Prozessbeginn gegen "Gruppe Prinz Reuß": Grö­ß­en­wahn und Ziel­fern­rohr

von Dr. Markus Sehl

21.05.2024

Sternbilder, der Tod der Queen, die Erstürmung des Bundestags. Für eine schwer bewaffnete Reichsbürger-Gruppe scheint alles mit allem zu tun zu haben. Wie gefährlich wurde das? Darum geht es in einem beispiellosen Terrorprozess.

Jeder Strafprozess beginnt so richtig mit der Verlesung der Anklageschrift, für die Staatsanwaltschaft eine Routineaufgabe. Selten aber dürfte das "Verlesen" so anspruchsvoll gewesen sein wie am Dienstag vor dem 8. Senat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Knapp zweieinhalb Stunden brauchte der Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Tobias Engelstätter, für die mehr als 60 Seiten der Anklage. Az. 8 St 2/23. "Vielen Dank, eine außerordentliche Leistung, alles an einem Stück verlesen" kommentierte der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk, als der Staatsanwalt am Nachmittag fertig war.  

Geduldig hatte Engelstetter vorgetragen, manchmal fiel seine Stimme dabei regelrecht in den Singsang einer Märchenerzählung. Vielleicht war das Zufall. Was der bis auf den letzten Platz gefüllte Zuschauerraum zu hören bekam, klang mindestens ungeheuerlich.

Gruppe soll gewaltsamen Umsturz geplant haben

Die Bundesanwaltschaft wirft einer etwa 25-köpfigen Gruppe vor, einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant und vorbereitet zu haben. Ziel sei es gewesen, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen – inklusive bereits verteilter Ministerposten etwa für "Inneres" und "Justiz". Der Gruppe sei bewusst gewesen, dass die geplante Machtübernahme mit der Tötung von Menschen verbunden gewesen wäre. Zur Vorbereitung hätten Mitglieder sogenannte Feindeslisten angelegt, darauf die Namen von Bundespolitikern wie Annalena Baerbock, Saskia Esken oder Friedrich Merz, sowie Landräten und Bürgermeistern, Journalisten und Talk-Show-Moderatoren.

Die Mitglieder hätte eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verbunden. Sie seien einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen, u.a. aus der sog. Reichsbürger- und Selbstverwalterszene sowie der QAnon-Ideologie gefolgt. Dabei seien sie fest davon überzeugt gewesen, dass Deutschland von Angehörigen eines sog. "Deep State" regiert werde.

Eine sog. "Allianz", ein – tatsächlich nichtexistierender – technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten habe die Befreiung versprochen. Assoziiert wurde diese Allianz mit den USA unter Trump und Russland. Die Gruppe wollte laut Bundesanwaltschaft losschlagen, unter anderem mit der gewaltsamen Erstürmung des Bundestags. Sie wartete allerdings dafür noch auf ein Zeichen der "Allianz". Das sah man in der deutschen Gruppe gekommen, als im September 2022 die britische Königin Elisabeth II starb. Für das Schicksal der Gruppe hieß das aber nichts Gutes, aus ihrer Sicht. Denn im Dezember nahmen Polizisten bei einer bundesweiten Großrazzia 25 Personen der Gruppe fest, sie stellten zahlreiche Waffen sicher.

Ex-Richterin mit Nachtsichtgeräten und Revolver

Ein erster Prozess zu dem Komplex startete in Stuttgart, ein weiterer wird in einigen Wochen in München beginnen. Ein beispielloser Vorgang in der deutschen Justizgeschichte. Am OLG Frankfurt am Main stand nun zum ersten Mal die mutmaßliche Führungsriege vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft wirft den neun Angeklagten vor, Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein beziehungsweise diese unterstützt zu haben. Der Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß habe dabei als ein Rädelsführer agiert, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft. Sein Anwalt Roman von Alvensleben wies die Vorwürfe in einer Verhandlungspause umringt von Medienvertretern zurück: "Er ist kein Anführer, kein Rädelsführer, und er ist auch nicht Mitglied einer terroristischen Vereinigung", so der Anwalt.

Mit dabei in der Frankfurter Gruppe der Angeklagten: Birgit Malsack-Winkemann, promovierte Juristin und ehemalige Richterin am Landgericht Berlin und bis 2021 Abgeordnete der AfD im Deutschen Bundestag. Bei ihr fanden die Ermittler drei Nachtsichtgeräte, einen Revolver, eine halbautomatische Selbstladebüchse mit Zielfernrohr sowie Munition. Außerdem ein Satelliten-Telefon, die unter den mutmaßlichen Führungsmitgliedern verteilt wurden, um an und nach einem Tag X miteinander kommunizieren zu können. Malsack-Winkemann soll für das Justiz-Ressort einer neuen Staatsordnung vorgesehen gewesen sein. Bereits im Vorfeld des Prozesses hat sie das objektive Geschehen eingeräumt, bestreitet aber, von der terroristischen Zielsetzung der Gruppe gewusst zu haben. Auch von dem geplanten Überfall auf den Bundestag will sie nichts gewusst haben. Das ergibt sich aus Dokumenten des Bundesgerichtshofs.

Neben ihr sitzen am Dienstag auf der Anklagebank: Zwei Ex-Bundeswehrsoldaten, ein Ex-Polizist und eine Esoterikerin.

Wie gefährlich wurde dieser Größenwahn?

Das Ganze klingt in seinen zum Teil aberwitzigen Details nach Größenwahn, Prahlerei, Wichtigtuerei, dem Drang nach Bedeutung in einer verrückten Welt. Es verschmelzen Verschwörungstheorien, Militärfaszination und Esoterik – bis wirklich alles mit allem zusammenzuhängen scheint. Einmal scheitert der geplante Putsch vielleicht daran, dass die Sterne nicht richtig stehen, ein anderes Mal ist für eine wichtige Waffengeld-Überweisung die IBAN falsch ausgefüllt.

