Der aktuelle Bericht des Bundesverfassungsschutzes bescheinigt Scientology einen totalitären Charakter. Nach Informationen des Spiegel soll die Beobachtung nun dennoch eingestellt werden, die Kapazitäten würden an anderer Stelle dringender gebraucht. Eine Gefahr für den Rechtsstaat wird aber nicht dadurch geringer, dass andere Gefahren zunehmen, meint Arnd Diringer.
In den vergangenen Jahren schlitterte Scientology von einem PR-Desaster zum nächsten. So wurde Katie Holmes Scheidung von Tom Cruise in den Medien als "Flucht vor Scientology" beschrieben. Leah Remini, Hauptdarstellerin der TV-Serie "King of Queens", stellte nach ihrem Austritt aus der Vereinigung eine Vermisstenanzeige, weil die Frau des Scientology-Chefs David Miscavige angeblich verschwunden war. Und in den letzten Monaten sorgte das Buch "Mein geheimes Leben bei Scientology" von Jenna Miscavige Hill, der Nichte des Scientology-Führers, für erheblichen Wirbel.
In Deutschland leidet Scientology vor allem unter dem Image, eine verfassungsfeindliche Vereinigung zu sein, seit die Innenministerkonferenz 1997 beschloss die Gruppierung durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Die breite gesellschaftliche Ablehnung gründet sich nicht zuletzt auf diese Einschätzung, auf potentielle Interessenten wirkt sie abschreckend.
Scientology hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder gegen die Beobachtung gewehrt und dem Verfassungsschutz vorgeworfen, "mit allen Mitteln der Desinformation" ein negatives Bild zeichnen zu wollen. Es verwundert daher nicht, dass die Vereinigung die vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel verbreitete Nachricht über die Einstellung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfreut aufgenommen hat. Sie ist längst überfällig, meint Jürg Stettler, Sprecher der Scientology Kirche Deutschland auf Anfrage. Die bisherige Praxis sei eine reine Verschwendung von Steuergeldern.
Gerichte hielten Beobachtung grundsätzlich für zulässig
Die Freude bei Scientology mag besonders groß sein, weil die Versuche, sich gegen die Beobachtung mit rechtlichen Mitteln zu wehren, bisher nur mäßig erfolgreich waren.
Zwar ist es der Vereinigung gelungen, gegen einzelne Maßnahmen erfolgreich vorzugehen. So entschied etwa das Verwaltungsgericht Berlin 2001, dass das Landesamt für Verfassungsschutz die Anwerbung und den Einsatz von Mitgliedern oder Mitarbeitern der dortigen Scientology Kirche als bezahlte "Vertrauensleute" unterlassen muss (Urt. v. 13.12.2001, Az. 27 A 260/98). Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes verurteilte 2005 den dortigen Landesverfassungsschutz, die Beobachtung der Vereinigung mit nachrichtendienstlichen Mitteln unverzüglich zu beenden (Urt. v. 27.04.2005, Az. 2 R 14/03).
Viel gewonnen hatte Scientology damit nicht, die Beobachtung als solche stellten die Gerichte nie in Frage. Im Gegenteil: 2008 erklärte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen die Beobachtung durch den Bundesverfassungsschutz sogar ausdrücklich für zulässig – auch die verdeckte Beobachtung (Urt. v. 12.02.2008, Az. 2 R 14/03). Die Revision gegen diese Entscheidung wurde nicht zugelassen, die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde nahm die Vereinigung zurück.
Verfassungsschutz will sich auf gewaltbereite Extremisten fokussieren
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erstaunt die nun bekannt gewordene Entscheidung des Bundesverfassungsschutzes, sollte sich die Meldung des Spiegel bestätigen. Auf den ersten Blick ist sie aber nachvollziehbar. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins begründet die Behörde ihre Entscheidung damit, dass "die Bedeutung des Konzerns, der sich als Kirche ausgibt", abnehme. Minimiere man hier den Beobachtungsaufwand, könnten andere Bereiche von den frei werdenden Kapazitäten profitieren.
Der Bundesverfassungsschutz geht in seinem aktuellen Bericht davon aus, dass es in Deutschland gerade einmal 3.500 bis 4.000 Scientologen gibt. Zum Vergleich: 42.550 Menschen gelten als Anhänger sogenannter islamistischen Gruppierungen, 29.700 Personen als linksextremistisch und 22.150 als rechtsextremistisch. Daneben werden noch 28.810 Menschen extremistischen, nicht-islamistischen Ausländerorganisationen zugerechnet.
Auch vor dem Hintergrund, dass sich nach einem Bericht des Handelsblatt der Fokus der Behörde künftig auf gewaltbereiten Extremismus richten soll, erscheint es berechtigt, Scientology nicht mehr zu beobachten. Dass Scientologen zur Durchsetzung ihrer Ziele in Deutschland Gewalt anwenden, bestätigt der Bundesverfassungsschutzbericht nicht. Ganz anders sieht es dagegen bei Links- und Rechtsextremisten aus.
Es ist mit Blick auf die Enthüllungen von Edward Snowden zudem uneingeschränkt zu begrüßen, wenn sich der Verfassungsschutz künftig vermehrt der Spionageabwehr zuwenden will.
Verfassungsfeindlich oder nicht?
Gleichwohl ist die Fokussierung auf bestimmte Extremismusbereiche problematisch. Wenn die Behörde bei ihrer bisherigen Einschätzung von Scientology bleibt, muss sie weiter Informationen sammeln und auswerten (§ 3 Bundesverfassungsschutzgesetz). Sie kann dann nicht einfach die Beobachtung auf der Grundlage interner Erwägungen auf ein solches Minimum reduzieren, dass sie praktisch eingestellt wird. Eine Gefahr für den Rechtsstaat wird nicht dadurch geringer, dass andere Gefahren zunehmen.
Liegen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes dagegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen von Scientology vor, müsste das offen kommuniziert werden. Dann wäre die Beobachtung der Vereinigung rechtswidrig. Sie dürfte nicht einfach "praktisch eingestellt" werden, sondern müsste offiziell beendet werden.
Ein solch radikaler Sinneswandel wäre allerdings verwunderlich – nicht nur vor dem Hintergrund der Ausführungen im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Bundes. Ausgeschlossen ist er aber natürlich nicht.
Bislang hat die Behörde den Bericht des Spiegel noch nicht ausdrücklich bestätigt. Auffällig ist jedoch, dass man auf der Internetseite des Bundesverfassungsschutzes unter der Rubrik "Arbeitsfelder" schon jetzt vergeblich nach dem Stichwort "Scientology" sucht – anders als bei einzelnen Landesämtern für Verfassungsschutz.
Der Autor Prof. Dr. Arnd Diringer hat eine Professur für Zivil- und Strafrecht an der Hochschule Ludwigsburg inne und leitet dort die Forschungsstelle für Personal und Arbeitsrecht. Er hat über Scientology promoviert und führt derzeit ein Forschungsprojekt über "Glaube und Ethik der Scientology" durch.
Arnd Diringer, Scientology: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10168 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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