Verharmlosung des Holocaust?: Ist das Tragen von "Unge­impft"-Ster­nen strafbar?

von Annelie Kaufmann

02.03.2022

Bei Corona-Protesten und bei der AfD sind immer wieder verfremdete "Judensterne" zu sehen. Nun wollen Polizei und Staatsanwaltschaften stärker durchgreifen. Auch Gerichte haben schon entschieden.  

Christian Drosten als KZ-Arzt Josef Mengele, Jana aus Kassel als Sophie Scholl und Impfgegner als die "neuen Juden" – Gegner von Corona-Maßnahmen greifen immer wieder zu abstrusen Vergleichen mit dem Nationalsozialismus. Zur Zeit beschäftigen verfremdete Judensterne die Justiz. Es geht um Aufnäher, Plakate oder Facebook-Posts, die einen gelben Stern mit der Aufschrift "ungeimpft" zeigen, ähnlich jenem Stern, den Juden in NS-Deutschland ab 1941 tragen mussten.  

In fast allen Bundesländern sehen die Staatsanwaltschaften einen Anfangsverdacht der Volksverhetzung, wenn solche "Ungeimpft"- Sterne öffentlich verwendet werden. Das zeigt eine Umfrage des Mediendienstes Integration bei den Justiz- und Innenministerien der Länder. In den meisten Ländern haben sich die Innen- oder die Justizministerien bzw. die Generalstaatsanwaltschaften mit dem Thema befasst, teilweise gab es Rundschreiben oder Erlasse, mit denen die Polizei angehalten wurde, entsprechende Fälle den Staatsanwaltschaften vorzulegen. In mehreren Ländern sind zumindest einige Ermittlungsverfahren anhängig.

Insgesamt zeige sich eine "klare Tendenz hin zur Kriminalisierung" der "Ungeimpft"-Sterne, heißt es seitens des Mediendienstes. Doch wie die Strafgerichte mit diesen Fällen umgehen werden, ist bisher nicht klar. Und auch unter Strafrechtsprofessoren ist umstritten, ob der "Ungeimpft"-Stern strafbar ist.

Nicht jeder NS-Vergleich fällt unter § 130 StGB

Die Diskussion dreht sich um die Frage: Geht es um eine Verharmlosung des Holocaust? Dann kann es gemäß § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB) als Volksverhetzung strafbar sein, den "Ungeimpft"-Stern öffentlich zu zeigen. Oder ist der lediglich als eine überspitzte Meinungsäußerung zu sehen, mit der Impfgegner zwar auf die Entrechtung der Juden im dritten Reich Bezug nehmen – aber auch "nur" auf die Entrechtung, nicht auf ihre Ermordung?

Angesichts dessen, dass Erwachsene und Kinder ab sechs Jahren, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden galten, ab September 1941 den gelben Stern "sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstückes " tragen mussten, Massenerschießungen bereits begonnen hatten und am 20. Januar 1942 die Wannsee-Konferenz stattfand, auf der die bürokratischen Details der "Endlösung der Judenfrage" besprochen wurden, klingt es nach typisch juristischer Spitzfindigkeit, zwischen der Entrechtung und der Ermordung zu unterscheiden.  

Für § 130 Abs. 3 StGB kommt es allerdings darauf an, wie genau die Symbolik des Judensterns zu verstehen ist. Denn die Vorschrift stellt nicht jede Verharmlosung des Nationalsozialismus unter Strafe. Es geht konkret um Fälle, in denen der damals begangene Völkermord öffentlich gebilligt, geleugnet oder verharmlost wird und zwar "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".

Anders § 130 Abs 4 StGB, der erst 2005 in das StGB eingefügt wurde: Demnach kann jede öffentliche Äußerung strafbar sein, mit der jemand die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft "billigt, verherrlicht oder rechtfertigt", wenn dies den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise stört. Eine Verharmlosung reicht nicht aus.  

Braucht es eine Gesetzesänderung?

Für den Frankfurter Strafrechtsprofessor Matthias Jahn ist das ein Problem: § 130 Abs. 3 StGB sei nicht einschlägig, weil es keinen eindeutigen Bezug zum Völkermord gebe, § 130 Abs. 4 StGB stelle aber gerade das Verharmlosen von NS-Unrecht nicht unter Strafe. Er fordert deshalb eine Gesetzesänderung und schlägt vor, § 130 Abs. 4 zu ergänzen, sodass auch bestraft wird, wer die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft "verharmlost". Jahn meint: "Solche Äußerungen vergiften den Diskurs und beeinträchtigen den öffentlichen Frieden, da muss das Strafrecht eine Grenze ziehen."  

Die Leipziger Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven ist ebenfalls der Meinung, dass der Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB nicht greift. Wer "Ungeimpft"-Sterne verwende, wolle in übertriebener Weise auf die eigene Ausgrenzung hinweisen, der nach § 130 Abs. 3 StGB erforderliche Bezug zum Völkermord fehle. Hoven bezweifelt, dass sich ein vorsätzliches Verharmlosen annehmen lässt: "Die Verwendung des Ungeimpft-Sterns zielt nicht darauf ab, das Unrecht des Nationalsozialismus zu bagatellisieren, sondern darauf, das eigene Leid zu dramatisieren. Ich würde daher bezweifeln, dass sich ein vorsätzliches Verharmlosen hier annehmen lässt." Eine Gesetzesänderung hält sie nicht für notwendig: "Das könnte darauf hinauslaufen, dass etwa auch der Vergleich einer rechtspolitischen Partei mit der NSDAP oder eines rechtspopulistischen Politikers mit Hitler als Verharmlosung strafbar wäre," so Hoven. "Auf geschmacklose und abwegige Vergleiche müssen wir zivilgesellschaftliche Antworten finden."

