Er verteidigt Deniz Yücel und nun auch sich selbst: Der Anwalt Veysel Ok über einen politischen Prozess gegen ihn, seine Arbeit als juristischer "Schachspieler", das Ende des Rechtsstaats in der Türkei und Hoffen auf den EGMR.
LTO: Herr Ok, in Deutschland haben wir intensiv die Inhaftierung und die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel verfolgt. Sie sind sein Anwalt. Jetzt wird Ihnen selbst der Prozess gemacht – wer verteidigt Sie?
Veysel Ok: Ich verteidige mich selbst. Unterstützung bekomme ich von der Media and Law Studies Association, eine NGO, die ich mitgegründet habe. Ich freue mich, dass Deniz mittlerweile frei ist, aber das hat natürlich nichts an der Lage geändert, in der Anwälte in der Türkei arbeiten.
LTO: Wie würden Sie den Zustand des Rechtsstaats in der Türkei beschreiben?
Ok: Es gibt keinen Rechtsstaat mehr. In der Vergangenheit haben wir immer wieder kritisiert, dass es Mängel an der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei gibt und der Rechtsstaat erodiert. Mittlerweile sind mehr als 3000 Richter entlassen worden, zahlreiche verhaftet, sowie über 600 Anwälte inhaftiert. Das Land wird durch Dekrete in einem Ausnahmezustand gelenkt, das Parlament spielt nur noch eine Nebenrolle. Das deutet auf eine totale Abwesenheit des Rechtsstaats hin.
"Es läuft ein politischer Prozess gegen mich"
LTO: Sie sind wegen eines Interviews im Dezember 2015 angeklagt worden, damals haben Sie sich kritisch zur Justiz in der Türkei geäußert, die Richter seien nicht unabhängig.
Ok: Was ich in dem Interview gesagt habe, ist eine klare Aussage, und ich stehe immer noch dazu. Dass das allerdings Folgen haben kann, bekomme ich natürlich zu spüren.
LTO: Ihnen wird vorgeworfen, die türkische Justiz beleidigt zu haben…
Ok: Ursprünglich wurde mir von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan beleidigt zu haben. Aber weil in dem besagten Interview nicht ein einziges Wort zu Erdogan auftaucht, hat die Staatsanwaltschaft den Vorwurf geändert. Er lautet nun auf Beleidigung der türkischen Justiz. Die Anzeige kam aus dem Präsidentenbüro, das zeigt ganz klar, dass gegen mich ein politischer Prozess läuft.
LTO: Wie ist es für Sie in dieser Situation als Anwalt zu arbeiten, geht das überhaupt noch?
Ok: Ich sehe mich nicht mehr allein als Rechtsanwalt in einem strengen Sinne, meine Arbeit geht darüber hinaus. Ich versuche mit der NGO die Prozesse auf eine internationale Eben zu bringen. Wir setzen viel Hoffnung auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
LTO: Ist das die Entwicklung von einem Rechtsanwalt hin zu einem Aktivisten?
Ok: Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich verlasse mich weiterhin auf meine Erfahrungen und mein Wissen als Jurist. Hier bei der NGO arbeiten wir mehr wie Wissenschaftler in einem Think Thank. Wir spielen dabei quasi Schach. Vor jedem Schritt denken wir drei Schritte - und zwar auch die des Gegenspielers - weiter, überlegen was der nächste Schritt der Regierung und der Justiz sein könnte. Es ist also alles in allem ein Arbeiten, das weiter geht als der frühere Berufsalltag eines Anwalts in der Türkei.
"Nicht nur eine Verfassungskrise, sondern eine Staatskrise"
LTO: Zuletzt haben Sie mit Ihrer Strategie offenbar Erfolg gehabt. Der EGMR hat in einem Fall von zwei inhaftierten Journalisten, den Sie nach Straßburg gebracht haben, die Türkei verurteilt – allerdings zugleich betont, dass er insbesondere das türkische Verfassungsgericht immer noch als effektive Beschwerdeinstanz sieht und damit zunächst der Rechtsweg in der Türkei komplett ausgeschöpft werden muss. Eine deprimierende Botschaft?
Ok: Die letzten Entscheidungen des Gerichts waren für mich eher ernüchternd. Insbesondere, weil das Gericht für mich die europäischen Werte und die Garantie für Rechtsstaatlichkeit verkörpert. Diese Entscheidungen haben aber nun konkret zur Folge, dass Menschen länger in Haft bleiben müssen, weil ihre Fälle nicht so schnell zum EGMR gelangen. Das ist enttäuschend, aber es entmutigt mich nicht.
LTO: Auf den EGMR sollen zehntausende Verfahren zukommen von Menschen, die nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 gegen ihre Entlassung aus dem öffentlichen Dienst oder ihre Inhaftierung klagen. In welcher Lage sehen Sie das Gericht?
