Pikachu kennen alle. Es gibt aber nicht nur Pokemon, der Sammelkartenmarkt ist dank vieler großer Namen ein Milliardengeschäft geworden. Mit ihm kommen dubiose Geschäftsmodelle, die juristisch klärungsbedürftig sind, zeigt Andreas Höpner.
Magic: The Gathering, Pokémon, Yu-Gi-Oh und One Piece: Das sind nur einige große Namen der sogenannten Trading Card Games (TCGs; zu Deutsch: "Sammelkartenspiele"), die sich seit teilweise fast drei Jahrzehnten nicht nur bei leidenschaftlichen Sammlern enormer Beliebtheit erfreuen. Auch Sammelkarten, welche die Bilder und Autogramme von Profis aus der Sportwelt enthalten, erzielen auf dem Sammlermarkt teils utopische Verkaufspreise. So ist beispielsweise die Sammelkarte der US-amerikanischen Baseball-Legende Mickey Mantle aus dem Jahre 1952 für einen Preis von 12,6 Millionen US-Dollar bei einer Auktion des Auktionshauses Heritage versteigert worden.
Auch die unter Nicht-Sammlern bekannten Pokémon-Karten stehen dem in nichts nach. Der Youtuber Logan Paul ersteigerte im vergangenen Jahr die "Illustrator Pikachu"-Karte für einen Preis von 5,3 Millionen US-Dollar. Der Markt lebt aber nicht nur von solchen Extremen: Schon bestimmte Versionen einfach nur beliebter Karten können mehrere Hundert Euro kosten, etwa der "Blue-Eyes White Dragon" ("Blauäugiger Weißer Drache") aus Yu-Gi-Oh oder der "Counterspell" ("Gegenzauber") in Magic: The Gathering. Es ist klar: Im Sammelkartenmarkt steckt viel Geld.
Die Sammelkarten werden von Herstellern wie z.B. Panini aus Italien, Topps aus den USA oder der Pokémon Company aus Japan vertrieben. Letztere erzielte in ihrem 24. Fiskaljahr einen Jahresumsatz von etwa 1,5 Milliarden Euro. Grundsätzlich werden die Sammelkarten in "Booster"-Paketen vertrieben. Diese enthalten je nach Spiel zehn bis 15 "zufällige" Karten. Dabei sind die Karten nach verschiedenen Seltenheiten eingruppiert und manche von ihnen werden lediglich ein einziges Mal mal gedruckt ("One of Ones"). Die Sammler hoffen also bei jedem Kauf, eine der begehrten Booster-Packungen zu erwischen, welche möglichst seltene oder ausgefallene Karten enthalten. Denn diese erzielen logischerweise auch die höchsten Wiederverkaufspreise auf dem Sammlermarkt.
Dieses Zufallsprinzip beim Verkauf von Sammelkarten ist in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisiert worden. Hierbei sind Parallelen zu den umstrittenen digitalen "Lootboxen" in Videospielen und mobilen Gaming-Apps zu erkennen, deren glücksspielähnliche Komponente bereits Prof. Dr. Julian Krüper für LTO besprochen hat.
Live Openings und "Mystery-Boxen": Sammelkartenspiele in Streams
Der finanziell voluminöse Sammelkartenmarkt hat einen Trend hervorgebracht, der vor allem seit der Corona-Pandemie auf Streaming-Plattformen wie Twitch, Voggt oder Kick aufgekommen ist. Dort betreiben mittlerweile nicht wenige Streamer sogenannte Live Openings. Hierbei kaufen die Streamer große Mengen der betreffenden Booster-Pakete, um sie an ihre Zuschauer weiterzuverkaufen und dann live vor der Kamera für diese zu öffnen. Die Karten werden dann an die Kunden nach Hause versendet. Das ist eine klassische Form des Wiederverkaufs, die auf den ersten Blick juristisch nicht zu beanstanden ist. Problematisch wird es jedoch dann, wenn diese Live Openings von den Streamern abgewandelt werden, um den Spannungsfaktor und die Kauflaune der Kunden in die Höhe zu treiben.
Dabei sind die betreffenden Streamer nicht unkreativ. Insbesondere hat sich das Phänomen der "Mystery-Boxen" in den Streams etabliert. Die Streamer öffnen dabei nicht die offiziellen Produkte der TCG-Hersteller, sondern schnüren selbst vorgefertigte Pakete mit diversen Einzelkarten, die sie dann zu einem Pauschalpreis den Zuschauern zum Verkauf anbieten. Der besondere Reiz hierbei: Die Streamer packen in diese von ihnen selbst zusammengeschnürten Pakete sehr seltene Karten, die wertmäßig den Kaufpreis einer einzelnen "Mystery-Box" um ein Vielfaches überschreiten. Der Nachteil: Es gibt auch Nieten. Denn die seltenen Karten werden von den Streamern, ganz in der Manier der offiziellen Hersteller, nur in wenigen der selbst zusammengeschnürten Boxen untergebracht. In den übrigen Boxen befinden sich dann häufig Karten, die wertmäßig unter dem Kaufpreis einer Mystery Box liegen. Die Auswahl der jeweiligen Box erfolgt dann nach dem Zufallsprinzip.
