diesem Quantensprung an Profitabilität entstand das, was wir Großkanzlei nennen – und erlaubte nicht nur die massenhafte Anstellung von Rechtsanwälten, sondern ein Umsatzmodell, bei dem Rechtsgebiete wie Öffentliches Recht, Arbeitsrecht oder sogar Steuerrecht wie ungeliebte Kinder mitgeschleift werden - wegen des Full-Service-Ansatzes, aber ohne echte Zuneigung.
Fusionspläne als Reaktion auf tektonische Veränderungen
Nun erleben wir den Anfang vom Ende dieses Geschäftsmodells. Es sind nicht nur die Kosten. Mandanten haben in den letzten zwei Jahrzehnten begriffen, dass die Regulatorik ein Bereich ist, der existenzgefährdend für das Unternehmen und karriereendend für den Manager sein kann, während die dritte Due Diligence, auf die der fünfte Partner aus der achten Jurisdiktion aus mysteriösen Gründen nochmal kurz für neun Stunden drüberschauen musste, letztlich für das Gelingen der Fusion so unerheblich war wie die Anmietung von Hochhausbüros, in denen diese Beratung von einem namenlosen Heer von übermüdeten Associates unter Tränen hervorgebracht wird.
Die wohl wichtigste Konsequenz des regulatorischen Zeitalters: Das lokale Recht wird immer wichtiger. Das Märchen von der Internationalität der Rechtsberatung wird zunehmend entzaubert. Und die Koordinierung von mehreren Jurisdiktionen teuer als intellektuelle Gehirnchirurgie zu verkaufen, wird immer schwerer.
Hinzu kommt die Reputationsrevolution, die wir seit einigen Jahren erleben: Reputationsrelevante juristische Fehler haben dramatisch schwerwiegendere unternehmerische Konsequenzen als eine nicht ordentlich formatierte Anlage 7 im Fusionsvertrag.
Mandanten erkennen diese tektonischen Veränderungen längst. Und Allen & Overy reagiert auf sie - mit einer Flucht nach vorn. Das wird eine Zeit durchaus gut gehen, aber eben nicht lange. Dass der Juve-Chefredakteur in fast wörtlicher Wiedergabe der offiziellen Pressemitteilung die Fusion als "zweifellos ein Gamechanger" feiert, ist daher zwar nicht sehr überraschend, aber durchaus unfreiwillig komisch.
Das regulatorische Zeitalter wird eine neue Art der Beratung brauchen: schmaler, günstiger, lokaler und ohne Qualitätsverluste. Noch hat die notwendige Transformation bei den Großkanzleien nicht begonnen. Wie sie umgesetzt werden soll, ist keineswegs klar - nur dass sie kommen wird. Hier gilt der berühmte Rat des großen Yogi Berra: "When you come to a fork in the road, take it."
Prof. Dr. Viktor Winkler, LL.M. (Harvard) ist Rechtsanwalt in Frankfurt am Main.
Fusion zweier Großkanzleien: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52041 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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