Themenwoche Anwalt & Technik

Elektronischer Rechtsverkehr - Email für den Richter

von Anna K. BernzenLesedauer: 5 Minuten
Statt per Post werden Schriftstücke bald mit einem Mausklick vom Anwalt zum Gericht befördert. Möglich macht es ein Gesetz, das ab 2022 bundesweit den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz einführt. Der längst überfällige Schritt der deutschen Gerichte in die technische Zukunft, oder kaum mehr als ein netter Anfang?

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Die Berufung war rechtzeitig eingelegt worden, die Begründungsschrift dank Fristverlängerung noch in Arbeit. Erst am letzten Tag der Frist waren die Anwälte mit ihren Ausführungen zufrieden. Mit einem Mausklick schickten sie den fertigen Schriftsatz um 14.15 Uhr los, an das Elektronische Gerichtspostfach (EGVP) des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Dort kam er um exakt 14:15:23 Uhr an. Ergebnis des Verfahrens dennoch: Berufung mangels Berufungsbegründung erfolglos. Was war passiert? Tatsächlich können Anwälte mit ordentlichen Gerichten in Nordrhein-Westfalen elektronisch kommunizieren. Allerdings nur mit einigen ausgewählten. Der fristgerecht fertiggestellte Schriftsatz für das OLG Düsseldorf: formunwirksam. "Der Super-GAU", so kommentiert Ulrich Volk dieses Urteil aus dem vergangenen Jahr. Volk ist Vorsitzender des Ausschusses elektronischer Rechtsverkehr (ERV) des Deutschen Anwaltsvereins (DAV). Als Vertreter der Anwaltschaft hat er mitgebastelt an einem neuen Gesetz, das im letzten Sommer verabschiedet wurde und solche Fälle endgültig zu den Akten legen wird. Ab 2022 wird es den ERV in der ZPO und anderen Verfahrensordnungen als einzig rechtsverbindlichen Kommunikationskanal mit den Gerichten festschreiben. Ab 2022 heißt es daher für ausgedruckte Berufungsbegründungen: Berufung abgelehnt, prozessuales Formerfordernis nicht gewahrt.

"Der elektronische Rechtsverkehr birgt zur Zeit enorme Haftungsrisiken"

Die Düsseldorfer Anwälte wird es kaum trösten, dass sie mit ihrer elektronischen Eingabe dem Gesetzgeber ein knappes Jahrzehnt voraus waren. Abwegig war ihre Idee allerdings nicht: Schon seit 2001 erlaubt es eine Öffnungsklausel in der ZPO, den ERV per Rechtsverordnung einzuführen. Hessen tat dies bereits 2007. Manche Länder öffneten einzelne Pilotgerichte, andere und insbesondere Bayern ließen den ERV nur dort zu, wo er gesetzlich vorgegeben ist: in Mahn- und Registersachen. Ein "Flickenteppich", wie Ulrich Volk meint: "Zur Zeit muss ich mich bei jedem Gericht genau vergewissern, ob es den ERV überhaupt nutzt. Das birgt enorme Haftungsrisiken." Die soll das Gesetz ab 2020 beseitigen: Bis dahin müssen alle Bundesländer den ERV eröffnet haben. Für den Arbeitsalltag der Anwälte wird das eine große Umstellung bedeuten. "Auch wenn Mandanten schon heute oft sagen: 'Wehe, du schickst mir Papier!', sind wir in unseren Kanzleien doch das papierbasierte Arbeiten gewohnt", so Volk. Zumindest für den Schriftverkehr mit Gerichten ist das bald passé: Der gelangt dann auf einem der sicheren Übermittlungswege zur Justiz, etwa per De-Mail oder über das besondere elektronische Anwaltspostfach, das die Bundesrechtsanwaltskammer jedem Anwalt ab 2016 bereitstellt. Auch noch unbekannte Übertragungswege kommen in Frage: "Das Gesetz ist an der Stelle bewusst offen formuliert, um den technischen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Stichwort: Zukunftsoffenheit", sagt Ralf Köbler, als Ministerialdirigent im Hessischen Justizministerium auf Seiten der Länder an der Gesetzesinitiative beteiligt.

