Zeitarbeitsfirmen: Von der Leyen droht Bla­mage beim Schul­de­n­er­lass

von Frank Thiele

24.01.2012

Nach einem Beschluss des BAG vom Dezember 2010 sind viele Zeitarbeitsunternehmen existenzgefährdenden Nachzahlungen ausgesetzt. Zu wenig gezahlte Löhnen und Sozialbeiträge sollen eingetrieben werden. Union und FDP wollen den Bedrohten deshalb ihre Schulden erlassen. Dass dabei einiges durcheinander geht und warum das peinlich enden könnte, erklärt Frank Thiele.

Der Wirtschaftsflügel der Union, aber auch die FDP-Fraktion im Bundestag setzen sich gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) für ca. 3.000 Zeitarbeitsunternehmen ein, die Sozialbeiträge und zu wenig gezahlte Löhne nachbezahlen sollen. Nach neuen Zahlen der Rentenversicherung hat die Behörde inzwischen bei einem Fünftel der Unternehmen die Betriebsprüfung abgeschlossen. Insgesamt habe sie 19,7 Millionen Euro als Beitragsnachzahlung gefordert.

Einige Parlamentarier würden gerne verhindern, dass diese Summe tatsächlich eingetrieben wird. Bei einem Treffen im Bundesarbeitsministerium am 16. Januar 2012 wurden deshalb weitere Gespräche vereinbart, teilte der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, der Nachrichtenagentur Reuters mit. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hingegen, bekanntlich ebenfalls von der CDU, hält eine Amnestie für nicht erforderlich.

Die betroffenen Zeitarbeitsfirmen hatten Arbeitnehmer auf der Grundlage von Tarifverträgen der von christlichen Gewerkschaften gebildeten Tariforganisation CGZP beschäftigt, die im Dezember 2010 vom Bundesarbeitsgericht (BAG) faktisch für ungültig erklärt worden waren. Dadurch sind die betroffenen Unternehmen in einen wirtschaftlich verhängnisvollen, aber vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) gewollten Mechanismus geraten: Durch die Ungültigkeit der Tarifverträge gibt es keine Rechtsgrundlage mehr, um die Zeitarbeitnehmer geringer zu bezahlen als die jeweilige Stammbelegschaft bei den entleihenden Unternehmen. Stattdessen gilt der Grundsatz des – neudeutsch - "equal payment", das heißt Zeitarbeiter erhalten fortan den gleichen Lohn wie festangestellte Kollegen.

Pleitebedrohte Niedriglöhner

Bisher ungeklärt ist hingegen, ob die Unwirksamkeit auch in die Vergangenheit wirkt. Dies würde dann wirtschaftlich für die Zeitarbeitsunternehmen bedeuten, dass sie ihren Beschäftigten die Lohndifferenz nachzahlen müssen. Einige Zeitarbeitnehmer klagen dieses Geld bereits gerichtlich ein. Arbeitsrechtlich hat die Branche die Problematik dennoch einigermaßen im Griff, weil sich bisher nur relativ wenige Beschäftigte zum Gang vor die Arbeitsgerichte entschlossen haben.

Ganz anders sieht es auf der sozialversicherungsrechtlichen Seite aus. Hier verlangt die deutsche Rentenversicherung die auf die Differenz von gezahltem Lohn und Equal-Payment-Lohn entfallenden Sozialabgaben - rückwirkend bis zu 5 Jahren. Die betroffenen Zeitarbeitsfirmen hätten nicht von der Vorschrift der gleichen Bezahlung von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten abweichen dürfen. Auf die eigentlich fälligen höheren Löhne werden deshalb für mehrere Jahre höhere Sozialbeiträge nacherhoben.

Die Wirtschaftsorganisation der CDU befürchtet , dass zahlreiche Unternehmen durch die Beitragsnachforderungen der Sozialversicherer zahlungsunfähig werden und dadurch Arbeitsplätze verloren gehen, sagte Unionspolitiker Pfeiffer. Die Arbeitsgruppe Wirtschaft der Fraktion hatte deshalb eine "gesetzliche Amnestie" für Zeitarbeitsfirmen gefordert, die Arbeitnehmer auf der Grundlage von CGZP-Tarifverträgen beschäftigt hatten.