Ok: Aus meiner Sicht ist der EGMR in eine Situation versetzt worden, in der er wählen muss zwischen einer immensen Arbeitsbelastung und der Sicherung von Menschenrechten, und er sollte sich in jedem Fall für die Wahrung der Menschenrechte entscheiden.
LTO: In dem Fall der beiden inhaftierten Journalisten kam es zu einem offenen Kräftemessen zwischen dem türkischen Verfassungsgericht und dem Istanbuler Strafgericht, das die Entscheidung des Verfassungsgerichts einfach ignorierte. Das wurde innerhalb und vor allem außerhalb der Türkei als Verfassungskrise beschrieben. Wie hat die Türkei das verkraftet?
Ok: Man darf das nicht nur als Verfassungskrise beschreiben, sondern als Staatskrise. Es ist vielmehr ein Anzeichen dafür, dass Staatsorgane und ihr Gefüge kollabieren. Die Türkei hat sich davon nicht erholt. Und genauso wenig hat sie darauf reagiert.
LTO: Inwiefern?
Ok: Mehmet Altan, einer der beiden Journalisten, ist trotz der Entscheidungen des Verfassungsgerichts und des EGMR, immer noch im Gefängnis. In dieser Frage hat die Türkei keine Lösung geschaffen. Und es sieht auch nicht so aus, als hätte sie die Absicht sie zu lösen.
"Ich habe nie gezögert, weiter meinen Job zu machen"
LTO: Herr Ok, Sie sind trotz der Anklage nicht in Haft…
Ok: Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 wurde ich viele Male von regierungsnahen Medien angegriffen, es gab Zeitungsberichte über mich und sogar einen eigenen TV-Beitrag. Ich habe seitdem immer befürchtet, dass es passieren könnte. Ich habe mit meinen Kollegen hier im Büro sogar schon Vorbereitungen getroffen. Wir haben überlegt, wie können wir weiterarbeiten, wenn ich inhaftiert werde. Aber ich habe nie gezögert, weiter meinen Job zu machen.
LTO: Ist Ihre Entscheidung offen zu sprechen auch eine Entscheidung sich durch die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in den Medien selbst eine Art Schutzschild zuzulegen?
Ok: Ja, es kann wie ein Schutzschild wirken. Aber ich will hinzufügen, dass es keinen Sinn macht, nach rationalen Gründen zu suchen, wer im Gefängnis landet und wer nicht. Wenn sie dich holen wollen, dann holen sie dich. Es gibt nichts, was sie stoppen kann.
LTO: Wie geht es denn nun in Ihrem Prozess weiter, zuletzt wurde ein Entscheidungstermin Anfang Mai vertagt?
Ok: Mein Prozess sollte eigentlich schon vor zwei Sitzungsterminen zum Abschluss kommen. Aber der zuständige Richter konnte offenbar noch keine Entscheidung treffen und will noch weiter die Akten auszuwerten. Aus meiner Sicht gibt es in den Akten nichts auszuwerten. Nun ist der nächste Termin für den 4. Juli 2018 angesetzt und da wird es wohl ein Urteil geben.
LTO: Was hat Sie dazu bewegt Jurist und Anwalt zu werden?
Ok: Ich bin in Diyarbakir geboren, einer Stadt im Südosten der Türkei, die Mehrheit der Menschen dort sind Kurden. Ich bin dort in den 1990er Jahren aufgewachsen, einer Zeit in der die Gewalt des Staates in der Region sehr heftig war. Ich war ein Zeuge dieser Zeit. Für meine Familie und mich war der Beruf des Anwalts ein besonderer Beruf, viele Juristen in der Region waren Opfer von ungeklärten Mordfällen. Mein Gerechtigkeitsempfinden hat mich dazu gebracht Jura zu studieren. Seit 2006 bin ich Anwalt und vertrete vor allem Mandanten in presserechtlichen und in strafrechtlichen Verfahren.
LTO: Obwohl ihr Mandant Deniz Yücel frei ist und nach Deutschland zurückgekehrt ist, läuft in Istanbul immer noch ein Verfahren gegen ihn, was ist da denn Stand der Dinge?
Ok: Der erste Verhandlungstermin wird am 28. Juni 2018 stattfinden, und wir bereiten uns gerade darauf vor.
LTO: Noch eine letzte Frage: Ihr Twitter-Kürzel ist @shemmoshemmo, ein Spitzname von Ihnen?
Ok: Ha! Vor sieben Jahren hatte ich eine Katze, sie war halb persisch, halb eine Ankarakatze. Und sie hatte die Farbe einer Melone, einer kleinen Melone. Shemmo heißt auf Kurdisch "kleine Melone". Ich habe damals auf Twitter den Namen meiner Katze angegeben und immer noch nicht geändert. (lacht) Und das auch nicht obwohl mich Freunde und Kollegen immer dazu drängen.
Das Interview wurde auf Englisch geführt.
Markus Sehl, Interview mit Deniz-Yücel-Verteidiger Veysel Ok: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29149 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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