Jedes halbe Jahr vermelden Innenministerium und BKA zu einem Aktionstag gegen Hasspostings bundesweit Durchsuchungen – spart die Polizei dafür Fälle auf und wie verhindert sie, dass Ermittlungen dabei gefährdet werden?
Über mehr als 130 Polizeimaßnahmen in 16 Bundesländern berichteten vergangene Woche Medien von der Aachener Zeitung bis Stern.de. Tagesschau.de vermeldete eine "bundesweite Razzia", es wurde durchsucht und vernommen, Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte: "Wer im Netz Hass und Hetze verbreitet, bekommt es mit der Polizei zu tun." Der 9. Aktionstag gegen Hasspostings vom Bundeskriminalamt (BKA) war eine groß angelegte polizeiliche PR-Aktion – aber mit echten Fällen.
Die zahlreichen Durchsuchungen von Wohnungen und die Vernehmungen von Verdächtigen stehen in keinem Zusammenhang, sie richten sich nicht gegen eine Gruppe, vielmehr sind es gesammelte Einzelfälle aus dem laufenden Ermittlungsbetrieb. Und so stellt sich die Frage, sparen sich Staatsanwaltschaften und Polizei in den Ländern eigentlich auf Vorrat Fälle auf, um ihre Beamten dann an einem festgelegten Aktionstag loszuschicken?
Wie kommt es zu einem solchen Aktionstag mit echten Fällen?
Nach Informationen von LTO wird das Datum für den Aktionstag vom BKA in Abstimmung mit den Bundesländern festgelegt. Wenn es sogar als ein europaweites Format wie etwa 2020 angelegt ist, kommt der Termin von Europol. Es sind – mit Blick auf den Überraschungseffekt einer Durchsuchung – keine fixen, jährlich wiederkehrenden Kalendertage.
Das BKA fragt unmittelbar vor einem geplanten Aktionstag bei den Landeskriminalämtern in den Ländern nach Fällen, die wiederum die Anfrage an die Polizeibehörden vor Ort weiterreichen, so erklärt es der Pressesprecher des Landeskriminalamts (LKA) Düsseldorf. Die Polizeistellen in den Landkreisen entscheiden dann selbstständig, welche Fälle sich eignen und wo Durchsuchungen oder andere Maßnahmen anstehen. Fälle, bei denen ohnehin eine Durchsuchung oder Vernehmung ansteht, werden dann auf den Aktionstag gelegt. Das wird dem LKA bzw. dem BKA gemeldet, so wissen die Behörden, welche Anzahl an Maßnahmen für den Aktionstag zusammenkommt.
Dieses Zuwarten bis zu dem Termin ist rechtlich in diesen Fällen unproblematisch: Wenn Gerichte Durchsuchungsbeschlüsse abgesegnet haben, werden diese der Polizei mit der Bitte um Vollstreckung übermittelt. Wann die Polizei die Beschlüsse umsetzt, liegt aber regelmäßig in ihrem Ermessen. Praktisch für das Format Aktionstag, so kann man Beschlüsse sammeln.
Nachteile seien durch das Aufsparen nicht zu erwarten, da keine dringenden Maßnahmen für den Aktionstag gebündelt werden, heißt es bei beteiligten Staatsanwaltschaften. "Im Fall von Straftaten ist die Polizei an das Legalitätsprinzip gebunden. Ein schuldhaftes Verzögern strafverfolgender Maßnahmen ist nicht statthaft", teilt ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) Bayern auf eine Anfrage von LTO mit.
Damit ist aber natürlich nur die rechtliche Vorgabe beschrieben, eine nähere Antwort zu tatsächlichen Risiken enthält die Antwort nicht. Nach Nachteilen durch mögliche Verzögerungen gefragt, antwortet die Polizei Berlin: "Zum polizeitaktischen Vorgehen wird grundsätzlich keine Auskunft gegeben. Durch die zuständige Fachdienststelle erfolgt eine sorgfältige Prüfung der infrage kommenden Maßnahmen unter Berücksichtigung möglicher Nachteile für das Ermittlungsverfahren." Das BKA will die Frage nicht beantworten und verweist auf die Durchführung durch die Landeskriminalämter.
Kriminologe: "Mit Aktionstag soll kommuniziert werden, dass Strafverfolgung nun stattfindet"
Für die Auswahl der Fälle für einen "Hassposting"-Aktionstag gibt es keine allgemeinen Vorgaben zu den Kriterien, auch hier arbeiten die Polizeibehörden bei der Zusammenstellung in eigener Sache.
Was "Hasspostings" sind, das lässt sich gar nicht so genau fassen, wie etwa auch die Diskussion um ein neues Digitales Gewaltschutzgesetz zeigt. Typischerweise wird die Polizei an den Aktionstagen aber wegen des Verdachts der Volksverhetzung, der Billigung von Straftaten und der Beleidigung tätig, alles Tatbestände des Strafgesetzbuches.
Für den Aktionstag gäbe es auch keine Mindestzahl an Fällen, die zusammenkommen muss, heißt es beim LKA Düsseldorf. Beim letzten Aktionstag im November 2022 wurden 90 Polizeimaßnahmen in 14 Bundesländern durchgeführt, auch damals waren es Durchsuchungen und Vernehmungen. Der erste solche Aktionstag zur Bekämpfung von Hasspostings fand im Jahr 2016 statt, wie ein Sprecher der Polizei Berlin auf Anfrage erklärt. Ziel eines solchen Aktionstages sei es, Aufmerksamkeit auf die strafrechtliche Relevanz von Hasspostings zu lenken und damit eine generalpräventive Wirkung zu erzielen. Die Staatsanwaltschaft Göttingen nutzt die Aktion auch, um auf ihre Meldeplattform "hassanzeigen.de" hinzuweisen, das BKA bewirbt die Onlinewachen, sowie die Meldestellen "Hessen gegen Hetze" und REspect! und den digitalen Weg zu den Landesmedienanstalten.
"Es ist offensichtlich, dass die Strafverfolgungsbehörden solche Taten bislang nur sehr punktuell verfolgt haben und verfolgen konnten", sagt Rechtsprofessor Tobias Singelnstein, Kriminologe und Polizeiforscher an der Uni Frankfurt am Main. Als Gründe sieht er u.a. Schwierigkeiten bei den Ermittlungen, etwa bei der Identifikation der Beschuldigten. Lange Zeit seien auch andere Schwerpunkte gesetzt worden, Hassposting sei nicht als relevanter Deliktsbereich angesehen worden. "Der Aktionstag dient offenbar dazu, öffentlich sichtbar zu kommunizieren, dass eine solche Strafverfolgung nun zunehmend stattfindet."
Laut BKA hatte die Polizei im Jahr 2022 fast 3400 Fälle von Hasspostings registriert – im Jahr zuvor waren es rund 2410. Zudem würden viele strafrechtlich relevante Posts nicht angezeigt. Insofern sei von einem großen Dunkelfeld auszugehen.
Mit dem nächsten Aktionstag ist im November zu rechnen.
Durchsuchung und PR-Effekt: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52042 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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