Das VG Köln hat ein Urteil gefällt, das die Bundesregierung und vielleicht die gesamte internationale Gemeinschaft beschäftigen wird. Es scheint die Bemühungen der UN, eine schnelle und effektive Strafverfolgungslösung für Piraten zu finden, zurückzuwerfen. Allerdings lässt sich das Urteil auch als Anstoß zum Umdenken verstehen, meint Tim René Salomon.
Am 3. März 2009 griff die Fregatte "Rheinland Pfalz" im Golf von Aden Ali Mohamed aw-Dahir mit weiteren Verdächtigen auf. Es wurde vermutet, dass die Gruppe die unter der Flagge Antigua und Barbudas fahrende Courier, ein Containerschiff der Reederei Winter, attackiert hatte. Die "Rheinland Pfalz", die im Rahmen der ATALANTA-Mission vor Ort war, übergab die Verdächtigen eine Woche später an die kenianischen Strafverfolgungsbehörden. Hiergegen klagte aw-Dahir vor dem Verwaltungsgericht Köln (VG).
Auf den Antrag von Ali Mohamed aw-Dahir, festzustellen, dass seine Festnahme durch die Deutsche Marine und die Übergabe an die kenianischen Strafverfolgungsbehörden rechtswidrig waren, urteilte das VG Köln nun, dass zwar die Festnahme und die Freiheitsentziehung rechtmäßig, die Übergabe an Kenia jedoch nicht dem geltenden Recht entspricht. Das Gericht lässt in seinen Ausführungen erkennen, dass die kenianischen Haftbedingungen "erkennbar nicht völkerrechtlichen Mindeststandards" genügten (Urt. v. 11.11.2011, Az. 25 K 4280/09).
Der Festnahme und Übergabe ging ein bemerkenswerter Vorgang voraus: Erst vier Tage vor dem Transfer der mutmaßlichen Seeräuber, am 6.3.2009, hatten sich die EU und Kenia in einem Briefwechsel auf die Bedingungen eines solchen Vorgehens geeinigt. Die Unterzeichner versicherten, die Personen im Einklang mit internationalen Menschenrechtsverpflichtungen zu behandeln. Andere Staaten folgten und trafen ähnliche Absprachen.
Ein Briefwechsel als Rechtsgrundlage?
Verständlicherweise wurde diese Praxis kontrovers diskutiert: Kann ein informeller Briefwechsel ohne ein verrechtlichtes Übergabeverfahren für einen Transfer von Verdächtigen überhaupt ausreichen und verbietet nicht das Seerechtsübereinkommen selbst eine Übergabe von Piraterieverdächtigen?
Als besonders problematisch erwies sich vor allem, ob das hoffnungslos überlastete kenianische Justizsystem die zusätzliche Belastung schultern und zudem die zugesicherten fairen Verfahren und die Strafvollstreckung unter menschenwürdigen Bedingungen glaubwürdig garantieren kann. Berichte des Außenministeriums der Vereinigten Staaten von 2010 ließen hieran zweifeln. Sie beschrieben das Justizsystem Kenias als korrupt und überlastet, während die Haftbedingungen lebensbedrohlich seien, sowohl was Hygiene als auch Gewalttaten durch Vollzugsbeamte anging.
Inwiefern Kenia also je in der Lage war, die Zusagen aus dem Briefwechsel einzuhalten, ist - trotz beachtlicher Hilfszahlungen der Staatengemeinschaft zur Modernisierung örtlicher Gefängnisse - äußerst fraglich.
VG Köln verlangt "völkerrechtliche Mindeststandards"
Trotz all dieser Einwände wurden die Übergaben zur dauerhaften Praxis bis Kenia Ende 2010 verkündete, Verdächtige nur noch im Einzelfall anzunehmen. Rechtlich überprüft wurden die bis dahin erfolgten Übergaben nur selten und so erwarteten viele das Urteil des VG Kölns mit Spannung. Bereits per Zwischenurteil Ende April 2010 hatte das Gericht die Klage für zulässig erklärt.
