Auf Autobahnen dürfen auch mehrere Kilometer lange Überholverbote für Lkw angeordnet werden, entschied jetzt das Bundesverwaltungsgericht. Das gilt aber nicht für jedes Autobahnteilstück. Wann die Verbote zulässig sind und wie die Richter mit dem Urteil zusätzlich die Rechte der Verkehrsteilnehmer gestärkt haben, erklärt Adolf Rebler.
Einem selbständigen Fuhrunternehmer, der bundesweit Segel- und Motoryachten transportiert, waren kilometerlange Lkw-Überholverbote auf den Autobahnen A7, A 45 in Hessen und A 8 (Ost) in Bayern ein Dorn im Auge. Er klagte dagegen. Vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof hatte er in zweiter Instanz teilweise Erfolg; einige Überholverbote wurden aufgehoben. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dagegen hielt die Streckenverbote auf der A 8 in vollem Umfang für rechtmäßig.
Beide Gerichte waren bei ihrer Entscheidung zugunsten des Klägers davon ausgegangen, dass die Klagen nicht verfristet, d. h. zu spät erhoben worden waren. Sie waren der Auffassung, dass eine Klagefrist nicht schon mit der Aufstellung des Verkehrszeichens anläuft, sondern erst, wenn ein Verkehrsteilnehmer auf sie trifft. Mit seiner Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wollte der Kläger grundsätzlich geklärt haben, welche Voraussetzungen für die Anordnung von Streckenverboten, wie ein Überholverbot eines ist, denn überhaupt gelten.
Die Rechtsnatur eines Verkehrszeichens
Auf den ersten Blick mag es seltsam erscheinen: Gegen Verkehrszeichen kann man klagen? Aber für Juristen ist ein Verkehrszeichen rechtlich nichts anderes als beispielsweise ein Einkommensteuerbescheid. Und zwar ein Verwaltungsakt, also die verbindliche Entscheidung einer Behörde über einen Einzelfall.
Dass ein Verkehrszeichen ein Verwaltungsakt ist und beispielsweise keine Rechtsverordnung, war lange umstritten. Denn im Unterschied zu einem Einkommensteuerbescheid betrifft ein Verkehrszeichen eine Unmenge von Leuten, nämlich jeden Verkehrsteilnehmer, der auf der Straße fährt.
Der Streit ist seit 1979 beendet: damals entschied das BVerwG, dass es sich beim Verkehrszeichen um einen Verwaltungsakt in der speziellen Form der Allgemeinverfügung handelt. Die Allgemeinverfügung ist nach der Legaldefinition in § 35 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft. Verwaltungsakte können mit einer Klage vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden.
Verkehrszeichen müssen sofort befolgt werden
Wird gegen eine staatliche Maßnahme geklagt, hat dies normalerweise zur Folge, dass ein Betroffener in Ruhe die gerichtliche Entscheidung abwarten kann und erst dann, wenn das Gericht die Rechtmäßigkeit einer Anordnung bestätigt hat, dem Willen der Behörde nachkommen muss.
Wäre das bei Verkehrszeichen auch so, entstünde Chaos auf den Straßen: Wer angefochten hätte, bräuchte sich um das Verkehrschild nichts zu scheren, andere müssten sich dran halten. Die Verwaltungsrechtler behelfen sich hier mit einem Trick: Ein Verkehrszeichen steht stellvertretend für einen Polizeibeamten. Und für dessen Anweisungen besteht eine gesetzliche Regelung, dass diese sofort befolgt werden müssen. Verkehrszeichen sind also sofort vollziehbar.
Wann ist für den Kläger der Zug abgefahren? – Die Anfechtungsfrist
Obwohl es Verkehrszeichen schon Jahrzehnte gibt, war es bisher nicht geklärt, wie lange sie denn angefochten werden können. Verwirrung stiftete hier das BVerwG selbst, indem es im Jahre 1996 die Aussage traf, Verkehrszeichen würden im Wege der öffentlichen Bekanntmachung (also ähnlich einer Aufbietung) erlassen. Daraus folgerten viele, dass ein Verkehrszeichen ein Jahr nach seiner Aufstellung von niemandem mehr infrage gestellt werden dürfe; auch von Verkehrsteilnehmern nicht mehr, die nie vorher in den Wirkungsbereich des Schildes gekommen waren.
