Sollte eine staatskritische Rechtsanwältin mundtot gemacht werden? Viele Corona-Skeptiker glauben das. Doch es handelt sich im Fall der Heidelberger Juristin wohl eher um einen tragischen Absturz, meint Christian Rath.
Die Heidelberger Rechtsanwältin Beate Bahner kritisierte die staatliche Corona-Politik und landete Sonntagabend plötzlich in der Psychiatrie. Da wurden auch Menschen hellhörig, die Bahners Position nicht teilen. Doch wie es bisher aussieht, ging es hier nicht um die Delegitimierung und Ausschaltung einer politischen Gegnerin. Doch eins nach dem anderen.
Für die Corona-Skeptiker war sie eine neue Heldin. Neben dem Lungenarzt Wolfgang Wodarg war in den vergangenen Wochen die Heidelberger Rechtsanwältin Beate Bahner in den Vordergrund gerückt. Am 7. April veröffentlichte sie eine Analyse, die seither in den sozialen Netzwerken zigtausendfach geteilt wurde: "Beate Bahner erklärt, warum der Shutdown verfassungswidrig ist und warum dies der größte Rechtsskandal ist, den die Bundesrepublik Deutschland je erlebt hat", so der etwas sperrige und unbescheidene Titel.
Bahners Grundbotschaft lautet: "Bei Epidemien werden die Kranken isoliert, nicht die Gesunden". Dagegen beträfen die Corona-Ausgangsbeschränkungen und die Schließung vieler Geschäfte und Einrichtungen "83 Millionen gesunde Menschen". Bahner wertet die Corona-Verordnungen aller Bundesländer als "schreiendes Unrecht", als "Tyrannei" und "eklatant verfassungswidrig".
In Ihrer 19-seitigen Streitschrift kündigte Bahner an, die Corona-Verordnungen rechtlich prüfen zu lassen. Sie habe "das große Vertrauen, dass spätestens die Gerichte diesen fundamentalen Angriff auf die Grundrechte" abwehren.
Maßnahmen nur gegen Kranke?
Bahners Vorstoß kam wie aus dem Nichts. Sie hatte 25 Jahre als Rechtsanwältin gearbeitet, war aber immer Spezialistin. Sie darf sich "Fachanwältin für Medizinrecht" nennen, ihre Spezialgebiete sind das "Werberecht für Ärzte", "Korruption im Gesundheitswesen" und "Recht im Bereitschaftsdienst". Expertin für Infektionsschutzrecht ist sie nicht. Nach eigener Angabe musste sie ihr Manifest ohne Fachliteratur verfassen, weil die Bibliotheken geschlossen gewesen seien.
Ihr medizinischer Ausgangspunkt ist einfach: Das Coronavirus habe nur "grippeähnliche Auswirkungen", es sei nur "angeblich" ein Killer-Virus. Deshalb seien die massiven Freiheitsbeschränkungen epidemiologisch "nicht notwendig".
Juristisch wirft Bahner den Landesregierungen vor, ihre Corona-Verordnungen seien nicht vom Infektionsschutzgesetz (IfSG) gedeckt. Maßnahmen der Gesundheitsbehörden wie Quarantäne-Anordnungen und Tätigkeitsverbote dürften sich nur gegen Kranke und Krankheitsverdächtige richten, nicht gegen Gesunde.
Am Mittwoch voriger Woche (8. April) erhob die Anwältin einen Normenkontrollantrag gegen die baden-württembergische Corona-Verordnung beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim. Am gleichen Tag beantragte Bahner beim Bundesverfassungsgericht einstweilige Anordnungen gegen die Corona-Verordnungen "aller 16 Bundesländer".
In diesen Schriftsätzen wird die Anwältin immer wieder polemisch und spricht etwa vom "Angriffskrieg auf unsere Grundrechte". Die angebliche "Panikmache" von Regierungen und Medien bezeichnet Bahner als "Propaganda, wie Deutschland sie zuletzt im dritten Reich erlebt hat." Besuchsverbote für Heimbewohner vergleicht sie mit der "Verfolgung und Ermordung der Juden".
Karlsruhe lehnt Eilantrag ab
Nur zwei Tage später wies das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Eilantrag Bahners ab (Beschl. v. 10.04.2020, Az. 1 BvQ 26/20). Sie habe nicht dargelegt, wie sie von den Verordnungen in allen 16 Bundesländern betroffen sein könne. Außerdem habe sie in Baden-Württemberg nicht den Ausgang des Verfahrens am VGH Mannheim abgewartet.
Der VGH wird wohl erst Ende April entscheiden. Große Hoffnungen braucht Bahner sich dort aber nicht zu machen. In einem anderen Eilfall (Beschl. v. 9.04.2020, Az. 1 S 925/20) hat der VGH nämlich entschieden, dass Einrichtungen auch präventiv geschlossen werden können, wenn dort noch niemand erkrankt ist. Das ergebe sich schon aus Sinn und Zweck des Infektionsschutzgesetzes, das auch Maßnahmen gegen Nicht-Störer erlaubt, um die Ausbreitung einer Epidemie zu verhindern. Ausdrücklich genannt werden in § 28 IfSG das Verbot von Veranstaltungen und Ansammlungen, ebenso die Schließung von Schwimmbädern und Schulen.
