In vielen Situationen verlangt der Staat Auskünfte von den Bürgern. Diese Informationen können auch für die Strafverfolgungsbehörden von Interesse sein. Eine gesetzliche Regelung eines Beweisverbots sollte für Klarheit sorgen, meint Sarah Zink.
Um seine hoheitlichen Aufgaben erfüllen zu können, ist der Staat in vielen Bereichen auf Auskünfte der Bürger angewiesen. Das Gesetz verpflichtet diese häufig zur Auskunft gegenüber den Behörden. Das gilt auch, wenn sie sich mit den Angaben selbst belasten, wenn das Gesetz selbst kein Auskunftsverweigerungsrecht vorsieht. Die Gesetze, in denen solche Auskunftspflichten vorgesehen sind, sind oft wenig bekannt, dafür ist die Anzahl solcher Auskunftspflichten insgesamt kaum mehr überschaubar. Und die Tendenz ist steigend.
Zur Illustration folgendes Beispiel: § 4 Umweltschadengesetz regelt für den Fall, dass eine unmittelbare Gefahr eines Umweltschadens besteht oder ein Umweltschaden eingetreten ist, dass der Verantwortliche die zuständige Behörde unverzüglich über alle bedeutsamen Aspekte des Sachverhalts zu unterrichten hat. Was aber, wenn der Verantwortliche dabei Tatsachen offenlegen muss, mit denen er sich selbst belastet, zum Beispiel bezüglich der Begehung von Umweltstraftaten, die in den §§ 324 ff. Strafgesetzbuch normiert sind? Er muss die Auskunft dennoch erteilen, denn das Gesetz sieht kein Auskunftsverweigerungsrecht vor.
Gesetze zwingen zur Selbstbelastung
Ein weiteres Beispiel: Ein Seelotse ist auf einem Schiff tätig, das in einer Kurve ein anderes Schiff überholt. Es kommt zur Kollision. Gegen den Seelotsen wird durch die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Gefährdung des Schiffverkehrs (§ 315a StGB) ermittelt. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren muss der Seelotse keine selbstbelastenden Angaben machen, worüber er auch zu belehren ist, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO.
Doch im Verwaltungsverfahren fordert die Aufsichtsbehörde den Seelotsen auf, einen Bericht zu übersenden. Der Seelotse weigert sich erfolglos mit dem Hinweis, dass seine Angaben im Strafverfahren gegen ihn verwendet werden könnten. Die Aufsichtsbehörde bleibt dabei, dass sie den Bericht zur Ausübung ihrer Aufsicht über die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Schiffsverkehrs benötige, ansonsten können Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung, etwa ein Zwangsgeld, verhängt werden. Wie aber wird dem verfassungsrechtlich verankerten Recht zu schweigen Geltung verschafft?
Der nemo-tenetur-Grundsatz im Strafverfahren
Nemo tenetur se ipsum accusare – niemand muss sich durch seine Aussagen selbst belasten. Dies ist ein zentrales Prinzip eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens, das allerdings mit anderen staatlichen Aufgaben in Konflikt geraten kann. Um eine effektive verwaltungsrechtliche Aufsicht zu gewährleisten, existieren in nahezu allen verwaltungsrechtlichen Spezialgesetzen öffentlich-rechtliche Auskunftspflichten des Bürgers gegenüber den Aufsichtsbehörden. So hat etwa der Seelotse über jeden Unfall zu berichten und auf Verlangen weitere Auskünfte zu geben. So regelt es § 26 Abs. 1 Gesetz über das Seelotswesen ohne Rücksicht darauf, ob sich der Seelotse mit der Aussage selbst belastet.
Auch in der Konkursordnung, dem Vorgänger der Insolvenzordnung, kam es auch zu diesem Konflikt. Das BVerfG hat in seiner über die Verfassungsbeschwerde eines in Konkurs geratenen Kaufmanns entschieden (BVerfG, Beschl. v. 13.10.2003 – Az. 2 BvR 1321/02). Dieser hatte vor dem Konkursgericht die Aussage verweigert und sich darauf berufen, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Konkursvergehens anhängig war. Ein Aussageverweigerungsrecht sahen die konkursrechtlichen Regelungen damals nicht vor. Der Kaufmann befürchtete, sich selbst zu belasten. Das Konkursgericht ordnete zur Erzwingung der Aussage Beugehaft an. Das BVerfG hat entschieden, dass dieser die Auskunft erteilen muss, diese aber im Strafverfahren aufgrund eines verfassungsrechtlichen Verwertungsverbots nicht verwendet werden darf.
Schutz durch ein Auskunftsverweigerungsrecht oder Beweisverbot
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, dem nemo tenetur-Grundsatz Rechnung zu tragen. Entweder das Gesetz erlaubt es dem Auskunftspflichtigen, die Aussage zu verweigern, wenn er sich dadurch selbst belasten würde, so z.B. im Gaststättengesetz (§ 22), in der Gewerbeordnung (§ 29) oder der Handwerksordnung (§ 111). Das bietet den umfassenderen Schutz, weil die unter Umständen selbst belastende Auskunft erst gar nicht erteilt werden muss.
