Home-Office

Das bessere Büro

Nina Anika KlotzLesedauer: 6 Minuten
Auf Arbeit lässt es sich schlecht arbeiten. Das behauptet der US-Amerikaner Jason Fried. Der Autor und Unternehmer macht diese These an einer nicht repräsentativen Umfrage unter Freunden fest. "Ich habe gefragt: Wenn du wirklich konzentriert an einer Sache arbeiten musst, wo kannst du das am Besten?" Nicht ein einziger der Befragten antwortete "Na, auf Arbeit!" oder "Im Büro natürlich".

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Stattdessen bekam er die unterschiedlichsten Antworten von "auf der Terrasse" über "in dem kleinen Zimmer im Keller" über "im Flugzeug" bis "egal wo, aber es muss ganz spät nachts sein". Fried fragte sich, woran das liegt und kam zu folgender Theorie: "Arbeit und Schlaf", so der Unternehmer, "sind eng miteinander verwandt. Beides verläuft in Phasen. Die späteren Phasen sind die wichtigeren. Die erreicht man aber nur, wenn man ungestört die vorausgehenden Phasen durchwandern kann." Und da war das Stichwort: Ungestört. Niemand ist in einem Büro ungestört, findet Fried. Ständig wird man durch Telefonanrufe, Meetings, Fragen des Chefs oder Gespräche der Kollegen gestört. Die Flucht auf die Terrasse oder in den Keller des eigenen Zuhauses ist für Fried eine logische Folge dieser Störungen. "Zu Hause können Menschen viel besser arbeiten im Büro." Stimmt das denn? Können Menschen zu Hause tatsächlich produktiver sein als in einem Büro, einem Ort also, wo alles darauf ausgerichtet sein sollte, dass Menschen dort produktiv sind? Warum gehen wir dann überhaupt noch jeden Morgen dort hin? Fakt ist, dass eine große Zahl von Arbeitnehmern davon träumt, nicht jeden Morgen in die Kanzlei oder das Büro tapern zu müssen, sich an den grauen Schreibtisch zu setzen und erst abends, wenn es draußen schon wieder dunkel ist, nach Hause zu fahren. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2010 wünschen sich sogar mehr als die Hälfte aller Berufstätigen, ab und zu oder gar immer von zu Hause arbeiten zu können. Dabei wird das von Jason Fried genannte Argument, dass man sich dort besser auf seine Arbeit konzentrieren kann, nur selten als Begründung angeführt. Fast allen Befragten geht es in erster Linie darum, durch das Arbeiten aus dem Home-Office mehr Flexibilität zu haben. Mehr Flexibilität, die das Work-Life-Verhältnis verbessern soll, mehr Flexibilität, die helfen soll, Familie und Job besser zu vereinbaren. Mehr Flexibilität, die glücklich macht eben.

Nachmittags mit den Kindern spielen, abends Akten bearbeiten

Einfach mal eine Stunde später anfangen, mittags Besorgungen machen, nachmittags die Handwerker reinlassen und eine Stunde mit den Kindern spielen, bevor man nachts dann die letzten Akten durcharbeitet  - das wär’s doch. Diesen Wunschvorstellungen stehen in der Realität aber oft die Bedenken vieler Chefs entgegen: "Für die ist es manchmal mental schwierig, Mitarbeiter von Zuhause arbeiten zu lassen. Dafür müssen sie ein gewisses Maß an Kontrolle abgeben und ein Grundvertrauen in diese Mitarbeiter aufbauen", erklärt Alexander Greisle, der als Unternehmensberater Firmen unter anderem in Sachen "flexible Arbeitsmodelle" berät. Aber: Die Vorstellung, dass Angestellte nur arbeiten, wenn sie unter Beobachtung stehen, nimmt unter jüngeren Führungskräften ab, beobachtet Greisle. Die Bereitschaft, Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben von Zuhause zu arbeiten, wächst. Das Vertrauen der Chefs wird in der Regel belohnt: "In der Summe, das haben mehrere Studien gezeigt, sind Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, ebenso produktiv wie ihre Kollegen im Büro", sagt Dr. Michael Jäckel, Professor für Soziologie an der Universität Trier.
"Gerade in der Anfangszeit leisten sie manchmal sogar mehr als die anderen, weil sie beweisen möchten, dass es richtig war, ihnen die Möglichkeit zu geben." Damit das Arbeiten im Home-Office wirklich funktioniert, müssen bestimmte Vorbereitungen getroffen werden. Zum einen müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber klare Abmachungen treffen, wer zum Beispiel die Kosten der Einrichtung des häuslichen Büros übernimmt. Manchmal muss technisch nachgerüstet werden, die Telefonanlage des Unternehmens oder der Kanzlei muss in der Lage sein, Anrufe ins Homeoffice eines Mitarbeiters umzuleiten.