Zwar können verlässliche rechtliche Schlussfolgerungen erst mit Veröffentlichung des Volltexts endgültig getroffen werden. Doch das Urteil der Kölner Richter hat schon jetzt absehbare Folgen für die Bemühungen, eine Strafverfolgungslösung für somalische Piraten zu finden.
Auf UN-Ebene ist man sich nach den Berichten des UN-Sonderberichterstatters Jack Lang bisher einig, dass die Strafverfolgung 'somalisiert' wird. Das Problem der Piraterie solle dort gelöst werden, wo es seinen Ursprung hat. Solange in Somalia die Vorbedingungen für die Strafverfahren nicht existieren, sollen Drittstaaten die Strafverfahren übernehmen, wie es etwa die Seychellen bereits tun. Die dort schuldig gesprochenen Piraten werden sodann zur Strafvollstreckung in hierfür modernisierten Gefängnissen nach Somalia übergeben.
Ob die dortigen Gefangeneneinrichtungen tatsächlich schon den "völkerrechtlichen Mindeststandard" erreicht haben, den das VG Köln in Kenia unterboten sah, darf allerdings bezweifelt werden. Dies vor allem auch, da die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) für einen solchen Mindeststandard höhere Anforderungen stellt als die allgemeineren internationalen Menschenrechtsinstrumente. Darüber hinaus müssen somalische Gefängnisse auch den hohen Maßstäben aus der UN-Kinderrechtskonvention gerecht werden, die für einige der Verdächtigen noch einschlägig sein dürfte.
Somalisierung als Ziel, aber mit kurzfristigen Alternativen
Möglich erscheint also, dass das Urteil auf internationaler Ebene eine Umorientierung hin zu anderen Lösungen anstößt. Es könnte zudem als Katalysator für verbesserte Strafvollzugsbedingungen wirken.
Trotz des karnevalistischen Entscheidungsdatums muss das Urteil der Verwaltungsrichter aus Köln in jedem Fall ernst genommen werden. Zunächst bedeutet es, dass Deutschland bei der internationalen Suche nach effektiven Strafverfolgungslösungen verstärkt auf die Einhaltung menschenrechtlicher Gewährleistungen achten muss. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Übergabe von mutmaßlichen Seeräubern an Behörden von Drittstaaten zukünftig in rechtmäßiger Weise erfolgen kann. Diplomatische Bemühungen, strafverfolgungs- und strafvollzugswillige Drittstaaten zu finden, könnten sich sonst wegen ähnlicher Urteile als wertlos erweisen.
Dies bedeutet auch, dass die Somalisierung der Strafverfolgung zwar das Ziel sein sollte. Dennoch dürfen kurz- und mittelfristige Alternativen nicht außer Acht gelassen werden, die etwa unter Beteiligung der jeweiligen Flaggen- oder Herkunftsstaaten oder aber mit Hilfe internationalisierter Lösungen erfolgen. Die Einrichtung internationaler Strukturen ist auf UN-Ebene bereits diskutiert worden, wurde aber zu Gunsten der Somalisierung vor allem aufgrund hoher Kosten zu den Akten gelegt. Das Kosten-Argument vermag angesichts des finanziellen Aufwands, der mit ATALANTA und den anderen Piratenmissionen vor Somalia verbunden ist, allerdings nicht zu überzeugen. Schließlich würde eine funktionierende Strafverfolgung die Effektivität der gesamten Operation deutlich erhöhen. Vorfälle wie den am 8. November 2011, als die Fregatte "Köln" mangels zuständiger Anlaufstelle 19 mutmaßliche Piraten freiließ und ihnen Medienberichten zufolge sogar ein Schlauchboot der Marine zur Verfügung stellte, werden dann der Vergangenheit angehören.
Tim René Salomon ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Allgemeine Staatslehre, Völker- und Europarecht der Bucerius Law School, Hamburg, und Associate der International Max Planck Research School for Maritime Affairs, Hamburg. Er ist Mitarbeiter des Projekts "Piraterie und maritimer Terrorismus als Herausforderung für die Seehandelssicherheit: Indikatoren, Perzeptionen und Handlungsoptionen" und promoviert zum Thema Piraterie und Strafverfolgung.
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Strafverfolgung von Piraten: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4863 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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