Ausschluss (bela-)russischer Athleten von Olympia 2024: Der faule Kom­pro­miss des IOC

von Till Moser

07.07.2023

Sollten russische und belarussische Athleten von internationalen Sportwettkämpfen ausgeschlossen werden? Oder zumindest unter neutraler Flagge teilnehmen dürfen, wie es das IOC will?  Till Moser mit einer rechtlichen Einordnung. 

Im Sommer 2024 finden in Paris die olympischen Spiele statt, Qualifikationswettbewerbe hierzu laufen bereits – ebenso wie seit Februar 2022 der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine.  

Nach Beginn des russischen Angriffs wurden (bela-)russische Athleten, auch auf eine Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hin, noch von internationalen Sportwettkämpfen ausgeschlossen. Ende März jedoch gab das IOC hinsichtlich des Umgangs eine anderslautende Empfehlung ab. Demnach sollen die Athleten unter neutraler Flagge teilnehmen dürfen, es sei denn, sie unterstützen den Krieg aktiv oder sind mit dem Militär oder den nationalen Sicherheitsbehörden verbunden.  

Während unter anderem das IOC (nunmehr) fordert, dass internationale Sportwettkämpfe frei von politischer Einflussnahme stattfinden müssen und Athleten nicht für die Rechtsbrüche ihrer Regierung bestrafen möchte, gibt es viele Stimmen, die einen Ausschluss (bela-)russischer Athleten befürworten. Dazu zählt unter anderem der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), dessen Haltung auf einem hierzu eigens in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Gutachten von Prof. Patricia Wiater von der Universität Erlangen-Nürnberg beruht.* In der Ukraine hatte das Sportministerium im März einheimische Sportler angewiesen, Wettkämpfe mit Russen und Belarussen zu boykottieren. Das IOC kritisierte diese Entscheidung. 

In diesem Spannungsfeld also müssen die Verbände bei der Frage des Umgangs mit russischen und belarussischen Athleten die richtige Entscheidung treffen. Hierbei haben sie auch menschenrechtliche Erwägungen anzustellen. Sportverbände sind anders als Staaten völkerrechtlichen Pflichten zwar nicht unmittelbar unterworfen, jedoch haben sich einige Verbände solchen Pflichten freiwillig unterworfen.  

Ein-Platz-Prinzip und staatsähnliche Macht von Sportverbänden  

Zudem nehmen Sportverbände im gesellschaftlichen Leben eine staatsähnliche Stellung ein. In der internationalen Verbandsstruktur gilt das sogenannte "Ein-Platz-Prinzip", wonach es nur einen Verband je Sportart und Region gibt. Ein internationaler Verband bildet dabei die Spitze der Verbandspyramide (z.B. die FIFA im Fußball). Aus dieser Monopolstellung und der hiermit verbundenen staatsähnlichen Macht folgt, dass sich die Verbände wie Staaten an Menschenrechten messen lassen müssen. 

 Unmittelbar betroffen von dem Ausschluss sind die Athleten selbst. Der diskutierte Ausschluss stellt einen besonders schwerwiegenden Eingriff in ihr Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben gem. Art. 15 Abs. 1a des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) und in das Recht auf Arbeit nach Art. 6 IpwskR dar. Die internationalen Wettbewerbe sind die großen Ziele der Athleten, denen sie in ihrem Leben alles unterordnen. Der Ausschluss erfolgt dabei einzig aufgrund der Nationalität und damit aufgrund eines unzulässigen Unterscheidungsmerkmals (Art. 26 S. 2 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Art. 1 Nr. 1 des 12. Zusatzprotokolls der EMRK). 

 Um es vorwegzunehmen: Diese Ungleichbehandlung ist jedoch im Ergebnis gerechtfertigt, da sie geeignet ist, ein legitimes Ziel zu erreichen und auch im Übrigen verhältnismäßig ist.  

Verhinderung von politischer Instrumentalisierung als legitimes Ziel 

Sport soll grundsätzlich neutral sein. Wissend um die verbindende Kraft des Sports und dessen Möglichkeit, ein Gefühl von Stärke und Überlegenheit zu vermitteln, möchte man dem Aggressor und den Athleten keine internationale Bühne bieten, die man sich zum Zwecke der Erstarkung des nationalen Selbstbewusstseins zunutze machen kann.  

Legitimes Ziel für den Ausschluss (bela-)russischer Athleten ist daher, den Sport hierdurch frei von politischer Instrumentalisierung durch das Regime und die Athleten selbst zu halten. So heißt es in Regel 2.10 der Olympischen Charta: "(…) Die Funktion des IOC ist es: (…) gegen jeden politischen oder kommerziellen Missbrauch des Sports und der Athleten vorzugehen."   

Dieses Ziel gibt das IOC auch selbst in seiner jüngsten Empfehlung implizit als legitim vor. Athleten sollen nur unter neutraler Flagge teilnehmen dürfen, da unter Nationalflagge errungene Erfolge instrumentalisiert würden. 

Teilnahme unter neutraler Flagge kein geeignetes Mittel 

Indes, die vom IOC nunmehr empfohlene Zulassung der Athleten unter Auflagen (neutrale Flagge, keine den Krieg unterstützenden Athleten sowie keine, die mit dem Militär bzw. nationalen Sicherheitsbehörden verbunden sind) ist nicht in gleichem Maße wie der gänzliche Ausschluss geeignet, zur Erreichung des Ziels beizutragen. 

