Die Anwaltschaft ist in Aufruhr: Ein renommierter Steuerrechtler wurde verhaftet - wegen seiner Beratung zu den umstrittenen Cum-Ex-Deals. Wie konnte es so weit kommen? Und vor allem: Wie lässt sich so etwas künftig verhindern?
Ausgerechnet Freshfields. Es gibt wohl kaum eine Rechtsanwaltskanzlei in Deutschland, die prestigeträchtigere Mandate betreut. Und das seit vielen Jahrzehnten, denn die Sozietät und ihre Vorläufer sind fast 180 Jahre alt. Anwälte der Kanzlei haben im 19. Jahrhundert beim Rückerwerb der Insel Helgoland von Großbritannien beraten, begleiteten in der Nachwendezeit die Treuhandanstalt bei der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft und unterstützten 2008 die Bundesregierung bei der Gesetzgebung zur Finanzmarktstabilisierung.
Und nun soll dieses Anwaltsflaggschiff beim größten Steuerskandal Deutschlands – den Cum-Ex-Aktiendeals - mitgemischt haben? Es sieht ganz danach aus. Einer ihrer Anwälte sitzt seit kurzem in Untersuchungshaft, ihm wird Beihilfe zur Steuerhinterziehung vorgeworfen. Ob die Cum-Ex-Deals tatsächlich illegal waren, ist noch offen. Derzeit läuft beim Landgericht Bonn ein erster Prozess, der klären soll, ob die Akteure nur besonders dreist eine bestehende Gesetzeslücke ausnutzten oder doch Straftaten begingen. Nach einer ersten Einschätzung des Gerichts waren die Aktiendeals strafbar.
Hat das System Großkanzlei versagt?
Wieso aber haben die beteiligten Anwälte ihren moralischen Kompass verloren? Reflexartig sagen jetzt viele Beobachter: Das System der Großkanzleien und deren Prinzip der Profitmaximierung ist schuld daran. Zweifellos, mit der Beratung zu Cum-Ex-Deals ließ sich immens viel Geld verdienen. Und wer Erfolg in einer großen Kanzlei haben will, muss ein Rainmaker sein. Einer, der es Geld regnen lassen kann, sprich: der besonders viel Umsatz einspielt.
Den Gedanken vom Systemversagen unterstützte nicht zuletzt ein ehemaliger Großkanzleianwalt mit seiner Aussage im Bonner Cum-Ex-Prozess: Er sprach von Gier und Skrupellosigkeit, und dies nicht nur bei den Anlegern, sondern auch bei deren Beratern. Dass dem Staat wegen der Transaktionen, bei denen Kapitalertragsteuern zweimal erstattet, aber nur einmal bezahlt wurden, Steuereinnahmen fehlten, hat offensichtlich niemanden interessiert: "Wer ein Problem damit hat, dass wegen unserer Arbeit weniger Kindergärten gebaut werden - da ist die Tür", soll einer der Berater gesagt haben.
Spricht man mit Wirtschaftsanwälten über Cum-Ex, dann fällt auf, dass sie eines auf keinen Fall tun wollen: auf Freshfields einprügeln. Denn dass in der rechtlichen Grauzone beraten wird, kommt durchaus auch an anderen, nicht weniger respektablen Kanzleiadressen vor. Schließlich sei es auch die Aufgabe eines Steuerrechtlers, kreativ zu sein und Schlupflöcher zu finden, ist häufig zu hören.
Die rote Linie überschritten
Allerdings – und darin sind sich die Beobachter einig: Bei Cum-Ex ist die rote Linie überschritten worden. Hier haben Steuerrechtler ein vermutlich strafbares Produkt entwickelt und es in großem Stil vertrieben. Und das nicht nur bei Freshfields, die Mehrheit der Steueranwälte hat das Spiel jahrelang eifrig mitgespielt.
Dass ihnen niemand Einhalt geboten hat, dürfte auch an den Strukturen in den Sozietäten liegen: Es ist innerhalb einer Partnerschaft nicht unbedingt jedem zu jeder Zeit klar, mit welchen Projekten die einzelnen Teams befasst sind. Vielfach wird schlicht nicht nachgefragt. Teilweise, weil wohl das Fachwissen fehlt, um kritische Mandate beurteilen zu können. Teilweise will man es vielleicht auch gar nicht so genau wissen – Hauptsache der Rubel rollt. Wer legt sich schon gerne mit den Rainmakern an?