Die zweite Möglichkeit ist es, die Person dazu zu verpflichten, die Auskunft zu erteilen, aber die Verwendung der Aussage im Strafverfahren zu verbieten. Der Gesetzgeber hält hier die Erteilung der Auskunft für so wichtig, dass das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit des Auskunftspflichtigen (zunächst) zurücktreten muss. So hat das BVerfG zur Verfassungsbeschwerde des Kaufmanns entschieden, dass dieser die Auskunft erteilen muss, diese aber im Strafverfahren aufgrund eines verfassungsrechtlichen Verwertungsverbots nicht verwendet werden darf. Das hat das OVG Lüneburg auch für den Seelotsen oben entschieden (Beschl. v. 04.04.2012 – Az. 8 ME 49/12).
Warum brauchen wir eine gesetzliche Kodifikation?
Ist mit einem richterrechtlichen Beweisverbot dem nemo tenetur-Grundsatz Genüge getan? Ob und unter welchen Voraussetzungen bestimmte Informationen im Strafverfahren verwendet werden dürfen, wird häufig durch die Rechtsprechung bestimmt. Dies ist für den Laien, aber auch für Juristen wenig transparent.
Nachdem das BVerfG in der oben genannten Entscheidung ein von Verfassungs wegen gebotenes Beweisverwertungsverbot hergeleitet hatte, das bis dato nicht im Gesetz geregelt war, hat der Gesetzgeber daraufhin in § 97 Abs. 1 InsO ein Beweisverbot ausdrücklich normiert.
Aber nicht in allen Bereichen, in denen das Gesetz Auskunftspflichten vorsieht und kein Auskunftsverweigerungsrecht gewährt, ist ein Beweisverbot normiert. Eine Regelung fehlt z.B. auch im Aufenthaltsgesetz (§ 39 Abs. 4). Hier muss der Arbeitgeber der Bundesagentur für Arbeit Auskunft geben über Arbeitsentgelt, Arbeitszeiten und sonstige Arbeitsbedingungen, wenn die (notwendige) Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit für einen Aufenthaltstitel erteilt werden soll, um einen Ausländer zu beschäftigen. Dabei kann es sein, dass der Arbeitgeber selbstbelastende Angaben, zum Beispiel wegen Unterschreitung des Mindestlohns (§ 21 Mindeslohngesetz), machen muss. Auch kein Auskunftsverweigerungungsrecht haben z.B. Kinobetreiber und Fernsehveranstalter, die der Filmförderungsanstalt Auskünfte erteilen müssen nach dem Filmförderungsgesetz (§ 164). Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre eine gesetzliche Kodifikation eines Beweisverbots aber wünschenswert. Dies kann wie in § 97 Abs. 1 InsO im Spezialgesetz selbst geschehen. Da dies aber als allgemeines Prinzip das Strafverfahren betrifft, wäre es sinnvoll, eine Regelung in der StPO für alle Fälle staatlich erzwingbarer Auskunftspflichten vorzusehen.
Wie könnte und sollte eine gesetzliche Regelung aussehen?
Aber wie so häufig: Der Teufel steckt im Detail. Das Recht der Beweisverbote ist nicht einfach nachzuvollziehen. Das liegt daran, dass hier verschiedene Interessen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Auf der einen Seite steht das wichtige Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung von Straftaten. Auf der anderen Seite steht, wenn es um Auskunftspflichten geht, das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf Selbstbelastungsfreiheit.
Das Beweisverwendungsverbot in § 97 Abs. 1 InsO als mögliches Vorbild
Die Regelung in der Insolvenzordnung könnte als Vorbild für eine Regelung in der StPO dienen: § 97 Abs. 1 InsO spricht davon, dass Auskünfte des Schuldners nicht „verwendet“ werden dürfen, während sonst von „verwertet“ gesprochen wird (z.B. in § 136a Abs. 3 StPO).
Hier ist ein striktes Beweisverwendungsverbot geregelt. Das heißt die Aussage des Insolvenzschuldner darf auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen, die andere Beweise zutage fördern können.
Die Reichweite eines Beweisverwendungsverbots ist weiter als die eines Beweisverwertungsverbots, für das nicht anerkannt ist, dass es automatisch sog. Fernwirkung entfaltet. Das betrifft die Konstellation, in der aufgrund eines Beweises, der selbst nicht verwertet werden darf, andere Beweise aufgefunden werden.
Plädoyer für mehr Klarheit
Die Reichweite eines Beweisverwendungsverbots sollte dabei so weit wie möglich gezogen werden, um nicht den verfassungsrechtlich garantierten nemo tenetur-Grundsatz faktisch zu unterlaufen („darf nicht verwendet werden“ wie in § 97 Abs. 1 InsO). Auch viele andere Beweisverbote sind bisher reines Richterrecht und nicht gesetzlich geregelt. Die Einführung eines Beweisverbots wie hier könnte ein erster Schritt zu einer umfassenden Kodifikation sein.
Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung für die 20. Legislaturperiode enthält nichts konkret zu diesem Thema. Gleichzeitig findet sich dort aber ein klares Bekenntnis zu den Beschuldigtenrechten. Das könnte und sollte einen geeigneten Anknüpfungspunkt darstellen, um den Schutz des nemo tenetur-Grundsatzes auch in den hier beschriebenen Fällen rechtssicher zu gewährleisten.
Die Autorin Dr. Sarah Zink ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Matthias Jahn, RiOLG, Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie promovierte zum zum Thema Legal Aid im Strafverfahren.
Beim Beitrag handelt es sich um eine Zusammenfassung des wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen aus der Zeitschrift "StV Strafverteidiger, Heft 12, 2022 mit Schwerpunkt Revisionsrecht. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie können hier kostenlos zwei Probehefte erhalten. Ein Abo ist hier erhältlich.
Erzwingbare selbstbelastende Angaben und nemo tenetur: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50724 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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