Schließlich ist zu erwarten, dass die Teilnahme und die Erfolge dieser (bela-)russischer Athleten im Heimatland im gleichen Maße gefeiert werden, wie wenn die Athleten unter der Nationalflagge teilnehmen. (Bela-)Russische Athleten entledigen sich nicht ihrer nationalen Zugehörigkeit, wenn sie unter neutraler Flagge auflaufen. Vermutlich könnte die heimische Kriegspropaganda aufgrund des unter "aufgezwängter" neutraler Flagge errungenen Erfolges sogar einen Opfer- und Heldenmythos der (bela-)russischen Athleten kreieren, was die Kriegspropaganda zusätzlich befeuern könnte.  

Etwas anderes könnte nur für solche Athleten gelten, die sich öffentlich von dem in der Ukraine geführten Krieg distanzieren. Denn bei diesen Athleten besteht keine Gefahr der Instrumentalisierung. Nicht ausreichend ist es jedoch, nur solche Athleten von der Teilnahme auszuschließen, die den Krieg aktiv unterstützen. Die Gefahr der Instrumentalisierung besteht auch bei solchen Athleten, die den Krieg weder öffentlich aktiv unterstützen noch diesen öffentlich verurteilen. 

Schutzpflicht für ukrainische Athleten  

Deshalb stellt auch eine nachträgliche Sanktionierung solcher Athleten, die bei den Sportwettkämpfen politisch agieren, kein gleich geeignetes milderes Mittel dar, da weiterhin die Gefahr der Instrumentalisierung durch das Regime bestünde. Zudem ließe sich mit der nachträglichen Sanktionierung der mögliche politische Missbrauch einer Veranstaltung durch den einzelnen Athleten nicht mit Gewissheit verhindern.  

Der Ausschluss (bela-)russischer Athleten steht dabei auch in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, auch wenn er für die einzelnen betroffenen Athleten das schwerwiegendste Mittel darstellt und bloß aufgrund der nationalen Zugehörigkeit erfolgt.  

Die Angemessenheit ist dabei vor allem mit dem erforderlichen Schutz der ukrainischen Athleten zu begründen. Aus dem Ein-Platz-Prinzip folgt eine besondere Schutzpflicht für alle und insbesondere auch die ukrainischen Athleten. Eine gleichzeitige Teilnahme (bela-)russischer und ukrainischer Athleten erscheint ausgeschlossen. Ukrainischen Athleten ist in der vorzunehmenden Abwägung der Vorrang zu gewähren. Sie sind durch eine Teilnahme (bela-)russischer Athleten stärker betroffen als (bela-)russische Athleten durch deren Ausschluss, nämlich auch in ihrem Recht auf psychische Gesundheit und Würde (vgl. Gutachten von Prof. Patricia Walter für den DOSB)*. 

Ohnehin ist vielen ukrainischen Athleten nicht zuzumuten, gegen (bela-)russische Athleten antreten zu müssen. Dies gilt insbesondere für solche Athleten, die selbst und unmittelbar traumatische Erfahrungen mit dem Krieg gemacht haben, etwa da sie im Kriegsgebiet waren oder Angehörige verloren haben. Im Übrigen spricht auch das globale Friedenspostulat und damit der Anspruch des IOC, den globalen und konkret den Frieden in der Ukraine zu fördern, als eines der Grundprinzipien des Olympismus (Olympische Charta, Grundlegendes Prinzip Nr. 2) für den Ausschluss (bela-)russischer Athleten. 

IOC sollte Standpunkt revidieren 

Vor diesem Hintergrund erweist sich der Komplett-Ausschluss (bela-)russischer Athleten – ausgenommen solcher Athleten, die sich vom Krieg öffentlich distanzieren – von allen internationalen Sportwettkämpfen als verhältnismäßig. Nur so lässt sich das vom IOC selbst vorgegebene Ziel, den Sport frei vor politischer Instrumentalisierung zu bewahren, erreichen.  

Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands muss entschiedene Reaktionen der internationalen Staaten- und Sportgemeinschaft hervorrufen, auch wenn dies zwangsweise schwere Folgen für den einzelnen Athleten nach sich zieht. Noch kurz nach Beginn des Angriffskriegs sah das IOC dies genauso. Dass sich seither etwas an der Ausgangssituation geändert haben soll, ist nicht ersichtlich. Insofern ist die vom DOSB eingenommene konsequente und klare Positionierung in dieser Frage ist zu begrüßen. Das IOC hingegen sollte seinen Standpunkt zeitnah revidieren.  

Autor Till Moser ist Rechtsanwalt bei der Sport-, Medien- und Arbeitsrechtskanzlei BluePort Legal in Hamburg. BluePort Legal berät umfassend Stakeholder aus der gesamten Welt des Sports, wie unter anderem Verbände, Sportler und Vereine.

* Anmerkung der Redaktion: Hinweis auf das Gutachten wurde nachträglich am 29.08.2023, 12.10 Uhr, ergänzt.

Zitiervorschlag

Ausschluss (bela-)russischer Athleten von Olympia 2024: . In: Legal Tribune Online, 07.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52182 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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