NRW plant Sperrklausel für Kommunalwahlen: Kräf­te­messen mit Karls­ruhe

von Robert Hotstegs, LL.M.

23.01.2016

2/2: Landtag will eine Verfassungsautonomie ausreizen, die er nicht hat

Der Gesetzgeber will daher die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte umgehen und die Klausel gezielt in der Landesverfassung verankern. Damit schwimmt er sich von jeglicher Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs in Münster frei. Denn dieser wird wohl kaum verfassungswidriges Verfassungsrecht anhand der Verfassung feststellen. Auch schreibt man den Richtern in Münster nicht die Rolle zu, die Landesverfassung am Grundgesetz scheitern zu lassen. Indem die Klausel also an höchster landesrechtlicher Stelle platziert ist, hofft man den Verfassungsgerichtshof quasi kalt gestellt zu haben.

Aber der Landtag sollte das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe nicht unterschätzen. Und genau dies tut er, die siebenstündige Anhörung der Experten am Donnerstag war ihm nicht Warnung genug. Nur wenige der Juristen wollten ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass die Sperrklausel in der Landesverfassung an Art. 28 GG gemessen und für verfassungsgemäß befunden werden könnte. Die allermeisten sprachen von "bleibenden Restzweifeln".

Dem Landtag muss das zumindest angesichts der Rechtsprechung des BVerfG zur Sperrklausel im Europawahlrecht zu denken geben. Nacheinander erklärte Karlsruhe eine 5-%-Klausel und danach eine 3-%-Klausel für verfassungswidrig. Auch das Bundestagswahlrecht wurde von Karlsruhe mehrfach in seine Schranken verwiesen.

Der Gesetzgeber müsste sich also für die geplante Verfassungsänderung um eine fundierte Tatsachengrundlage bemühen, etwa zur Bedeutung von direkt gewählten parteiungebundenen Einzelbewerbern. Oder auch zur Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidungsfähigkeit der Kommunalvertretungen durch kleine Parteien oder Gruppen beeinträchtigt wird. Bisher gelang das nicht. Auch Prof. Dr. Jörg Bogumil (Ruhr-Universität Bochum), der umfassende Auswertungen der Wahlstatistiken und Befragungen der Bürgermeister durchführte, blieb den Beweis einer echten Störung der Vertretung vor Ort schuldig. Allein bei der Feststellung, ohne Sperrklausel begünstige das Verhältniswahlrecht das Aufkommen der "Kleinen", kann der Landtag aber nicht stehen bleiben. Schwerfälligkeiten darf der Verfassungsgesetzgeber nicht mit Funktionsunfähigkeit gleichsetzen. Nur wenn der echte Beweis gelingt, dass die Störung eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, ist zu erwarten, dass das BVerfG eine Sperrklausel durchwinkt.

NRW ist nicht Berlin. Aber wie Schleswig-Holstein

Das gilt sowohl für eine Klausel auf einfachgesetzlicher Ebene als auch für eine in der Landesverfassung selbst. An diesem Gesamtergebnis, dass kommunale Politik oft anstrengend, Meinungsbildung zeitaufwändig und Kontrollrechte der Räte auch lästig für Bürgermeister sein können, ändert sich durch die Verlagerung der Sperrklausel in die Verfassung nichts. Auch hier muss eine größere Beeinträchtigung dargelegt werden, nicht bloß der Komfortverlust von politischen Verhältnissen mit drei Parteien.

Allein der Landtag in Nordrhein-Westfalen glaubt, Art. 28 GG binde ihn nicht im vollen Wortlaut. Dabei verfolgt die Vorschriftallein den Zweck, die Freiheit der Länder zu begrenzen. Deshalb "muss" die Ordnung den Grundsätzen des Rechtsstaats entsprechen und deshalb "muss" die Volksvertretung aus gleichen Wahlen hervorgehen.

Diese Erkenntnis beantwortet auch die Frage, warum die aktuelle Rechtsprechung zu erlaubten Sperrklauseln in Berlin und Hamburg auf Nordrhein-Westfalen nicht übertragbar ist. Dort waren die Sperrklauseln nicht am Grundgesetz gescheitert, nicht an der Gleichheit der Wahl. Denn beide Stadtstaaten haben Sperrklauseln nicht in den Gemeinden etabliert, sondern in den Bezirken. Diese genießen aber eben nicht die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG und auch nicht die Garantie der eigenen Vertretung aus Art. 28 Abs. 1 GG. Sie könnten sogar ohne Bezirksvertretung existieren, mithin also auch mit einer Sperrklausel. "NRW ist nicht Berlin", fasste bereits Dietlein bei LTO diesen Rechtsvergleich zusammen. NRW ist auch nicht Hamburg.

Das bevölkerungsreichste Bundesland ist eher mit den anderen Flächenländern zu vergleichen. Die Größe seiner Städte und Gemeinden bietet kein sachliches Unterscheidungskriterium. Daher ist NRW "wie Bayern". Es ist auch "wie Schleswig-Holstein", obwohl im Landtag am Donnerstag mit Unbehagen davon gesprochen wurde, dass man einen Stadtrat im Rheinland doch nicht ernsthaft mit einer Stadtvertretung auf Fehmarn vergleichen könne. Doch, man kann. Und es besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass das BVerfG dies täte, wenn es darüber zu entscheiden hätte.

Klageverfahren werden allseits erwartet

Es ist, obwohl ein Verfassungsrechtler dies am Donnerstag im Landtag anregte, nicht zu erwarten, dass tatsächlich die Landesregierung selbst das geplante Kommunalvertretungsstärkungsgesetz in Karlsruhe vorlegt, um Rechtssicherheit zu schaffen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). Eher ist damit zu rechnen, dass eine einzelne Partei oder mehrere Parteien den Organstreit suchen wie im Jahr 2008, als die ÖDP die damalige Sperrklausel in NRW kippte. Oder es kommt parallel zu Wahlanfechtungen direkt nach der nächsten Kommunalwahl 2020. Diese Verfahren müssten wohl durch den gesamten Instanzenzug getragen und schließlich mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden. Ein mühsamer Weg.

Sowohl Sowohl die kleinen Parteien, die so mühsam den Gesetzgeber prozessual wieder korrigieren (lassen) müssen, als auch die großen Parteien, die über die "Mühe" der Demokratie vor Ort klagen,  könnten sich ihrer Mühen entledigen. Prof. Dr. Janbernd Oebbecke machte dies am Donnerstag im Landtag deutlich: Die Dauer der Sperrklausel-Debatte hätte man weitaus sinnvoller nutzen können, um die Demokratie vor Ort zu verbessern.

Die Bürger von Nordrhein-Westfalen haben etwa 2008 den Wunsch nach dem sogenannten Kumulieren und Panaschieren in einer überwältigenden Volksinitiative geäußert. Die Unterschriftenlisten lagern noch im Keller des Landtags. Der Weg dorthin ist kürzer als der nach Karlsruhe und zurück.

Der Autor Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf. Der Autor Jan Stock ist Rechtsreferendar in der Anwaltsstation.

Zitiervorschlag

Robert Hotstegs, NRW plant Sperrklausel für Kommunalwahlen: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18245 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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