"Erlassgesetz" soll Abhilfe schaffen

Ein gesetzliches geregeltes Vergessen wäre keine Neuheit. Das letzte bedeutende Amnestiegesetz betraf deutsche Steuerhinterzieher. Am 23. Dezember 2003 wurde das Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (Strafbefreiungserklärungsgesetz - StraBEG) verkündet, das Steuersündern die Möglichkeit einräumte, bisher nicht versteuerte Einkünfte anzugeben, ohne sich strafbar zu machen. Es sollte die Steuerehrlichkeit der Bürger fördern und dem Staat höhere Steuereinnahmen sichern.

Ob eine solche Amnestie den Zeitarbeitsunternehmen helfen und sie vor einer möglichen Insolvenz retten könnte, ist mehr als fraglich – gerade das StraBEG führte ja dazu, dass Steuern nachzuzahlen waren. Nur auf die Strafverfolgung der Steuerhinterzieher wurde Zug-um-Zug gegen Zahlung verzichtet.

Abhilfe schaffen könnte deshalb lediglich ein "Erlassgesetz". Insoweit aber gibt es schon entsprechende Vorschriften im Sozialgesetzbuch (SGB). Zu Recht verweist das Bundesarbeitsministerium darauf, dass das SGB regelt, wann Nachzahlungen erlassen oder gestundet werden können. Von der Leyens Ministerium übersieht allerdings, dass dies nur möglich ist, wenn eine rechtswirksame Nachzahlungsforderung überhaupt besteht.

Die Nachforderungsbescheide sind aber zumeist gerade nicht bestandskräftig. Außerdem ist eben noch nicht geklärt, ob die Tarifverträge der CGZP rückwirkend unwirksam sind. Insofern tragen schon alle jetzt aufgrund von Betriebsprüfungen ergangenen Nachzahlungsbescheide den Bazillus der fehlenden Rechtsgrundlage in sich.

Stellt das BAG später fest, dass die Unwirksamkeit nicht für die Vergangenheit gilt, müssten sie alle kassiert werden. Die Blamage des Bundesarbeitsministeriums und seiner Ministerin wäre perfekt.

Blamage für die Ministerin droht

Gefahr für von der Leyen lauert aber noch an anderer Stelle: Die Rechtsgrundlagen für die existenzgefährdenden Nachforderungen finden sich im Sozialrecht, das heißt im öffentlichen Recht.

Allen Zeitarbeitsunternehmen liegen Sozialversicherungs-Abgabenbescheide aus den zurückliegenden Jahren vor, die bestandskräftig und teilweise sogar schon vor dem BAG-Urteil durch den Prüfdienst der Deutschen Rentenversicherung (DRV) im Wege der Außenprüfung festgestellt worden sind. Alle betreffenden Unternehmen können sich daher auf den Grundsatz des Vertrauens in staatliches Handeln berufen.

Die für den Streit zwischen Zeitarbeitsunternehmen und Sozialversicherungsträgern zuständigen Sozialgerichte sind äußerst rigide auf den Schutz dieses Vertrauens bedacht. Nach einem am 18. Januar 2011 ergangenen Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts stellen Beitragsbescheide der Rentenversicherungsträger, die nach Betriebsprüfungen erlassen wurden, grundsätzlich eine abschließende Entscheidung dar, die nur in Ausnahmefällen spätere Nachforderungsbescheide zulässt (Az. L 5 R 752/08). Deshalb wären Nachforderungen der Sozialversicherer aus Gründen des Equal-Payment schon dann abzuwehren, wenn das Unternehmen in den betreffenden Vorjahren geprüft worden ist.

In Anbetracht der komplexen Rechtslage, aber auch wegen der Begriffsverwechslungen der zuständigen Politiker wird dieser Konflikt noch lange nicht ausgetragen sein.

Der Autor Frank Thiele ist Rechtsanwalt in Köln. Er ist fachanwaltlich fortgebildet im Steuerrecht, Insolvenzrecht sowie Bau- und Architektenrecht. Er war lange Jahre Lehrbeauftragter für Baurecht an der FH Köln und berät derzeit Unternehmen. Frank Thiele ist Verfasser diverser Fachbücher aus dem Unternehmensrecht.

 

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Zitiervorschlag

Zeitarbeitsfirmen: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5381 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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