Bei dem Projekt für eine globale Digitalbibliothek hat Google eine Niederlage erlitten: Ein New Yorker Gericht lehnte den Vergleich ab, den der amerikanische Suchmaschinengigant mit Verlagen und Autoren in den USA geschlossen hatte. Warum urheberrechtliche Erwägungen dabei nicht die zentrale Rolle spielten, erklären Zohar Efroni und Katharina de la Durantaye.
Wer sich eine Entscheidung zum Urheberrecht erhofft hatte, wurde enttäuscht: Am vergangenen Dienstag urteilte Richter Denny Chin vom District Court for the Southern District of New York, dass der Vergleich, den Google nach zähen Verhandlungen im Jahr 2008 geschlossen hatte, gegen die Vorgaben des amerikanischen Zivilprozessrechts verstößt.
Chin zog damit einen (Zwischen-)Strich unter das Verfahren, das seit 2005 an seinem Gericht anhängig ist: Fünf Verlage und die amerikanische Autorengilde waren gegen Google im Rahmen einer Sammelklage vorgegangen. Das Suchmaschinenunternehmen hatte ihre Werke ohne Zustimmung eingescannt und in kleinen Ausschnitten, so genannten Snippets, online zur Verfügung gestellt. Insgesamt hat Google so bis heute über 12 Millionen Werke digitalisiert. Die Rechteinhaber fühlten sich durch diese Praxis in ihren Urheberrechten verletzt.
Der Vergleichsvorschlag von 2008 hatte weit mehr als das umfasst, was ursprünglich Gegenstand der Klage gewesen war. Nicht nur wären Googles Handlungen der Vergangenheit abgegolten gewesen. Das Unternehmen hätte auch das Recht erhalten, alle Bücher zu digitalisieren, die vor Anfang 2009 verfasst wurden – unabhängig davon, ob der Rechteinhaber Amerikaner oder Ausländer ist. Das hätte neben vergriffenen auch verwaiste Werke eingeschlossen, also solche, deren Rechteinhaber unbekannt oder unauffindbar sind. Schließlich hätte Google den Onlinezugang zu den Büchern verkaufen dürfen und Anzeigenbanner neben den Büchern schalten können.
Auf finanzieller Seite hatte der Vergleich vorgesehen, dass Google einen Teil der somit erzielten Einnahmen in ein eigens gegründetes Book Rights Registry einzahlt. Alle von dem Vergleich erfassten Rechteinhaber hätten sich dort registrieren können. Aber auch diejenigen, die sich nicht hätten registrieren lassen, wären von dem Vergleich erfasst worden, wenn sie nicht ausdrücklich widersprochen hätten ("opt-out"). Sie wären dann allerdings nicht in den Genuss von Googles Zahlungen gekommen.
Anhaltende Kritik trotz Nachbesserungen am ursprünglichen Vergleich
Der Vergleichsvorschlag hatte zu einer Flut von Einwendungen geführt: Googles Konkurrenten wehrten sich gegen die Monopolrechte, die der Suchmaschinengigant erhalten sollte, gemeinnützige Organisationen bangten um Datenschutz. Sogar Deutschland und Frankreich schalteten sich in das Verfahren ein. Beide Länder kritisierten, dass der Google-Deal auch Werke ihrer Bürger umfassen sollte, obwohl ihre Interessen in dem Rechtsstreit nicht angemessen vertreten worden seien. Dadurch werde internationales Urheberrecht verletzt.
Die Parteien legten daraufhin Ende 2009 einen zweiten Vergleichsvorschlag vor, mit dem sie auf einen Teil der Kritik reagierten. Umfasst wurden nunmehr nur noch Werke, die in den USA, Kanada, Großbritannien und Australien veröffentlicht wurden oder in den USA registriert sind. Außerdem sah er eine Strukturänderung des Book Rights Registry vor, um die Rechte von Nichtmitgliedern zu stärken. Rechteinhaber, die nicht Mitglied des Registry sind, wären dort durch einen Treuhändler vertreten worden.