Denn was droht, wenn ein Anwalt ein Mandat ablehnt, liegt auf der Hand: der Verlust einer Geschäftschance. Der Mandant wird sich umgehend einen willigeren Rechtsberater suchen. Womöglich verliert die Sozietät einen lukrativen Dauermandanten, was - je nachdem, wie stark die Abhängigkeit von ihm ist – wirtschaftlich sehr schmerzhaft sein kann. Hinzu kommt: Gerade in den internationalen Großkanzleien stehen die Partner unter einem immensen wirtschaftlichen Druck. Sie müssen sich peinlichst rechtfertigen, wenn sie ihre Umsatzziele nicht erreichen. Minderleister laufen Gefahr, "herausgemanagt" zu werden.
Hilft eine stärkere Aufsicht?
Da im Fall Cum-Ex offensichtlich die Eigenregulierung innerhalb der Kanzleien versagt hat, werden nun Rufe laut, die Berufsaufsicht zu verschärfen. Diese Aufgabe den Rechtsanwaltskammern zu übertragen, sehen aber mehrere Berufsrechtler durchaus kritisch. Die Kammern verfügten weder über die Kapazitäten, um Verstöße in Kanzleien inhaltlich zu prüfen, noch über ein wirksames Instrumentarium, um sie zu ahnden, heißt es.
Auch die Kammern selbst sind skeptisch. Jan J. Kramer, Mitglied des BRAO-Ausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und Präsident der Rechtsanwaltskammer Oldenburg, sagt gegenüber LTO: "Wir müssen uns davor hüten, einen spektakulären Fall zum Anlass zu nehmen, im Rahmen einer Prävention nach umfassender Überwachung und Kontrolle durch die Rechtsanwaltskammern zu rufen." In der Anwaltschaft spiegele sich der gesellschaftliche Querschnitt wider, auch was strafbare Handlungen anbetreffe. Diese ließen sich im Vorwege nicht verhindern.
Auch ein spektakulärer Einzelfall sei daher nicht geeignet - wenn denn überhaupt die Vorwürfe begründet wären –, eine Überwachung und Kontrolle durch die Rechtsanwaltskammern zu rechtfertigen, so Kramer. Dies wäre im Rahmen der anwaltlichen Selbstverwaltung auch gar nicht leistbar, "schon gar nicht auf ehrenamtlicher Basis". Durch eigene Recherche und Ermittlungstätigkeit strafrechtlich relevantes Verhalten aufzudecken, sei - selbst bei einer unermesslichen Aufstockung von Man Power - für die Rechtsanwaltskammern unmöglich und werde wenig effizient bleiben, zeigt sich der Jurist überzeugt.
Berufsrechtlich folgenlos wird der Fall für den Freshfields-Anwalt dennoch nicht bleiben. Er muss damit rechnen, dass es im Anschluss an eine mögliche strafrechtliche Verurteilung auch zu einem anwaltsgerichtlichen Verfahren kommt. Ihm droht der Verlust der Zulassung.
Versagte bei der "Compliance-Kanzlei des Jahres" die Compliance?
Freshfields ist im Herbst vom Juve-Verlag als "Kanzlei des Jahres für Compliance" ausgezeichnet worden - ein bitterer Treppenwitz in der Cum-Ex-Affäre. Damit liegt natürlich die Frage auf der Hand, ob nicht auch diejenigen, die ihre Mandanten so hervorragend bei der Implementierung von Compliance-Systemen beraten, selbst Nachhilfe benötigen.
"Man kann sich natürlich fragen, ob Kanzleien, deren ureigene Aufgabe es ist, dem Recht zur Geltung zu verhelfen, überhaupt die Position eines Compliance Officers brauchen", sagt der Berufsrechtler Professor Volker Römermann im Gespräch mit LTO. Letztlich ziehe ein Compliance Officer aber vor allem Strukturen ein, mit denen Gesetzesverstöße unmöglich gemacht oder zumindest fühlbar erschwert werden. Und dies könnten auch Rechtsanwaltskanzleien tun.
"Es ist durchaus denkbar, dass eine Art kanzleiinterner Prüfstelle sich kritischer Themen annimmt und gefahrengeneigte Gebiete genau unter die Lupe nimmt. In der Steuergestaltung ist man immer in Gefahr, gegen Normen zu verstoßen. Aber es gibt auch viele andere Bereiche der anwaltlichen Tätigkeit, die ähnlich kritisch sind", sagt Römermann.
