E-Mails, Telefonate, V-Leute – für die Überwachung einer Parlamentspartei gelten strenge Grenzen. Was der Verfassungsschutz auf den Weg bringen kann, ist überschaubar und vorläufig. Sein größter Erfolg könnte im Urteil selbst liegen.
Am Ende von zehn Stunden mündlicher Verhandlung waren es gerade einmal eine Handvoll Sätze, die der Vorsitzende Richter Michael Huschens am Dienstagabend zur Begründung der Entscheidung mit auf den Weg gab. Die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) Köln hatte gerade entschieden, dass die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als Verdachtsfall eingestuft – und damit mit dem vollen Instrumentarium des Inlandsnachrichtendienst beobachtet werden darf. Die Konsequenzen sind weitreichend, aber es gibt auch strenge Grenzen.
Wichtigen Protagonisten der Partei könnte nun drohen, dass ihre E-Mails mitgelesen und ihre Telefongespräche abgehört werden. Dafür braucht es keinen richterlichen Beschluss, über solche Eingriffe in das Telekommunikationsgrundrecht des Art. 10 Grundgesetz (GG) entscheidet die G-10-Kommission des Bundestags. Ein nur vierköpfiges Gremium, inklusive vier Stellvertreter, es tagt in geheimer Sitzung alle paar Wochen, mindestens einmal im Monat. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Drei von ihnen müssen die Befähigung zum Richteramt haben, sie müssen nicht Mitglieder des Bundestags sein.
AfD-Mitglieder weiter in Geheimdienstgremien des Bundestags?
Derzeit ist der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Fischer Vorsitzender des Gremiums. Auch die AfD hat dort einen Mann. Als Stellvertreter ist Hansjörg Huber bestellt, ein Juraprofessor für das Recht der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Zittau/Görlitz. Er ist als Stellvertreter nicht stimmberechtigt, kann den Sitzungen aber beiwohnen. Ist ein Mitglied der ersten Reihe verhindert, kommen die Stellvertreter zum Einsatz.
Bestellt werden die Mitglieder der kleinen Runde vom Parlamentarischen Kontrollgremium, ein Bundestagsgremium, das die Arbeit der deutschen Geheimdienste kontrolliert. Dort hatten in der vergangenen Legislaturperiode alle im Bundestag vertretenen Fraktionen mindestens einen Sitz, auch die AfD. Die Urteile vom Dienstag könnten nun auch politische Konsequenzen haben für einen zukünftigen Posten der Partei in der Architektur der Geheimdienstkontrolle.
Der bisherige Vorsitzende Roderich Kiesewetter (CDU) sagte: "Wenn dieses Urteil letztinstanzlich bestätigt ist, ist es natürlich nicht möglich, dass eine Partei, die als Verdachtsfall eingestuft ist, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium ist."
Enge Grenzen für die Beobachtung und den Einsnatz von V-Leuten
Die Voraussetzungen für E-Mail- oder Telefonüberwachung sind hoch, der Verfassungsschutz darf nicht einfach direkt in der Breite loslegen. So müssen Anhaltspunkte für schwerwiegende Straftaten wie Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung vorliegen. Und auch wenn im Katalog ein Delikt wie die Volksverhetzung erfasst wird - es geht vornehmlich um Schwergewichte mit Gewaltbezug.
Diesen Katalog legt das G-10-Gesetz fest, das Eingriffe in das Telekommunikationsgrund durch deutsche Geheimdienste regelt. Zudem muss eine alternative Informationsbeschaffung aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. So oder so dürfen Personen nicht komplett durchleuchtet werden, der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, insbesondere Themen wie Krankheit oder Intimleben, sind bei der Überwachung tabu.