Das New Yorker Gericht hatte den veränderten Vergleichsvorschlag Ende 2009 vorläufig genehmigt. Die Kritik ebbte dadurch allerdings nicht ab: Es wurde bemängelt, dass die Parteien der Kritik, die am ursprünglichen Vergleichsvorschlag geäußert worden war, nur unzureichend Rechnung getragen hätten. Vor allem die Einwendungen des amerikanischen Justizministeriums hatten die Chancen, dass der Vergleich genehmigt werden würde, deutlich gesenkt. Beobachter des Verfahrens vermuteten deshalb, dass der Richter dem Vorschlag die endgültige Genehmigung wohl verweigern würde. Am Dienstag wurden sie in dieser Vermutung bestätigt.
Gericht lässt Vergleich aus prozessualen Gründen scheitern
Der Vergleich wurde in der Tat kassiert, gleichzeitig den Parteien allerdings die Möglichkeit gegeben, dem Gericht einen neuen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Auf den 48 Seiten seiner Entscheidung versucht Richter Chin, den zentralen Argumenten aller Beteiligten Rechnung zu tragen. Im Kern lässt er den Vergleich jedoch aus einem einzigen Grund scheitern: Die Vereinbarung sprenge den Rahmen einer rechtlich zulässigen Sammelklage.
Zwar sei der den ursprünglichen Klagegegenstand umfassende Teil des Vergleichs unbedenklich. Daneben und außerdem erlaube die Vereinbarung Google aber für die Zukunft die Vornahme von Verwertungshandlungen, die nicht Gegenstand der ursprünglichen Klage waren. Diese Erweiterung verstoße gegen Rule 23 der amerikanischen Zivilprozessordnung.
Neben diesem entscheidenden Argument geht Chin auf die anderen Bedenken nur mit allgemeinen Aussagen ein. So etwa bei der Frage der Verwertung verwaister Werke: Diese sei nach geltendem US-Recht nicht möglich. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, diese Frage zu regeln. Auch das "opt-out-Modell" stelle das geltende Urheberrecht auf den Kopf. Google werde durch den Vergleich nicht nur ein unfairer Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern verschafft, auch benachteilige die Vereinbarung möglicherweise ausländische Rechteinhaber in unzulässiger Weise. Diesen letzten Punkt hatte auch die deutsche Bundesregierung in ihrer Eingabe vertreten, die das Gericht in seiner Entscheidung zitiert. Die Frage, ob der Vergleich inhaltlich den Vorgaben des internationalen Urheberrechts gerecht wird, lässt Richter Chin in seiner Entscheidung jedoch unbeantwortet.
Googles Herausforderung des Urheberrechts ist gescheitert
Die Parteien haben nun drei Möglichkeiten: Sie können Berufung gegen die Entscheidung einlegen, das ursprüngliche Verfahren wieder aufnehmen oder zurück an den Verhandlungstisch gehen. Die ersten Reaktionen lassen darauf schließen, dass Richter Chin in absehbarer Zeit einen dritten Vergleichsentwurf auf seinem Schreibtisch vorfinden wird.
Gewonnen haben mit der Entscheidung weniger die Gegner des Vergleichs als vielmehr der Status Quo: Das geltende Urheberrechtssystem ist den technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nur bedingt gewachsen, darin sind sich alle einig. Unklarheit herrscht aber darüber, welcher Weg für die Zukunft richtig ist. Für viele drängende Probleme findet der Gesetzgeber daher entweder keine oder nur Minimallösungen.
Aus Frust über diese Stagnation hat Google die Dinge selbst in die Hand genommen und das geltende Urheberrecht herausgefordert; nur ein Unternehmen dieser Größe hat dafür auch die Mittel. Selbst Google ist aber am Dienstag gescheitert. Jetzt ist es am Gesetzgeber, über die Zukunft der globalen Digitalbibliothek Klarheit zu schaffen – und diese Aufgabe ist gewaltig.
Dr. Zohar Efroni, LL.M. (New York) ist bei JBB Rechtsanwälte in Berlin tätig mit den Tätigkeitsschwerpunkten Urheberrecht, Markenrecht und IT Recht. Prof. Dr. Katharina de la Durantaye ist Inhaberin einer Juniorprofessur für Bürgerliches Recht, insbesondere Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie forscht unter anderem zu rechtsvergleichenden Fragen des Urheberrechts.
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Urteil zu Google Books: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2882 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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