Juristisch problematisch ist dies vor allem deshalb, weil die Gewinnchancen den Zuschauern selten detailliert mitgeteilt werden. Hochwertige Karten in den Überraschungsboxen werden zwar – sicherlich auch zu Werbezwecken – besonders angepriesen. Eine tatsächliche Angabe über das Gesamtkontingent, also den gesamten Gewinnpool und die individuelle Gewinnchance, fehlt in der Regel völlig. Darüber hinaus bieten die kreativen Livestreamer auch "Mini-Spiele" mit den Sammelkarten an, die eindeutig an klassische Glücksspielarten wie das Lose-Ziehen oder Blackjack erinnern. Statt eines Geldgewinns winkt den Zuschauern hier ein hochwertiges Produkt aus der Welt der Sammelkarten.
Strafbarkeit wegen unerlaubten Mystery-Boxen-Geschäfts?
Die Live Openings rund um die Mystery Boxen und Mini-Spiele erfreuen sich auf den Streaming-Plattformen größter Beliebtheit. Viele der Streamer haben ihren eigentlichen Beruf aufgegeben und betreiben ihre Live Openings mittlerweile gewerblich. Hierbei sind Jahresumsätze im einstelligen Millionen-Bereich möglich. Eine lukrative Einnahmequelle für ein Gewerbe, das im Wesentlichen vom heimischen PC am Schreibtisch aus betrieben werden kann.
Es könnte jedoch sein, dass diesem Treiben schon bald ein jähes Ende gesetzt wird. Insbesondere dann, wenn es sich bei den Mystery Boxen und Mini-Spielen um das Betreiben von illegalen Glücksspielen handelt. Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) liegt ein Glücksspiel vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt.
Bei der Subsumtion der Mystery-Boxen unter den Begriff des Glücksspiels wird es im Wesentlichen darauf ankommen, ob die möglicherweise zu gewinnenden hochwertigen Sammelkarten einen Gewinn im Sinne dieser Norm darstellen. Dafür spricht, dass der Wert von Sammelgegenständen aller Art, also z.B. auch von hochwertigen Gemälden, durch die Wiederverkäuflichkeit auf dem aktuellen Sammlermarkt bestimmt wird. Der Wert der Karten wird somit direkt durch den monetären Gegenwert auf Grundlage der aktuellen Marktsituation bestimmt. Die Ähnlichkeit zu einem unmittelbaren Geldgewinn drängt sich somit auf.
Juristisch eine Zufälligkeit anzunehmen, ist im Fall der Mystery Boxen wohl kein Problem. Gem. § 3 Abs. 1 S. 2 GlüStV hängt die Entscheidung über den Gewinn in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist. Die Boxen werden von den Streamern entweder zufällig ausgewählt oder von den Zuschauern per Angabe einer Wunschzahl aus dem Kontingent selbst ausgesucht. Da sich die Boxen jedoch optisch nicht voneinander unterscheiden und der Inhalt dem Kunden zunächst verborgen bleibt, ist der Ausgang des Spiels damit zufällig.
Regressansprüche wegen Irreführung nach dem UWG?
Unterstellt man, es handelt sich bei dem Verkauf solcher Mystery-Boxen und Mini-Spiele um Glücksspiel, drohen den Streamern rechtliche Konsequenzen. Das Veranstalten von Glücksspielen "anderer Art" ist zunächst erlaubnispflichtig, vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 GlüStV, § 33d Abs. 1 S.1 Gewerbeordnung (GewO). Veranstaltet man ohne diese Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel, macht man sich gem. § 284 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar.
Problematisch ist auch, dass die Streamer ihre Kunden über die wesentlichen Inhalte der Boxen sowie die genauen Gewinnmöglichkeiten nur selten informieren. Streamer könnten daher auch mit Regressansprüchen ihrer Kunden konfrontiert werden. §5a Abs. 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) normiert:
Unlauter handelt auch, wer einen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer irreführt, indem er ihm eine wesentliche Information vorenthält,
1. die der Verbraucher oder der sonstige Marktteilnehmer nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und
2. deren Vorenthalten dazu geeignet ist, den Verbraucher oder den sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte."
Zum Merkmal der "Verhaltensbeeinflussung" hat der Europäische Gerichtshof bereits ausgeführt, dass eine Geschäftspraxis nicht schon deshalb unlauter ist, weil sie das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich beeinflusst; vielmehr muss zusätzlich geprüft werden, ob die fragliche Geschäftspraxis den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht (EuGH, Urt. v. 09.11.2010, Az. C-540/08).
