Sollten Juristen kennen: 9 wich­tige BVerfG-Ent­schei­dungen 2019

von Dr. Markus Sehl

27.12.2019

Recht auf Vergessen I und II (plus X), Mietenbremse, Wellnessurlaub mit NPD-Mann, ein "Hexenprozess", Schweigerecht für Eltern, Stiefkindadoption, Hartz-IV-Sanktionen, und ein heimlicher Eingriff auf der Autobahn: Nur eine Auswahl wichtiger BVerfG-Entscheidungen.

1: Recht auf Vergessen: BVerfG prüft auch europäische Grundrechte

Man könnte auch sagen, dass diese unbedingte Lektüreempfehlung gleich vier wichtige BVerfG-Entscheidungen des Jahres 2019 umfasst. Denn in den zwei jeweils rund 150 Randnummern starken Beschlüssen zum "Recht auf Vergessen" steckt genug Stoff für mindestens noch weitere zwei Entscheidungstexte. Es geht in den Beschlüssen nämlich nicht nur um die Verantwortung für das "Vergessen" von personenbezogenen Informationen im Internet durch Suchmaschinen und Online-Archive. Daneben enthalten beide Beschlüsse auch noch ganz grundsätzlich Aussagen zum Verhältnis von BVerfG und EuGH bei der Grundrechtsprüfung (Beschl. v. 6.11.2019, Az: 1 BvR 16/13 u. 1 BvR 276/17). 

Bei "Recht auf Vergessen I" hat das BVerfG betont, dass es in Regelungsbereichen, die nicht durch Europarecht vollharmonisiert sind, weiterhin primär die deutschen Grundrechte als Maßstab ansieht. Wo es also deutschen Umsetzungsspielraum gibt, wirkt die Grundrechtsvielfalt. Platz für eine Prüfung der Grundrechte der EU-Charta sehen die Richter nur dann, wenn das Schutzniveau des Grundgesetzes gegenüber der Charta zurückbleibt. Das dürfte ganz regelmäßig nicht der Fall sein, aber diese Aussage ist in jedem Fall eine gute Nachricht für alle Grundrechtsträger in Deutschland sein: Über sie legt sich eine umfassend schützende Grundrechtsdecke.

Die zweite Entscheidung "Recht auf Vergessen II" hat es europarechtlich mehr in sich. Denn das BVerfG stellt fest und führt sogleich auch aus, EU-Chartagrundrechte unmittelbar selbst zu prüfen, wenn es sich um einen vollharmonisierten Regelungsbereich handelt. Das bedeutet eine deutliche Zäsur gegenüber der bisherigen BVerfG-Rechtsprechung. Bisher war das Aufgabe des EuGH. Und damit hat sich das BVerfG auch für die Zukunft einen festen Platz im europäischen Grundrechtsverbund gesichert. Die Folgen vor allem dieser zweiten Entscheidung des Ersten Senats werden Gerichte, Rechtssuchende und Wissenschaftler noch eine ganze Weile beschäftigen.

Während in den beiden vom BVerfG entschiedenen Fallkonstellation kein echtes Konfliktpotential steckte für ein Kräftemessen zwischen dem EuGH und dem BVerfG, dürfte es auch abzuwarten bleiben, wie harmonisch zukünftige Konstellation zwischen Luxemburg und Karlsruhe verarbeitet werden.

Zitiervorschlag

Sollten Juristen kennen: . In: Legal Tribune Online, 27.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39415 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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