Nach BGH-Urteil muss Post rechtsextreme Wurfsendung austragen: NPD kämpft mit den Mitteln des Systems

von Prof. Dr. Roland Schimmel

20.09.2012

Es ist ein juristischer Sieg, den die NPD am Donnerstag vor dem BGH gegen die Deutsche Post errang. Letztere ist nun verpflichtet, Parteiwerbung der Rechtsextremen regional flächendeckend als unadressierte Postwurfsendung zu verteilen. Warum sich auch Flughafenbetreiber und Energieversorger über das Urteil freuen werden, erläutert Roland Schimmel.

Die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag betreibt einen Teil ihrer politischen Kommunikation über eine vierteljährliche Publikation namens "Klartext", die sie als Postwurfsendung unadressiert allen Haushalten in Leipzig zugestellt sehen will. Die Deutsche Post weigert sich jedoch, mit der Fraktion einen Rahmenvertrag über diese Dienstleistung abzuschließen.

Werbung unadressiert an alle Haushalte einer Gemeinde zu versenden, ist ein attraktives Modell, da es für die Partei kaum Aufwand bedeutet. Anschriften müssten weder beschafft, noch verwaltet und aktualisiert werden. Billiger und ressourcenschonender geht es kaum. Aber die Deutsche Post berief sich auf die Vertragsfreiheit. Bis zur Berufungsinstanz hatte diese Argumentation auch noch Erfolg.

Der rechtliche Anknüpfungspunkt für den Konflikt ist ein wenig exotisch. Das Postgesetz kennen Juristen vielleicht noch dem Namen nach; die streitentscheidenden Normen finden sich allerdings an noch abgelegenerer Stelle. Wer kennt schon die Postdienstleistungsverordnung (PDLV) und weiter die Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV)? Auf den ersten Blick geht es also um einen ziemlich speziellen transportrechtlichen Konflikt, der im Wesentlichen juristisch-technischer Art ist und in der Regel kaum Aufmerksamkeit bekäme. Auf den zweiten Blick hat die Angelegenheit aber eine politische Komponente: Ist das Blatt "Klartext" eine Zeitung oder eine Zeitschrift, unterliegt die Deutsche Post nämlich einem Abschlusszwang (§ 3 PDLV, § 1 Abs. 1 Nr. 3 PUDLV).

Pressefreiheit schützt auch den "Klartext"

Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hatte die Frage differenziert beantwortet. Der "Klartext" sei zwar wie eine Zeitung aufgemacht, weil er Berichte und Kommentare zu aktuellen politischen Themen enthält. Gleichwohl liege darin keine Information der Öffentlichkeit "in presseüblicher Weise". Die Themen würden ganz überwiegend aus der Sicht der NPD-Landtagsfraktion dargestellt und seien regelmäßig mit deren politischen Forderungen verbunden.

Diesem Standpunkt hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun eine Absage erteilt. Für die Einordnung als Zeitschrift komme es wegen der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Pressefreiheit nicht darauf an, ob mit der Publikation für die Partei und deren Ansichten geworben werden soll. Maßgeblich sei, dass die Öffentlichkeit über Tagesereignisse und Fragen der Zeit informiert werden solle (Urt. v. 20.09.2012, Az. I ZR 116/11 – Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht).

Mit guten Gründen kann man darüber nachdenken, die Kommunikation politischer Parteien zu privilegieren und ihnen einen Anspruch auf billige und flächendeckende Verteilung ihrer Werbung einzuräumen. Der Gesetzgeber hat davon aber ausdrücklich abgesehen, indem er die frühere Regelung in § 5 Abs. 3 der Postzeitungsordnung "Druckschriften, die der Förderung von ideellen Zwecken von Vereinen, Verbänden oder sonstigen Körperschaften dienen" nicht in die PUDLV übernahm.

Gegen NPD-Post hilft nur noch ein Anti-Nazi-Aufkleber

Gegenüber dieser einfachgesetzlichen Wertung haben die Karlsruher Richter jetzt die verfassungsrechtliche Privilegierung der Presse ins Spiel gebracht. Verallgemeinert man diesen Begründungsansatz, wird man sagen können: Die Form macht die Zeitung, nicht der Inhalt.

Das ist eine erfreuliche Nachricht nicht nur für die politischen Parteien, sondern auch für Flughafenbetreiber und Energieversorger. Deren redaktionell kaum verhüllte Werbebotschaften dürften nach dem Ansatz des höchsten Instanzgerichts ebenfalls unter den Begriff der Zeitschrift fallen. Allerdings steht anders als bei der NPD kaum zu befürchten, dass die Deutsche Post oder einer ihrer Mitbewerber wegen Schmuddeligkeitsbedenken vom Vertragsschluss Abstand nehmen wird.

Mit dem Urteil wird Deutschland leben können. Die NPD-Landtagsfraktion wird die Inhalte, die sie auch anderweit verbreitet, nun also auch kostengünstig per Post "an alle Haushalte" verschicken können. Die Deutsche Post hat immerhin tapfer versucht, sich dieser unangenehmen Pflicht zu entziehen. Die Adressaten werden mit dem Blatt tun, was anständige Menschen eben mit einem "Klartext" tun. Wer das Druckwerk noch nicht einmal mit spitzen Fingern aus dem Briefkasten fischen möchte, wird es wohl mit einem "Nazis, verpisst Euch!"-Aufkleber versuchen müssen.

NPD entdeckt Gleichbehandlungssatz für sich

Dass der BGH maßgeblich auf Art. 5 GG abgestellt hat, hat immerhin auch einen erfreulichen Aspekt: Der Versuch der NPD, sich auf den Gleichheitssatz zu berufen, scheint keine nennenswerte Rolle gespielt zu haben. Das Argument, die Deutsche Post verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, hat schon das OLG Dresden zurückgewiesen: Die privatisierte Post sei an das Gleichheitsrecht nicht gebunden, zumal der Bund nur noch zu einem Drittel an der Post beteiligt sei.

Im selben Atemzug hatte die Vorinstanz einen Anspruch auf Vertragsabschluß nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch verneint. Dieser setze voraus, dass es sich um ein Gut oder eine Dienstleistung des Grundbedarfs handele. Der Gesetzgeber habe aber eben durch die Aufzählung in der PUDLV gezeigt, welche Postdienste er zum Grundbedarf zähle. Mit diesem Ansatz musste sich Karlsruhe allerdings nicht mehr auseinandersetzen, da es den spezielleren Abschlusszwang für einschlägig hielt.

Zuletzt hatte sich der ehemalige Parteivorsitzende Udo Voigt gegen ein Hausverbot gewehrt, das ein Wellnesshotel ihm gegenüber ausgesprochen hatte und berief sich dabei nicht nur auf Art. 3 GG, sondern auch auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Der Erfolg vor dem BGH blieb ihm im Wesentlichen verwehrt. Dass die Rechtsextremen so eifrig prozessieren, ist bemerkenswert. Dass sie sich vorzugsweise auf Diskriminierungsverbote und den Gleichbehandlungsgrundsatz beruft – wenn auch nicht immer erfolgreich –, ist beinahe schon lustig: Regierte die NPD, sähe Art. 3 GG anders aus. Früher nannten wir solches Prozessieren: "Das System mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen."

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Bürgerliches Recht an der FH Frankfurt am Main.

Zitiervorschlag

Roland Schimmel, Nach BGH-Urteil muss Post rechtsextreme Wurfsendung austragen: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7127 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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