Mit der AfD wird nicht eine terroristische Splittergruppe beobachtet, sondern eine Partei mit rund 30.000 Mitgliedern, die nicht vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verboten ist, in allen Landtagen, dem Europaparlament sowie dem Bundestag vertreten ist und dort in der vergangenen Legislatur die größte Oppositionspartei war. Das BVerfG hat 2013 in seiner Entscheidung zur Beobachtung des Linken-Politikers Bodo Ramelow entschieden, dass die Beobachtung gewählter Parlamentarier besonders hohen Hürden unterliegt. Sie greift zusätzlich in das Freie Mandat nach Art. 38 Abs. 1 GG ein. Für die Beobachtung von AfD-Mandatsträgern gilt eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der Art. 46 GG mit seinen Indemnitäts- und Immunitätsregeln schließt außerdem die Beobachtung der unmittelbaren Abgeordnetenarbeit in einem Parlament und in seinen Ausschüssen aus.
Zu dem der AfD drohenden Instrumentarium gehören neben Observationen auch die Anwerbung von V-Leuten. Der Verfassungsschutz darf solche Zuträger aus der Partei gewinnen, die dem Dienst gegen Geld Informationen verschaffen. Allerdings gibt es auch hier speziell für die Parlamente Grenzen. Nach § 9b Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) dürfen Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Bundestags, der Landtage sowie deren Mitarbeiter nicht angeworben werden. Außerdem darf niemand angeworben werden, der steuernden Einfluss auf die Partei ausübt, das könnte sich spätestens bei einem Parteiverbotsverfahren rächen. Das BVerfG hatte im Rahmen des Verbotsverfahrens gegen die NPD auch die Grenzen beim V-Leute-Einsatz eng gezogen. Für das Einschleusen eigener verdeckter Mitarbeiter des BfV bei der AfD fehlt es derzeit an den hohen Voraussetzungen, die das Gesetz dafür vorsieht. Außerdem stellt sich dann die Steuerungsproblematik verschärft: Der für den Verfassungsschutz interessante Personenkreis für eine heimliche Beobachtung der AfD schrumpft damit deutlich zusammen.
AfD hatte sich schon ab 2018 mit einer "Verfassungsschutzkommission” vorbereitet
Während der Gerichtsverhandlung am Dienstag wurde noch einmal deutlich, wie die AfD über die Jahre gelernt hat, sich rechtlich möglichst wenig angreifbar zu verhalten – und zwar ohne dass das auf Kosten pointierter Aussagen gehen muss. Zahlreiche Aussagen, die die Vertreter des Verfassungsschutzes vor Gericht als Fund für eine Beobachtung vorgetragen hatten, leben von ihren Andeutungen und Auslassungen. Gesagt wird, was nicht gesagt wird.
Eine Rolle mag dabei auch gespielt haben, dass die Partei schon 2018 eine Expertenkommission "Verfassungsschutz" mit dem emeritierten Freiburger Rechtsprofessors Dietrich Murswiek und unter der Leitung des AfD-Juristen Roland Hartwig eingesetzt hatte. Murswiek fertigte schon Ende 2018 ein viel beachtetes Gutachten an, das eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz in Aussicht stellte. Die Arbeiten mündeten auch in einer Art Handlungsempfehlung für die Mitglieder: Welche Reizwörter sind gefährlich, mit welchen Aussagen muss man besonders aufpassen. Einer der damals in der Kommission dabei war, ist auch am Dienstag nach Köln gereist und sitzt neben den Anwälten: Roman Reusch, Leitender Oberstaatsanwalt in Berlin, bis 2021 AfD-Bundestagsabgeordneter, seitdem im Ruhestand. "Ich bin da, falls ich gebraucht werde", so Reusch. Eingreifen musste er aber nicht.
In den vergangenen beiden Jahren hat der Inlandsnachrichtendienst Tausende Seiten an Belegen zusammengetragen, Aussagen von Parteimitgliedern bei Reden und Statements auf Facebook analysiert. Es sind vor allem abwertende Äußerungen Einzelner in der Partei zum Islam, halb versteckter Antisemitismus, Verächtlichmachung der Demokratie und seiner Institutionen.