Parallel dazu bekam Bahner allerdings ganz anderen Ärger. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg und die dortige Kriminalpolizei ermitteln gegen sie wegen "öffentlicher Aufforderung zu rechtswidrigen Taten" gem. § 111 StGB. In ihrer Streitschrift vom 7. April hatte sie zu bundesweiten Demonstrationen am 11. April aufgerufen. Motto der Kundgebungen: "Coronoia 2020 - Nie wieder mit uns. Wir stehen heute auf!". Die Ermittler halten den Aufruf für strafbar, weil die Corona-Verordnungen auch politische Kundgebungen fast überall verbieten.
Zudem ersuchte die Heidelberger Polizei am vorigen Donnerstag (9. April) den Internet-Provider 1&1, die Webseite von Bahner vorübergehend vom Netz zu nehmen. So sollte die "fortgesetzte Begehung von Straftaten" verhindert werden. Auch hier ging es um den Demo-Aufruf. Die Maßnahme wurde auf die Generalklausel des baden-württembergischen Polizeigesetzes gestützt. 1&1 kam zunächst der Bitte nach, doch schon am Freitag war Bahners Webseite wieder online. Die Polizei konnte nicht sagen, warum. 1&1 erklärte auf Nachfrage, Bahner habe zwischenzeitlich den strafbaren Inhalt von ihrer Webseite entfernt. Was immer Bahner entfernt hat: die Streitschrift vom 7. April war mitsamt Demonstrations-Aufruf immer noch vorhanden.
Immer merkwürdigere Postings
Unterdesen wurden die Posts auf Bahners Webseite immer eigentümlicher. Am vergangenen Freitag (10. April) schrieb die Anwältin einen offenen Brief an die Schriftstellerin Juli Zeh: "Bitte unterstützen Sie mich dringend und übernehmen Sie." Sie könne nicht allein die Welt retten und müsse sich jetzt endlich wieder um ihren kleinen Hund kümmern.
Noch am selben Tag, nach der Ablehnung ihres Eilantrags beim Bundesverfassungsgericht, erklärte Bahner spontan, sie gebe jetzt ihre Anwaltszulassung zurück. "In dieser Diktatur kann auch ich leider nichts mehr für Sie tun", schrieb sie ihren Unterstützern.
Am Samstag (11. April) veröffentlichte Bahner dann - passend zu Ostern - eine "Corona-Auferstehungs-Verordnung", nach der alle geschlossenen Einrichtungen wieder geöffnet würden. Am Ende des Paragrafenwerks heißt es: "Beschlossen und verkündet durch Beate Bahner". Zudem kündigte sie an, dass sie ihre Anwaltszulassung doch behalten will.
Am Sonntag (12. April) kündigte Bahner ihren eigenen "Shutdown" an. Sie müsse sich "ein paar Wochen erholen" und ihr "Leben neu sortieren". Frühestens im Mai sei sie wieder ansprechbar. Auf Twitter wurde bereits spekuliert, ob Beate Bahner ein Kunstprojekt sei oder ob sie psychische Probleme habe. Auf Anfragen reagierte die Anwältin nicht.
Bahner muss in die Psychiatrie
Am Abend des Ostersonntags (12. April) eskalierte die Situation endgültig. Bahner lief nach eigener Darstellung in Panik auf die Straße, weil sie sich durch zwei Männer in einem Auto in ihrer Tiefgarage bedroht fühlte. Sie sprach Passanten an, damit diese die Polizei rufen, denn sie werde verfolgt. Die hinzukommenden Polizisten trafen auf eine Frau, die einen "sehr verwirrten" Eindruck machte und ärztliche Hilfe ablehnte. Nach Darstellung der Polizei trat Bahner nach einem Beamten.
Die Polizisten legten Bahner daraufhin Handschellen auf dem Rücken an und brachten sie zu Boden. Insofern stimmen die Schilderungen von Bahner und Polizei weitgehend überein. Die Polizisten sahen eine Eigengefährdung von Bahner und nahmen sie deshalb auf Grundlage von § 28 des baden-württembergischen Polizeigesetzes in Gewahrsam. Die Polizisten brachten sie aber nicht auf die Wache, sondern direkt in die Heidelberger Psychiatrie. Dort entschied dann ein Arzt, dass sie bleiben muss. Rechtsgrundlage war ab nun das baden-württembergische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG).
Ab Montagabend (13. April) kursierte ein verstörender Audio-Mitschnitt, eine Telegram-Sprachnachricht Bahners an ihre Schwester. Dabei sprach sie 12 Minuten lang über die Festnahme und die Behandlung in der Psychiatrie und die "bösen, bösen Mächte, die uns hier tyrannisieren, terrorisieren". Am drastischsten ist die Passage über den angeblichen Angriff eines Polizisten auf Bahner nach Eintreffen in der Psychiatrie: "Dann hat er mich wieder auf den Boden gedrückt und hat meinen Kopf in ein Meter Höhe auf den Steinboden geknallt, keiner hat was gesagt, niemand hat reagiert, ich hab' es bis heute noch nicht verbunden gekriegt."