Vergleicht man die von den Streamern veranstalteten "Glücksspiele" z.B. mit den Produkten der staatlichen Lotterien, so fehlt es diesen häufig an einer professionellen Aufmachung, die beruflichen Standards entspricht. Die bloße Anpreisung der enthaltenen höherwertigen Karten genügt den Anforderungen des § 5a Abs. 1 UWG nicht. Der Teilnehmer des Gewinnspiels muss nämlich in jedem Fall auch darüber informiert werden, wie hoch seine individuelle Chance auf einen der "Hauptgewinne" ist und in welchem Umfang er mit einem Verlust beim Ziehen einer "Niete", also minderwertigeren Karten, rechnen muss. Diese "schlechteren" Inhalte der Boxen finden in den Livestreams häufig keine Erwähnung, schon gar nicht geben die Streamer den Zuschauern preis, wie viele Nieten enthalten sind.
Dürfen Live Openings für die Streamer überhaupt so große Gewinne abwerfen?
Unlauter ist darüber hinaus auch der Fall, bei dem der Wert des gesamten Kontingents der Boxen den Spieleinsatz der Teilnehmer erheblich unterschreitet und Spielteilnehmer darüber nicht informiert werden. Denn dadurch würden die Streamer auf Kosten der Spielgemeinschaft durch den Spieleinsatz selbst einen Gewinn abschöpfen können. Die wertvollen Karten in den Boxen dienten dann nur als Lockmittel für die Teilnahme am Spiel, bei dem jedoch insgesamt kein faires Verhältnis mehr zum Spieleinsatz bestünde. Das Betreiben von legalen, öffentlichen Glücksspielen, welche einen Gewinn für den Betreiber abwerfen, ist auch weiterhin lediglich mit staatlicher Konzession möglich.
Rechtsfolge für die getäuschten bzw. fehlinformierten Kunden wäre ein Anspruch auf Schadensersatz gem. § 9 Abs. 2 S. 1 UWG oder eine etwaige Anfechtung der Verträge wegen Täuschung nach § 123 Abs.1 BGB.
Einer der größten Streamer und Wiederverkäufer von Sammelkarten sieht sich derweil mit Betrugsvorwürfen konfrontiert. Ihm wird vorgeworfen, die offiziellen Produkte der Hersteller mit einer Feinwaage vor dem Weiterverkauf an seine Kunden abgewogen zu haben. Insbesondere die wertvollen Autogrammkarten von Sportlern wiegen in der Regel mehr als die einfachen Sammelbilder. Der Streamer soll also Booster-Pakete, in denen eine an ihrem Gewicht erkennbare wertvollere Kate stecken könnte, vor Verkauf an die Zuschauer aussortiert haben.
Aktueller Prozess vor dem Landgericht Frankfurt
Juristisch eskaliert ist das Geschäft mit Mystery-Boxen bzw. Mini-Spielen bereits im Fall zweier Streamer, der nun vor dem Landgericht Frankfurt am Main verhandelt wird. Beide Männer sind in der Sammlerszene wohlbekannt. Der eine wirft dem anderen nun vor, seine Mini-Spiele mit unlauteren Mitteln manipuliert zu haben. Dieser habe die Reihenfolge der Auslosung so manipuliert, dass sich die Hauptgewinne vor allem am Ende der Ziehung befunden hätten. Dadurch würden die Zuschauer beeinflusst, das Spiel bis zum Ende zu sehen und weiterhin Lose zu kaufen. Der Veranstalter würde damit auch seine eigenen Verluste minimieren, da die Zuschauer das Interesse am Spiel verlören, wenn die Hauptgewinne bereits zu Beginn der Ziehung zufällig gezogen würden.
Der beschuldigte Streamer erwirkte daraufhin eine einstweilige Verfügung, gegen welche der Widerspruch gem. §§ 936, 924 Zivilprozessordnung (ZPO) erhoben wurde. Das Gericht entscheidet nun über den Fall auf Grund einer mündlichen Verhandlung durch Urteil, § 925 Abs. 1 ZPO. Einer der ehemaligen Mitarbeiter des beschuldigten Streamers hat die Betrugsmasche in seinen eigenen Streams bereits gestanden.
Ob sich das Landgericht Frankfurt am Main zum Thema Glücksspiel in Sammelkarten-Streams äußern wird, bleibt abzuwarten. Für die Sammlerszene und die Streamer-Community könnte es eine richtungsweisende Entscheidung werden.
Der Autor Andreas Höpner ist Diplom-Jurist und derzeit Rechtsreferendar im Bezirk des Oberlandesgerichts Dresden.
Sammelkarten-Hype auf Twitch & Co.: . In: Legal Tribune Online, 27.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52794 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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