Die Gruppe versuchte Kontakt aufzunehmen zu hochrangigen Bundeswehrgenerälen und blitzte ab. Stattdessen schalteten die Kontaktierten den Militärischen Abschirmdienst ein, den Nachrichtendienst der Bundeswehr. Die Gruppe wollte auch Kontakt zu russischen Botschafts- und Konsulatsmitgliedern aufnehmen, was daraus folgte blieb unklar. Am Ende vertraute sie offenbar auf zwei Betrüger aus der Schweiz, denen sie viel Geld überwies. Und zwar für Waffen und Informationen über die Eingänge zu dem vermuteten unterirdischen Tunnelsystem. Beides bekamen sie nicht geliefert. Das alles klingt manchmal auch komisch, hilflos und dilettantisch.

Auf der anderen Seite trägt die Bundesanwaltschaft zusammen, was aus ihrer Sicht für eine ganz konkrete Gefährlichkeit spricht. Da sind die über 300 Waffen, unzählige Stück Munition, Ausrüstung, Feindeslisten, die militärische Erfahrung von Bundeswehrsoldaten, darunter sogar der Eliteeinheit KSK, hochrangige Offiziere, der Plan und Versuche, bundesweit sog. "Heimatschutzkompanien" zu gründen.

Strafrechtlich wird diese Gefährlichkeitseinschätzung beim Vorwurf der terroristischen Vereinigung relevant. Denn für eine Strafbarkeit nach § 129a StGB braucht es "nur" Pläne und Vorbereitungen, aber keine konkret begangenen Angriffe. Wie ernsthaft und gefährlich die bereits vorbereitet waren, darum wird es strafrechtlich gehen. Auch zeichnete sich schon ab, dass einzelne Gruppenmitglieder argumentieren wollen, sie hätten von den terroristischen Plänen nichts gewusst. Auch darauf wird es entscheidend ankommen.

Prozess begann mit einer Stunde Verspätung

Der Prozesstag war schwerfällig gestartet. Der Einlass und die Organisation in der extra für den Prozess am Stadtrand von Frankfurt aufgebauten Gerichtshalle liefen vor Prozessbeginn am Morgen noch gut. Allerdings verzögerten Abstimmungen zwischen Gericht und Verteidigern den Beginn um rund eine Stunde.

Der Prozess findet in einer Leichtbauhalle aus Metall statt, die an eine Messerveranstaltungshalle erinnert. Grauer Teppichboden, graue stoffbespannte Wände, keine Fenster. Licht kommt nur durch zwei Lichtbänder. Die Zuschauer sitzen hinter einer Glasscheibe. Rund 50 Journalisten, insgesamt gibt es gut 200 Plätze. Auf der anderen Seite der Scheibe werden die neun Angeklagten von 25 Anwälten verteidigt. Neben den fünf Richtern sind zwei Ergänzungsrichter dabei, die im Falle eines längerfristigen Ausfalls einspringen. Dazu kommen noch 260 Zeugen und 40 bis 45 Wachtmeister, die an jedem Prozesstag für die Sicherheit sorgen werden.

Vorsitzender Richter: "Ein Löffel für den Joghurt? Klar."

Der Prozesstag begann mit Anträgen, Anträgen, Anträgen. Ablehnung des Vorsitzenden, gegen die Verlesung der Anklage, und – interessant – auf die Aufzeichnung der Verhandlung in Bild und Ton, wegen herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung. Alle diese Anträge lehnte der Senat des Vorsitzenden Richter Bonk ab, der zu keiner Zeit an diesem ersten langen Tag den Eindruck erweckte, sich das Geschehen aus der Hand nehmen zu lassen. Mit freundlicher Aufmerksamkeit hörte er sich alles an, von strafprozessrechtlichen Feinheiten bis hin zu einer Wortmeldung kurz vor der Mittagspause: Der Verteidiger der Angeklagten Malsack-Winkemann, der Kölner Anwalt Jochen Lober rügte, dass seiner Mandantin zwar ein Joghurt zur Verfügung gestellt wurde, aber kein Löffel. Bonk: "Ein Löffel? Klar." Das werde man lösen können.

Am Ende konnten die zahlreichen Anträge nicht verhindern, dass die Anklage verlesen wurde. Für die Aufzeichnung in Bild und Ton hatte sich der Zivilrechtsprofessor von der Bielefelder Uni, Martin Schwab, eingesetzt, der eine der Angeklagten vertritt. Er raunte: "Die Verhandlung wird ergeben, das ist der größte Rechtsmissbrauch in der Geschichte."

Außerdem forderte er, dass allen Angeklagten eigentlich vor einem einzigen Gericht der Prozess gemacht werden müsste. Den Angeklagten würde anderenfalls durch die Aufteilung an drei Standorte ein "informatorischer" Nachteil entstehen.

Zum Ende des ersten Prozesstages kündigte er, wie auch die Verteidiger von Prinz Reuß und einiger weiterer Angeklagten, an, dass ihre Mandanten im weiteren Prozessverlauf Aussagen machen könnten. Der Senat von Richter Bonk hat noch einige Arbeit vor sich. Termine sind bereits bis Anfang 2025 eingeplant. Weiter geht es erst einmal am Donnerstag.

 

Anm. d. Red. 21.5.2024, 19:25h, korrigiert haben wir, dass Martin Schwab nicht Straf- sondern Zivilrechtler ist.

Zitiervorschlag

Prozessbeginn gegen "Gruppe Prinz Reuß": Größenwahn und Zielfernrohr . In: Legal Tribune Online, 21.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54584/ (abgerufen am: 01.07.2024 )

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