Status von Türken in Deutschland: "Über Visumspflicht sollte politisch verhandelt werden"

Interview mit Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M.

16.04.2013

Die Tochter lebt in der Türkei, die Mutter in Deutschland. Ein Familientreffen scheiterte an der Visumspflicht. Dabei gibt das Assoziationsrecht Türken eine Sonderstellung gegenüber anderen Ausländern aus Nicht-EU-Staaten. Im LTO-Interview erklärt Daniel Thym, was der Bundestag am Montag im Bundestag dazu erörterte und wie der EuGH wohl über das Familientreffen in Deutschland entscheiden wird.

LTO: Am Montag debattierte der Innenausschuss des Bundestags mit Ihnen und anderen Experten über den Status von Türken in Deutschland. Dabei ging es unter anderem um das Aufenthaltsrecht. Warum haben Türken überhaupt eine besondere Stellung gegenüber anderen Ausländern aus Nicht-EU-Staaten?

Thym: Hintergrund ist das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei aus dem Jahr 1963. Damals wurde eine schrittweise Rechtsangleichung im Bereich des Wirtschaftsrechts vereinbart – auch mit Blick auf einen späteren EU-Beitritt der Türkei.

Konkretisieren sollte das Abkommen der völkerrechtliche Assoziationsrat, der tatsächlich im Jahr 1980 einen Durchführungsbeschluss zur Rechtsstellung türkischer Arbeitnehmer annahm. Auf dieser Grundlage entwickelte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine dynamische und umfangreiche Rechtsprechung und leitete immer neue Rechte aus dem Assoziationsrecht ab.

LTO: Die Grünen fordern, diese Rechte nun ausdrücklich in den deutschen Gesetzen zu verankern, also etwa in dem Aufenthalts- oder dem Bundesbeamtengesetz. Ist das tatsächlich erforderlich?

Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M.Thym: Im Sinne von mehr Rechtsklarheit wäre das wünschenswert. Das Problem ist, dass der EuGH einen Großteil der Rechte aus dem Abkommen erst entwickelt hat und sich diese nur teilweise aus dem Wortlaut des Beschlusses des Assoziationsrats ergeben. Was genau der EuGH fordert, weiß man aber ja erst, nachdem ein Urteil gesprochen wurde. Davor gibt es zumeist unterschiedliche Auffassungen – das ist nicht viel anders als beim Bundesverfassungsgericht.

Das erklärt die Kontroverse um den Gesetzentwurf der Grünen. Die Fraktion bezieht zu zahlreichen Rechtsfragen inhaltlich Stellung, zu denen es noch gar keine gesicherte Rechtsprechung gibt. Es geht da dann eher um eine rechtspolitische Position der Grünen, nicht um die Umsetzung von Urteilen.

"Bund und Länder sollten neue Leitlinien für Behörden schaffen"

LTO: Was kann stattdessen getan werden, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen?

Thym: Für die Rechtspraxis und die betroffenen Personen wäre sehr viel gewonnen, wenn der Bund und die Länder sich auf eine Neufassung der sogenannten Anwendungshinweise verständigen könnten – das ist eine Art unverbindliche Auslegungsleitlinie für die Behörden.

LTO: Mit ihrem Gesetzentwurf wollen die Grünen auch die Rechtsprechung des EuGH umsetzen. Sie verweisen auf über 50 Entscheidungen zum Assoziierungsabkommen. Was waren die wichtigsten?

Thym: Es gibt in der Tat mehrere Dutzend Urteile, die die Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger schrittweise ausgeweitet haben und auch Sachbereiche regeln, die im Assoziationsratsbeschlusses bis heute nicht direkt angesprochen werden. Anfangs ging es um die Rechtsstellung von Arbeitnehmern; später um Familienangehörige, die sich bereits im Inland aufhalten. Im Zentrum der aktuellen Urteile steht die erstmalige Einreise von Personen, die sich noch im Ausland aufhalten, aber künftig dem Assoziationsrecht unterfallen könnten.

Zitiervorschlag

Daniel Thym, Status von Türken in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8538 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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