Wegen überlanger Verfahrensdauer am LG Potsdam kommt ein verurteilter Ex-NPD-Politiker auf freien Fuß. Bereits im Dezember war ein verurteilter Mörder in Brandenburg freigelassen worden. Die Versäumnisse beschäftigen nun die Politik.
Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hat den ehemaligen NPD-Politiker Maik Schneider aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Gericht begründete am Donnerstag die Freilassung mit vermeidbaren Verzögerungen durch die Justiz in dem Verfahren, die sich auf mehr als sechs Monate summiert hätten. Der 31-Jährige steht seit Oktober vor dem Landgericht (LG) Potsdam in einem Revisionsprozess wegen des Brandanschlags auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft im August 2015 in Nauen (Havelland).
Schneider war wegen des Brandanschlags und weiterer Delikte bereits im Februar 2017 vom LG zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Dieses Urteil war wegen der Befangenheit eines Schöffen vergangenes Jahr vom Bundesgerichtshof (BGH) aufgehoben worden , und der Prozess ging nun in die Neuauflage.
Der Verteidiger Schneiders, der Potsdamer Rechtsanwalt Sven-Oliver Milke, zeigte sich gegenüber LTO nicht überrascht von der Entscheidung des OLG zur Freilassung. "Seit 2015 hat das Bundesverfassungsgericht in einer ganzen Reihe von Untersuchungshaftfällen Eilanträge wegen überlanger Verfahrensdauer zugunsten der Häftlinge entschieden." Entscheidend sei, dass es dabei um "hausgemachte" Versäumnisse der Justiz gehe.
Verteidiger: "Irgendwann knallt es"
Im Kern seien zwei Gründe ausschlaggebend gewesen, so Milke gegenüber LTO. Zum einen seien zwischen Urteilsabsetzung und Urteilszustellung vier Monate vergangen. "Das ist Zeit, die einem für die Revision dann einfach fehlen", sagt Milke. Zum anderen habe es Versäumnisse bei der Verhandlungsdichte gegeben. "In dem Verfahren haben wir nur alle 14 Tage mal einen halben Tag gefunden." Die Richter am LG Potsdam hätten einfach nicht mehr Termine organisieren können. Diese Missstände am Gericht seien auch ein offenes Geheimnis, so Milke. "Irgendwann knallt es dann". Schneider war wegen dem Haftgrund der Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, begründet wurde diese damit begründet, dass er eine hohe Strafe zu erwarten habe.
Schneider war im März 2016 festgenommen worden und saß somit seit knapp drei Jahren in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow in Untersuchungshaft. Das Landgericht hatte die Freilassung Schneiders im Dezember abgelehnt. Dagegen hatte Milke beim OLG Beschwerde eingelegt. Die Pressestelle des OLG Brandenburg war am Donnerstag für eine Stellungnahme nicht mehr erreichbar. Auch die Pressestelle des LG Potsdam war nicht mehr für eine Stellungnahme erreichbar.
Das LG Potsdam schon wieder ein Fall für den Rechtsausschuss
Bereits im Dezember 2018 hatte das OLG Brandenburg einen wegen der Ermordung seiner Ehefrau verurteilten Mann wegen überlanger Verfahrensdauer am LG Potsdam freigelassen . Damals hatte Justizminister Stefan Ludwig (Linke) eingeräumt, dass die Gerichte wegen Personalabbaus hoch belastet seien. Im konkreten Fall aus Dezember habe es sich aber um einen "individuellen Fehler" des Vorsitzenden Richters gehandelt, der das Protokoll der Verhandlung zu spät fertiggestellt habe.
Die Freilassung Schneiders wird nun auch zum Rechtspolitikum. Mit dem Fall soll sich auch der Rechtsausschuss im Brandenburger Landtag befassen. Die CDU-Fraktion, die sich in der Opposition befindet, teilte am Donnerstag mit, sie habe für kommenden Dienstag eine Sondersitzung des Ausschusses beantragt. "Erst Sexualstraftäter, dann ein Mörder und jetzt ein Rechtsextremist: In Brandenburg kommen Straftäter auf freien Fuß, weil die Justiz unterbesetzt ist", sagte Fraktionschef Ingo Senftleben. "Richter und Staatsanwälte warnen seit Jahren, aber SPD und Linke sind untätig geblieben."
Aus Sicht der Opposition im Brandenburger Landtag trägt die Landesregierung die Verantwortung für die Freilassung von Straftätern: Sie habe die Justiz nicht mit ausreichend Personal ausgestattet. Nun müsse Justizminister Stefan Ludwig zu den Missständen in der Justiz Stellung nehmen, forderte der CDU-Rechtsexperte Danny Eichelbaum. Auch Grünen-Fraktionschefin Ursula Nonnemacher erklärte, die Freilassung einer "Symbolfigur der rechtsextremen Szene" werfe erneut Fragen zur Arbeitsfähigkeit der Gerichte auf.
Verärgerung und Irritation in der Landespolitik
Der SPD-Rechtsexperte im Brandenburger Landtag, Erik Stohn, reagierte irritiert auf die Freilassung von Schneider: "Ich finde die Entscheidung des OLG unverständlich." Er sei sehr gespannt auf die schriftliche Begründung der Entscheidung, die am 15. Januar vorliegen solle. "Von daher sehe ich kein Bedürfnis für eine von der CDU-Fraktion beantragte Sondersitzung des Rechtsausschusses am 8. Januar, da zu diesem Zeitpunkt keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind", so Stohn. Er verwies darauf, dass die Koalition im nächsten Doppelhaushalt 300 zusätzliche Stellen in der Justiz geschaffen habe.
Die Linke-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige erklärte, es sei ihr unverständlich, welche Prioritäten das LG in dem Verfahren gegen Schneider gesetzt habe. "Als Koalition haben wir auf die angespannte Lage in der Justiz reagiert und neue Richterstellen geschaffen", sagte Johlige. "Jetzt sind alle Verfahrensbeteiligten gefordert, das Verfahren so schnell wie möglich zu beenden, um den Täter wieder aus dem Verkehr zu ziehen."
Nach Angaben des Verteidigers sollte Schneider das Gefängnis noch am Donnerstag verlassen. Der Haftbefehl gegen Schneider sei ohne Auflagen aufgehoben worden, betonte Milke. Sein Mandant werde sich aber "selbstverständlich" weiter dem Prozess stellen.
Mit Material der dpa
OLG zu überlanger Verfahrensdauer: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33013 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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