Parallel zum Jahrespresseempfang entschied die erste Kammer des Zweiten Senats einen dringenden Abschiebefall. Christian Rath gibt einen Einblick, wie das höchste deutsche Gericht in solchen Fällen vorgeht.
"Wo ist Ulrich Maidowski?", fragte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Andreas Voßkuhle hatte den Journalisten gerade berichtet, dass sich die Zahl der Asylfälle stark erhöht hat, auf knapp 400 im Jahr 2017, während die Eingangszahlen in Karlsruhe insgesamt relativ stabil blieben. Näheres sollte Ulrich Maidowski schildern, der für das Asylrecht federführende Richter. Doch Maidowski war nicht da. Er saß in seinem Dienstzimmer, weil eine Rechtsanwältin ganz kurzfristig einen Eilantrag gestellt hatte. Sie versuchte, eine bereits laufende Abschiebung nach Afghanistan zu stoppen.
Das BVerfG muss solche Fälle unter extremem Zeitdruck entscheiden, weil die Betroffenen meist erst am Morgen erfahren, dass sie abends abgeschoben werden sollen. Die Verfassungsrichter haben die Innenminister informell schon oft darauf hingewiesen, dass ein rechtstaatliches Verfahren so nur sehr schwer zu gewährleisten ist. Bisher ohne Erfolg.
Die Verfassungsrichter haben daher angeregt, dass Anwälte und Verwaltungsgerichte ihnen möglichst früh signalisieren sollen, dass ein Fall zum BVerfG kommen könnte. So können sich die Richter der zuständigen Kammer (Ulrich Maidowski, Sybille Kessal-Wulff, Andreas Voßkuhle) zumindest zeitlich darauf einrichten, dass am nächsten Tag oder in wenigen Stunden mit einem Eilfall zu rechnen ist. Am Tag der Jahrespressekonferenz waren zwei Eilfälle angekündigt.
Oft nur zwanzig Minuten Zeit
Bevor sich das BVerfG mit einer Abschiebung befasst, muss allerdings erst der Rechtsweg erschöpft werden. In asylrechtlichen Eilverfahren ist er kurz und beschränkt sich auf das Verwaltungsgericht (VG). Im Aufenthaltsrecht - zum Beispiel, wenn ein ausgewiesener Straftäter abgeschoben werden soll - sind es immerhin zwei Instanzen bis zum Verwaltungsgerichtshof (VGH)/Oberverwaltungsgericht (OVG).
Die Befassung der VG hat dabei nicht nur formale Bedeutung, immer wieder haben die Rechtsmittel auch Erfolg. Am Dienstag kommt eines der beiden angekündigten Verfahren gar nicht nach Karlsruhe, weil bereits der VGH Mannheim die Abschiebung gestoppt hat. Die Abschiebung, mit der Ulrich Maidowski sich nun beschäftigen musste, hatte das VG München aber nicht beanstandet.
Meist entscheiden die VG bis 17 Uhr. Die Abschiebeflüge starten oft bereits um 20.30 Uhr. Die Verfassungsrichter versuchen dann, noch vor dem Start des Flugzeugs über gestellte Eilanträge zu entscheiden. Manchmal haben sie dafür nur zwanzig Minuten Zeit. An diesem Abend kam der Eilantrag noch später und das Flugzeug startete noch früher. Als die Akten bei Maidowski auf dem Tisch lagen, war die Maschine schon in der Luft.
Zugriff, bis die Maschine in Kabul landet
Dennoch hakte Maidowski den Fall nicht ab. Die Bundespolizei* hatte ihm mitgeteilt, dass es nach drei Stunden eine Zwischenlandung in Tiflis (Georgien) geben wird. Wenn die Kammer bis dahin dem Eilantrag stattgegeben hätte, könnten zwei Bundespolizisten mit dem Afghanen aussteigen und per Linienflug nach Deutschland zurückkehren. Zugriff haben die Verfassungsrichter, bis die Abschiebemaschine morgens früh um 6 Uhr in Kabul landet. Es gab auch schon Fälle, bei denen ein Afghane nach einer Karlsruher Nachtentscheidung nicht austeigen musste und zurückreisen konnte.
Wenn ein neuer Eilantrag eingeht, sortieren und prüfen zunächst drei Mitarbeiter von Maidowski die Akten. Im konkreten Fall waren es achtzig Seiten. Es gab aber auch schon Eilanträge mit 500 Seiten Anlagen. Oft sind die Unterlagen hastig zusammengestellt und lückenhaft. Die Mitarbeiter fassen den Sachverhalt zusammen und geben Stellungnahmen ab. Oft sind sie sich nicht einig. Maidowski findet das gut. Er hat sein Team bewusst heterogen zusammengestellt, um Routine zu vermeiden.
Nachdem die Mitarbeiter den Fall sortiert haben, liest Maidowski selbst die Akten und macht sich ein eigenes Bild. Wenn er es für notwendig hält, die Abschiebung zu stoppen, informiert er Kessal-Wulff und Voßkuhle - auch mitten in der Nacht. Sie diskutieren den Fall dann im Gericht oder per Telefon. Für eine einstweilige Anordnung sind alle drei Stimmen der dreiköpfigen Kammer erforderlich.
Was das BVerfG prüft
Im konkreten Fall wollte Maidowski auf eine Karlsruher Intervention verzichten. Um 22.30 Uhr gab er Kessal-Wulff und Voßkuhle kurz Bescheid. Der Jahrespresseempfang lief noch. Am nächsten Morgen wollen sie den Fall noch einmal gründlich durchsprechen, auch mit Blick auf die schriftliche Begründung.
Ob der Asylantrag zu Recht abgelehnt wurde, prüft Maidowskis in solchen Fällen nicht. Er prüft auch nicht, ob dem Abzuschiebenden in Afghanistan aufgrund der Sicherheitslage Gefahr droht. Er prüft nur, ob die Verwaltungsgerichte den Fall ausreichend untersucht haben.
Diesen Maßstab nutzt das BVerfG nicht nur bei Entscheidungen über Eilanträge, sondern auch bei der endgültigen Prüfung von Verfassungsbeschwerden. Karlsruhe betreibt insofern also vor allem justizielle Qualitätskontrolle, überlässt die eigentlichen Entscheidungen aber den Fachgerichten. Wenn die Verfassungsrichter einem Eilantrag stattgeben, heißt das auch nicht, dass der Ausländer in Deutschland bleiben kann. Er bekommt aber eine neue Prüfung seines Falles durch die Verwaltungsgerichte.
*Hier stand zunächst "Bundesgrenzschutz". Der Grenzschutz zählt zu den Aufgaben der Bundespolizei. Korrektur um 13:45.
Christian Rath, Asyl-Eilfälle am BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 21.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27133 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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