Die Audio-Datei löste in Kreisen der Corona-Skeptiker große Empörung aus. "Ab jetzt kann jeder Bundesbürger, der sich irgendwie kritisch zu den Lockdown-Maßnahmen äußert, damit rechnen, jederzeit willkürlich verhaftet und in die Psychiatrie weggesperrt zu werden", schrieb etwa der Impfkritiker Hans U.P. Tolzin. Die Psychiatrie-Einweisung Bahners war nun zum Politikum geworden.
Am Dienstagnachmittag (14. April) wurde Bahner wieder aus der Psychiatrie entlassen. Nach ihrer Darstellung hatte die Klinik zwar eine längere Unterbringung beantragt, doch eine Heidelberger Amtsrichterin lehnte den Antrag ab. Die Entlassung folgte dann aus § 28 PsychKHG.
Anzeichen für ein Komplott der Staatsmacht gibt es nicht. Bahner hat den Polizeieinsatz am Ostersonntag selbst veranlasst. Die beiden Polizisten wussten zunächst auch gar nicht, mit wem sie es zu tun hatten.
Happening vor der Heidelberger Kripo
Bahner zog sich nun aber nicht, wie angekündigt, zurück, sondern nutzte eine Vernehmung bei der Kripo Heidelberg zu einem eigenwilligen Happening. Am Mittwoch (15. April) um 13 Uhr musste Bahner zum Vorwurf eines strafbaren Aufrufs gem. § 111 StGB Stellung nehmen. Den Termin hatte sie über ihre Webseite öffentlich gemacht.
Vor dem Kripogebäude wurde Bahner von rund 200 Unterstützern empfangen. Mit dabei war auch der AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple. Es gab "Wir sind das Volk"-Sprechchöre. Bahner machte auf Videos der Kundgebung einen selbstbewussten Eindruck, zeigte Victory-Zeichen und warf Kusshände. Kopfverletzungen waren nicht zu sehen. Die Polizei ließ die unangemeldete Kundgebung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gewähren, obwohl der Abstand von 1,5 Metern bald nicht mehr eingehalten wurde.
Nach der rund halbstündigen Vernehmung hielt Bahner eine Ansprache. Man solle nicht glauben, was in der "rechten Lügenpresse" über angebliche Misshandlungen durch die Polizei gestanden habe. Sie wolle das nun klarstellen. In Wirklichkeit sei sie betrunken vom Fahrrad gefallen, sagte sie in sarkastischem Ton - so als lebe sie in einer Diktatur, in der man nicht mehr die Wahrheit sagen könne.
Mit Blick auf den eigentlichen Tatvorwurf habe sie die Polizei um die Annahme "mildernder Umstände" gebeten, erzählte sie weiter. Sie sei nämlich auf einer Städtereise im Ausland gewesen und habe nicht mitbekommen, wie sich die Rechtslage in Deutschland veränderte, dass Kundgebungen jetzt verboten seien. Das Infektionsschutzgesetz kenne sie "bedauerlicherweise noch nicht". Eine Zusammenfassung dieser irritierenden Äußerungen hat Bahner inzwischen auf ihrer Homepage veröffentlicht.
Anschließend las Bahner vor dem Kripo-Gebäude mit theatralischem Ton zuerst ihre Erklärung zum persönlichen Shutdown vor und saß dann noch längere Zeit mit Anhängern zusammen. Dabei erzählte sie, weiterhin mit ironischem Unterton, von den tollen neuen Methoden in der Heidelberger Psychiatrie und dem von ihr so geschätzten "Minimalismus" einer Isolationszelle. Bei alledem ließ sie sich filmen, entsprechende Smartphone-Videos kursieren.
Bahners Anhänger im Netz zeigten sich nach dem Auftritt gespalten. Manche lobten die pfiffige "Eulenspiegelei", andere fühlten sich durch die "Inszenierung" veräppelt. Impfkritiker Tolzin, der sich Klarheit erhofft hatte, will Bahner künftig nicht mehr unterstützen. Michael van Laack spekuliert auf dem Blog "philosophia perennis", ob Beate Bahner nicht sogar ein U-Boot des linken Künstlerkollektivs "Zentrum für politische Schönheit" sein könnte.
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte?
Bisher gibt es keine Ermittlungen gegen die Polizei wegen Bahners Misshandlungsvorwürfen aus dem Audio-Mitschnitt. "Es liegt keine Strafanzeige von Frau Bahner vor", sagte Polizeisprecher Norbert Schätzle auf Nachfrage.
Dagegen ermittelt die Polizei gegen Bahner nun auch wegen "Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte". Anlass ist das angeblich rabiate Verhalten Bahners am Sonntagabend. Hier könnte der Anwältin allerdings die nachfolgende Psychiatrie-Einweisung nützen. Wer gemäß § 20 Strafgesetzbuch in schuldunfähigem Zustand einen Polizisten tritt, bleibt straflos.
Endete der Kampf für Grundrechte in der Psychiatrie?: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41331 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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