Auch wenn diese Meinung für klare Verhältnisse gesorgt hätte – mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wäre sie schwerlich zu vereinbaren gewesen. Denn es gehört zum Wesen des Rechtstaates, dass eine Klagefrist für einen Einzelnen grundsätzlich nur dann anläuft, wenn ihm ein behördliches Gebot oder Verbot individuell bekanntgegeben worden ist. Ausnahmen davon gibt es nur in extremen Ausnahmefällen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im September 2009 nach Rücksprache mit dem BVerwG festgestellt hatte, dass die Frage der Anfechtungsfrist noch keineswegs als geklärt anzusehen war, war offensichtlich, dass die Meinung, ein Jahr nach Aufstellung der Schilder sei der Zug für alle abgefahren, kaum mehr zu halten sei.
Das BVerwG hat nun endgültig geklärt, dass die Anfechtungsfrist nicht mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens zu laufen beginnt, sondern individuell erst dann, wenn ein Verkehrsteilnehmer das Schild zu sehen bekommt.
Verkehrsrechtliche Anordnungen schweben nicht im rechtsfreien Raum
Da Verkehrzeichen wie Überholverbote Anordnungen treffen, dem Verkehrsteilnehmer also sagen, was er zu tun und zu lassen hat, brauchen sie eine Rechtsgrundlage. Diese findet sich in § 45 StVO: Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.
Für "Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs" findet sich seit 1997 in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO zusätzliche Voraussetzungen: solche Verkehrszeichen dürfen nur dort angeordnet werden, wo "aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung" der durch die StVO geschützten Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) "erheblich übersteigt". Das bedeutet also, dass eine Straße oder eine Strecke Besonderheiten aufweisen muss, die sie von vergleichbaren Situationen unterscheidet, sie als gefährlicher und für den Verkehrsteilnehmer unkalkulierbarer erscheinen lässt: etwa eine plötzlich auftauchende gefährliche Kurve, von weitem nicht erkennbar Einmündungen, ein schmaler werdender Straßenquerschnitt.
In den entschiedenen Fällen hat das BVerwG solche Sondersituationen bejaht. Danach ergäbe sich eine qualifizierte Gefahrenlage im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO aus den auf diesen Streckenabschnitten bestehenden erheblichen Höhenunterschieden mit entsprechenden Steigungs- und Gefällstrecken, dem Nichterreichen der erforderlichen Haltesichtweiten, der dichten Abfolge von Anschlussstellen und einem nur zweispurigen Ausbau der Richtungsfahrbahnen, die zudem über keinen Standstreifen verfügen; hinzu kommen ein überdurchschnittliches Verkehrsaufkommen und überdurchschnittliche Unfallraten. Das BVerwG sah die Überholverbote als geeignet an, den Verkehr auf den entsprechenden Autobahnteilstücken sicherer ablaufen zu lassen.
Wie geht’s weiter - flächendeckende Überholverbote?
Verkehrsminister Ramsauer will gemeinsam mit den Bundesländern Staus auf deutschen Autobahnen wirksamer bekämpfen und fordert dazu mehr Überholverbote für Lkw. Klar ist nach dem Urteil des BVerwG, dass dies so einfach nicht ist: die bestehende Gesetzeslage sieht Lkw-Überholverbote als Ausnahme an. Sie sind nicht generell und flächendeckend möglich. Die Verkehrsbehörde braucht für jedes Verkehrsschild eine gute Begründung und muss Verkehrsverhältnisse und eventuelle Unfallursachen genau ermitteln. Für generelle Verbote müsste die StVO geändert werden. Und auch über die Zulässigkeit einer solchen Regelung könnten wieder die Gerichte befinden- hier allerdings im Wege einer inzidenten und konkreten Normenkontrolle.
Der Autor Adolf Rebler ist Regierungsamtsrat in Regensburg und Autor zahlreicher Publikationen zum Straßenverkehrsrecht
Adolf Rebler, Überholverbote: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1560 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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