Den Rollwagen durch den Reißwolf ersetzen


Doch nicht nur der Weg der Akte auf den Tisch des Richters wird sich ändern: Dort, wo der Anwalt heute per Unterschrift unter dem Empfangsbekenntnis die Zustellung bezeugt, muss er bald eine elektronische Bestätigung versenden. Dort, wo gescannte Urkunden heute jahrelang aufbewahrt werden, wird bald nach einem halben Jahr der Reißwolf angeworfen, weil Scans, die etwa Behörden angefertigt haben, Beweiskraft erhalten. Verschicken sie diese Dokumente per De-Mail, gilt bald sogar die Vermutung der Echtheit. Weitere Änderungen sind etwa ein zentrales Schutzschriftenregister und die elektronische Akteneinsicht. Begeistert rechnet die Bundesregierung vor, dass sich nach der Einführung des ERV alleine durch die wegfallenden Postsendungen 20 bis 50 Millionen Euro jährlich sparen lassen könnten. "Das beginnt schon mit dem Porto, das für eine EGVP-Nachricht ein Drittel eines Briefportos kostet", so Ralf Köbler. Mit anderen Umstellungen ließen sich noch weitere Sparpotentiale realisieren: So könnte der Umgang mit der ein- und ausgehenden Post in Justiz und Kanzleien effizienter gestaltet werden. Nicht mehr jeden Brief falten, frankieren, zur Post bringen, sondern einfach einen Mausklick im Anwaltspostfach machen – fertig. Raus mit dem quietschenden Rollwagen, auf dem die Post zum Richter geschoben wird, rein mit der automatischen Weiterleitung an den zuständigen Sachbearbeiter.

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2/2: "Die technische Infrastruktur ist sehr unterschiedlich ausgebaut"

Doch schon am Beispiel von Posteingang und –ausgang wird deutlich: Bis der ERV nicht nur eingeführt, sondern in Gerichten und Kanzleien wirklich angekommen ist, werden alle Beteiligten sich grundlegend umstellen stellen müssen – und das im laufenden Betrieb. Das beginnt schon mit der Internetverbindung der Gerichte: "Die technische Infrastruktur in den Bundesländern ist sehr unterschiedlich ausgebaut", sagt Ralf Köbler. In manchen kann bereits ein großes Datenvolumen transportiert werden, in anderen arbeiten die Richter noch mit ISDN-Geschwindigkeit. Stimmt das Netz, muss das EGVP ausgebaut werden. "Momentan ist das eher eine Datenlandstraße. Für den flächendeckenden ERV müssen wir es zu einer Datenautobahn ausbauen", sagt Wolfram Viefhues, Richter am Amtsgericht Oberhausen und Vorstandsmitglied des Deutschen EDV-Gerichtstages. Schließlich wird alle Kommunikation mit der Justiz über das Gerichtspostfach laufen. Funktioniert die Software, muss die nötige Hardware angeschafft werden: Hochleistungsscanner, ein zweiter Bildschirm, Laptops für mobiles Arbeiten. Und ist die Technik vorhanden, muss den Justizangehörigen ihre Nutzung beigebracht werden.

Das neue Gesetz: Eine Einbahnstraße für die Anwälte?

Doch reichen diese – zugegeben umfangreichen – Maßnahmen aus, um die Kommunikation mit der deutschen Justiz ins 21. Jahrhundert zu katapultieren? Die Betroffenen sind sich da nicht so sicher. Die Anwaltschaft fürchtet, durch die elektronische Kommunikation in eine Einbahnstraße gelenkt zu werden: "Alle Vorgaben des Gesetzes verpflichten die Anwälte. Für die Justiz gibt es aber keine entsprechende Nutzungspflicht. Das ist problematisch", sagt DAV-Mann Volk. Tatsächlich wird für die Justiz auch nach 2022 in weiten Teilen gelten: Alles kann, nichts muss. Schon heute werden elektronisch eingereichte Dokumente nochmals für die Papierakte ausgedruckt. "Das führt aktuell zu Medienbrüchen, zu einem unnötigen Mehraufwand", kritisiert Wolfram Viefhues. Sinnvoller sei es daher, nicht nur die Kanzleien zu einer elektronischen Arbeitsweise zu verpflichten, sondern auch die Gerichte langfristig umzugewöhnen. Notfalls per Vorschrift, denn: "Das neue Gesetz regelt die wichtigen verfahrensrechtlichen Fragen, damit aber nur die oberste Ebene", so Richter Viefhues. "Die Abläufe in der Justiz werden im Detail aber auch durch Regelungen der Aktenordnung und ähnliches geregelt, die zusätzlich zeitgemäß angepasst werden müssen." Das neue Gesetz: ein Riesenschritt in die richtige Richtung. Aber wohl erst einer von vielen, die noch auf Landes- und Bundesebene, in Gesetzen und Verordnungen werden folgen müssen.

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