"Einseitig belastend" nannte Dr. Christian Conrad, Anwalt und Partner der Kölner Kanzlei Höcker, die Funde. Er sah darin Vermutungen, Aussagen, die aus dem Kontext gerissen wurden. Was die AfD auch mache, sie könne es nur falsch machen, so Conrad. Löse sie den Flügel auf, werde das gegen sie verwendet, bliebe sie untätig, lastete man ihr auch das an. Zu den gesammelten Aussagen sagt der Anwalt der AfD: "Nicht mal Masse statt Klasse – das ist auch keine Masse."
Der Vertreter des BfV, Professor Dr. Wolfgang Roth, Anwalt und Partner der Bonner Kanzlei Redeker Sellner Dahs, hielt dagegen. Er verwies auf die zahlreichen gesammelten Belege, von denen nur einige Kostproben vor Gericht vorgetragen worden seien. Neben eindeutigen Aussagen dürften, so Roth, nach der Rechtsprechung auch interpretationsbedürftige Aussagen in die Gesamtbewertung einfließen. Bei Aussagen des Bundes- oder der Landesvorstände sei die Zurechnungsfrage völlig unproblematisch, Distanzierungen habe es nicht gegeben. Auch ginge es nicht nur um Aussagen aus einem Land in Thüringen. Auch in anderen Kreisverbänden bundesweit würden Aussagen etwa des Thüringischen AfD-Sprechers Björn Höcke aufgegriffen.
Am Ende reicht dem Gericht, was es in den Akten zu lesen bekam. Zwar steht die schriftliche Begründung noch aus, aber laut der Pressemitteilung war für diese Einschätzung zentral ein vom Grundgesetz abweichender Volksbegriff. Erkennbar sei ein Politikziel, das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand zu erhalten und Fremde möglichst auszuschließen. Flankiert werde das mit "Umvolkungsvorwürfen" oder ausländerfeindlicher Agitation wie "Messer-Migranten". Maßgeblich sei - trotz seiner formalen Auflösung - auch der Einfluss durch den Flügel auf die Partei sowie der der Jugendorganisation JA, so die Mitteilung. Wie sich schon in der Verhandlung abgezeichnet hatte, billigt das Gericht dem Verfassungsschutz laut Mitteilung auch deshalb eine Beobachtung zu, weil in der AfD ein Richtungsstreit im Gange sei, "bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten", wie es in der Mitteilung heißt.
Spiel auf Zeit und ein Urteil, das erst einmal in der Welt ist
Für den AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla kam das Urteil überraschend. "Wir teilen die Auffassung des Gerichts nicht. Wir werden jetzt die schriftliche Urteilsbegründung abwarten", sagte er. Dann könnte die AfD ein Spiel auf Zeit beginnen, um eine Beobachtung zu verhindern. Gegen die Urteile können Rechtsmittel eingelegt werden. Zuständig wäre das Oberverwaltungsgericht Münster.
Nicht entschieden hat das VG Köln am Dienstag zudem über zwei Eilverfahren im Zusammenhang mit der Beobachtung. Das soll in den nächsten Tagen zeitnah erfolgen, wahrscheinlich zeitgleich mit der Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe. Bis zur Entscheidung über die Eilverfahren gilt auch noch ein Hängebeschluss des VG, solange darf die AfD nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden, was der Verfassungsschutz auch nicht öffentlich bekanntgeben dürfte. Der Hängebeschluss resultiert aus der nicht störungsfreien Vorgeschichte des Verfahrens.
Und selbst wenn die Eilverfahren entschieden sind, könnte dagegen wiederum Beschwerde eingelegt werden. Prozesstaktisch könnte die AfD die Beobachtung jedenfalls noch eine Weile verzögern.
Somit bleibt: Die Einschätzung zur Einstufung der AfD als Verdachtsfall für den Verfassungsschutz ist erst einmal in der Welt. Und sie stammt nicht von einer Behörde, der die AfD die Kommunikation untersagen wollte, sondern von einem Gericht – ein gewaltiger Unterschied.
VG Köln erlaubt Beobachtung durch Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47775 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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