Folgt man der Auffassung, dass der Judenstern allein objektiv nicht als Bezugnahme auf den Holocaust ausreicht, müsste man aber wohl zumindest einen Slogan wie "Impfen macht frei" anders beurteilen, mit dem Impfgegner auf den Schriftzug über dem Tor von Auschwitz anspielen. Spätestens hier dürfte der Vergleich mit der Shoah auf der Hand liegen.  

Judenstern als Gleichsetzung mit Leid der Juden?

Doch auch für die "Ungeimpft"-Sterne kann man der Auffassung sein, dass sie vom Strafrecht durchaus bereits erfasst sind: Die Judensterne dienten auch der Ghettoisierung, späteren Deportation und systematischen Ermordung von Juden, erklärt Michael Kubiciel, Strafrechtsprofessor an der Universität Augsburg. "Es ist gerade das Symbol für die Judenvernichtung. Wer den 'Ungeimpft'-Stern trägt, wertet sich also nicht nur in geschmackloser Weise auf, er wertet auch die Verbrechen der Ermordung der  Juden ab. Das ist eine Verharmlosung par excellence." Es komme aber auf den Einzelfall an, ob die Äußerung auch geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören.

Auch der Professor für Strafrecht und neuere Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin Martin Heger geht davon aus, dass der Stern, bei dem der Begriff Jude mit "ungeimpft" oder "Impfgegner" ersetzt wird, eine annähernde Gleichsetzung darstellt, die "objektiv angesichts der minimalen Belastung der Gruppe der Ungeimpften nur als Verharmlosung des Holocaust verstanden werden kann." Dabei genüge bedingter Vorsatz, betont Heger. Es kommt also nicht darauf an, dass der Täter sich ebenso zum Opfer stilisieren will. "Der Vorsatz muss sich beim Verharmlosen letztlich nur darauf beziehen, dass dem Täter bewusst ist, dass sein als Vergleich gewähltes Beispiel nicht annähernd so schwer wiegt wie die Massenvernichtung der europäischen Juden", erklärt Heger.  

Anders wäre das nur, wenn der Täter tatsächlich glaubt, das von ihm genannte Unrecht sei objektiv mit dem Holocaust vergleichbar. Dann würde sich allerdings die Frage nach der Schuldfähigkeit stellen.

Zwei OLG-Entscheidungen zu "Ungeimpft"-Sternen, einmal strafbar, einmal nicht

Es gibt bereits erste  Rechtsprechung zur Strafbarkeit der Verwendung von Ungeimpft"-Sternen. Das Saarländische Oberlandesgericht (OLG) hatte sich gleich mit einer ganzen Reihe verfremdeter Judensterne auseinanderzusetzen, die eine AfD-Anhängerin auf Facebook geteilt hatte: Das Wort "Jude" war durch "nicht geimpft", "AfD Wähler", "SUV Fahrer" und "Islamophob" ersetzt worden. Das sei zwar eine Bagatellisierung, also Verharmlosung des Völkermords an den Juden, aber dennoch nicht strafbar, so das OLG. Die Äußerung müsse nämlich auch geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören – und daran fehle es hier. Es sei der Angeklagten gerade nicht darum gegangen, zu etwaigen Gewalttaten aufzustacheln.  

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hatte im vergangenen Jahr einen Fall eines AfD-Anhängers zu entscheiden, der auf dem AfD-Bundesparteitag ein Plakat mit der Aufschrift „Hetze in Deutschland“ in die Höhe hielt. Links war „1933-45“ und ein „Judenstern“ abgebildet, rechts „2013-?“ und das AfD-Logo. Das BayObLG sah hier einen Fall der der strafbaren Verharmlosung des Holocaust. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) lehnte eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung ohne Begründung ab.  

Im Bundesjustizministeriums (BMJ) hat man das Thema zwar im Blick, sieht aber derzeit keinen dringenden Handlungsbedarf. Die Strafbarkeit sei nicht grundsätzlich ausgeschlossen, je nach den Umständen des Einzelfalls könne die Verwendung des "Judensterns" nach § 130 Abs. 3 StGB eine strafbare Verharmlosung des Holocaust darstellen.  

Es bleibt also vorerst abzuwarten, wie sich andere Oberlandesgerichte positionieren werden. Angesichts dessen, dass Polizei und Staatsanwaltschaften in den Ländern zunehmend gegen "Ungeimpft"-Sterne vorgehen, dürfte es jedenfalls zu weiteren Entscheidungen kommen. Im Zweifelsfall könnten sich die Richterinnen und Richter dann Rat bei Historikern suchen.

Zitiervorschlag

Verharmlosung des Holocaust?: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47697 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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