Wertekodex statt Compliance Officer
Allerdings: Für Sozietäten wird es auch in Zukunft nicht verpflichtend, die Position eines Compliance Officers einzurichten – zumindest nicht in absehbarer Zeit. Bei der Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ist das laut dem Referentenentwurf nicht vorgesehen.
Die Ablehnung kommt insbesondere aus den Berufsverbänden. Es gebe bereits ein Geflecht von berufsrechtlichen Regelungen, hinzu kämen datenschutzrechtliche Bestimmungen und die Bestimmungen nach dem Geldwäschegesetz, sagt BRAK-Vertreter Kramer. Zudem zeige gerade das Beispiel der Cum-Ex-Geschäfte, wie komplex einzelne Sachverhalte sein können. Deren Beurteilung sei höchst problematisch, insbesondere unter Zeitdruck. "Niemand kann einen 'kurzen Prozess' durch die anwaltliche Selbstverwaltung oder durch Compliance Officers in diesen Fällen ernstlich fordern", so Kramer.
Markus Hartung, Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses beim Deutschen Anwaltverein (DAV), sagt, es gebe gute Gründe, warum der Compliance Officer im Zuge der BRAO-Reform eben nicht zur Pflicht werden soll. Seinen Worten zufolge wollte man den Kanzleien nicht vorschreiben, wie die Einhaltung der Berufspflichten gewährleistet werden soll. Wichtig sei das Ziel, nicht der Weg dorthin. "Die Kanzleien sollen in ihrer Struktur verankern, dass die Berufspflichten eingehalten werden", sagt Hartung.
Strukturen statt Pöstchen
So steht es nun auch im Referentenentwurf: Die Anwälte sollen verpflichtet werden, die Einhaltung des Berufsrechts in ihrer Sozietät gesellschaftsvertraglich und faktisch zu sichern. Wie sie das machen, bleibt ihnen selbst überlassen.
Hartung schlägt dafür eine Art kanzleiinterne Ethik-Kommission vor. "Das sollte ein Gremium in der Sozietät sein, dem der Seniorpartner angehört und ein bis zwei andere Partner, die allseits Respekt genießen." Hier müsse in Offenheit über Beratungsmandate gesprochen werden, die gesellschaftlich relevant oder rechtlich hoch riskant sind. Aufgabe des Gremiums sei es dann, so Hartung, einen Wertekodex zu entwickeln und zu halten. Darüber müsse ein Konsens in der Partnerschaft hergestellt werden, was auch bedeute, dass man bei finanziellen Einbußen zusammenstehe.
Beratungsrichtlinien gibt es auch bei Freshfields
Gremien, wie Hartung sie im Sinn hat, gibt es in einigen Sozietäten bereits. In anderen Kanzleien werden zumindest verbindliche Beratungslinien und Richtlinien für die Mandatsannahme festgelegt. So im Übrigen auch bei Freshfields. "Wir wenden vor der Annahme neuer Mandanten und vor Annahme jedes einzelnen Mandats ein mehrstufiges Prüfungsverfahren an", teilt ein Sprecher auf LTO-Anfrage mit.
Diese Prüfung umfasse eine Untersuchung auf mögliche rechtliche oder kommerzielle Konflikte, geklärt werde auch, ob dem Mandat gesetzliche Hinderungsgründe entgegenstehen – etwa Beschränkungen im Außenhandel aufgrund internationaler Sanktionen. "Wir prüfen auch, ob Mandate gegen unsere Regeln für 'Responsible Business' verstoßen oder in anderer Weise mit Reputationsrisiken verbunden sind", so der Kanzleisprecher weiter. Ob diese Regelungen schon zu Zeiten der Cum-Ex-Deals angewandt wurden, darüber macht Freshfields keine Angaben – mit Verweis auf laufende Verfahren und anwaltliche Verschwiegenheitsverpflichtungen.
Lassen sich mit Gremien und Richtlinien Auswüchse wie im Fall von Cum-Ex verhindern? Vermutlich nicht, denn auch eine Ethik-Kommission kann unethisch handeln und gegen Richtlinien kann man verstoßen. Allerdings zwingen solche Strukturen die Anwälte dazu, zumindest einmal kurz über Werte und Moral nachzudenken, wenn ein besonders lukratives Mandat lockt.
Lehren aus dem Cum-Ex-Skandal: . In: Legal Tribune Online, 10.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39161 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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