Laptop auf dem Küchentisch – das funktioniert nicht

Zum anderen – und das ist die Aufgabe des Arbeitnehmers -  ist es wichtig, dass ein eigener Raum für die Arbeit geschaffen wird. Einfach den Laptop auf dem Küchentisch aufzuklappen kann keine dauerhafte Lösung für ein echtes Home-Office sein. Es sollte schon ein eigenes Zimmer sein. In dessen Gestaltung ist jeder frei, erfahrungsgemäß hilft es aber vielen Heimarbeitern, wenn das Arbeitszimmer auch eine gewisse Arbeitsatmosphäre ausstrahlt. Also weniger Plüsch und bunte Tapeten, dafür mehr klare Linien und ein vernünftiger Bürostuhl. Innerhalb der Familie sollten Regeln aufgestellt werden, um Arbeit und Privatleben zu trennen. Zum Beispiel: Wenn die Tür von Mamas Büro zu ist, dann darf sie auch nicht gestört werden. Nicht zuletzt ist das Funktionieren des Prinzips Home-Office eine Frage der Persönlichkeit. Da hilft auch jede noch so gute Vorbereitung nichts: „Alleine das Wort "Home-Office" vermittelt ein Gefühl von Unabhängigkeit und steigert das Selbstwertgefühl. Man arbeitet sozusagen nicht standardmäßig, fühlt sich wie ein Unternehmer in eigener Sache. Aber Selbstorganisation und Disziplin sind einfach unerlässlich, will man erfolgreich von zu Hause arbeiten", so Soziologieprofessor Jäckel. Verlockungen gibt es viele, den Fernseher oder die Sonne im Garten und keiner da, der etwas dagegen sagen würde...! "Nicht jeder Mensch ist gleichsam für das Arbeiten außerhalb des Büros geeignet", so Jäckel. Er hat in seinen eigenen Studien erlebt, dass Teilnehmer freiwillig ins Unternehmen zurückgekehrt sind, weil sie erkannt haben, dass "Telearbeit" nichts für sie ist. Professor Jäckel erforscht seit den 1990ern das Phänomen der sogenannten Telearbeit. Unter diesem Namen machte die Idee, dass man gar nicht immer in einem Büro zum Arbeiten zusammenkommen muss, in den Siebzigern und Achtzigern Schule. Ab den Neunzigern gewann Telearbeit an Attraktivität, weil die technischen Mittel dafür mehr und mehr ausgereift waren: Via Telefonkonferenz, Video-Chat, Skype und E-Mail kann man jeden eigentlich überall erreichen und kontaktieren.

Kein schlechtes Gewissen - Freiheiten wollen genutzt werden

Seit Beginn des neuen Jahrtausends beobachtet Jäckel, dass nicht nur die Grenzen zwischen Arbeitsplatz und Zuhause, sondern auch die zwischen Arbeitszeit und Freizeit durchlässiger werden. "Die Arbeit wird freizeitähnlicher und die Freizeit arbeitsähnlicher. Wir neigen dazu, ,always on' und ,always in touch' zu sein", sagt Jäckel. "Wer meint, dass er nicht von der Arbeit lassen kann, ist niemals offline, ob Zuhause oder im Urlaub – Mails aus dem Büro erreichen einen überall." Damit wird es immer selbstverständlicher, dass Mitarbeiter auch von außerhalb des Büros arbeiten – allerdings liegt darin auch eine große Gefahr des Home-Offices: Wer nicht abends irgendwann die Bürotür hinter sich schließt und nach Hause fährt, dem fällt es oft schwerer, mit der Arbeit abzuschließen und auch ohne Ortswechsel irgendwann vom Arbeits- in den Freizeitmodus überzugehen. Will sagen: Heimarbeit ist nichts für Workaholics. "Man muss sich auch trauen, seine Flexibilität auch auszunutzen", sagt Alexander Greisle, der selbst seit mehr als fünf Jahren im heimischen Büro arbeitet. "Ich beobachte oft bei Leuten, dass sie, wenn sie anfangen, von zu Hause zu arbeiten, denken, sie müssten nun auch stur von neun bis sechs am Schreibtisch sitzen. Dabei geht es doch nicht darum, eine bestimmte Arbeitszeit abzusitzen, sondern Aufgaben erledigt zu bekommen. Da kann ich natürlich nachmittags zwei Stunden Kaffeetrinken gehen, wenn ich das Projekt abends noch beenden kann." Überhaupt ist es wichtig für Zuhausearbeitende, ab und zu mal raus zu kommen, um nicht zu vereinsamen oder auch, um den Draht zu Kollegen und Vorgesetzten nicht zu verlieren. Den Wert eines Face-to-Face-Gesprächs kann keine noch so gute Skype-Verbindung aufwiegen. Jäckel und Greisle sind sich einig, dass das Home-Office eigentlich nie der einzige Platz zum Arbeiten sein sollte. "Alternierende Modelle, also Modelle, bei denen man zum Beispiel zwei Tage im Büro und drei Tage Zuhause arbeitet, haben sich bei einigen großen Konzernen sehr bewährt", so Jäckel. "Aber der flexible Mensch verlangt auch mehr und mehr nach noch flexibleren Lösungen, um Herausforderungen im privaten Umfeld bewältigen zu können."
Alexander Greisle meint, dass man den Arbeitsplatz entsprechend der zu erledigenden Aufgaben aussuchen soll. "Das kann einmal das Großraumbüro sein, wenn viel mit Kollegen abzuklären und zu besprechen ist, das kann aber auch der Coffeeshop oder eben das Büro daheim sein, wenn zum Beispiel eine Präsentation überarbeitet oder ein Vertrag gelesen werden muss." Auch ist das Home-Office oft ein Übergangsmodell und somit auf eine bestimmte Zeit begrenzt – etwa bis die Kinder in der Schule sind oder während einer anderen Lebensphase, die besonders viel Flexibilität erfordert. Außerhalb dieser Zeit sollten wir weiter versuchen, auf Arbeit zu arbeiten. Und, lieber Jason Fried, bei manchen von uns klappt das doch auch.
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