Seit 20 Jahren läuft der Rechtsstreit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham wegen zwei Sekunden aus dem Song "Metall auf Metall". Er beschäftigte alle Instanzen – teils mehrmals. Nun endet das Verfahren vor dem OLG Hamburg – vielleicht.
Insgesamt neun Gerichtsentscheidungen in 20 Jahren, darunter viermal Bundesgerichtshof (BGH), einmal Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und einmal Europäischer Gerichtshof (EuGH): Mehr geht eigentlich nicht.
Die Rede ist vom Rechtsstreit um "Metall auf Metall", dem Song der deutschen Elektropioniere und Rock-and-Roll-Hall-of-Fame-Mitglieder Kraftwerk. Wobei es übertrieben ist, zu sagen, dass es ein Rechtsstreit um einen "Song" ist, denn es sind gerade einmal zwei Sekunden dieses Stücks, die die Gerichte auf Trab halten. Und das Verfahren läuft immer noch.
Doch bald könnte es enden. Am 28. April entscheidet das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg zum dritten und vielleicht letzten Mal in dem Rechtsstreit, in dem Kraftwerk Moses Pelham verklagen, seines Zeichens unter anderem Hip-Hop-Produzent.
Pelham hat eine zweisekündige Tonsequenz per Sound Sampling dem Kraftwerk-Song "Metall auf Metall" entnommen und in den von ihm produzierten Song "Nur mir" eingebaut und den veröffentlicht – und zwar ohne zuvor Kraftwerk zu fragen. Tatsächlich ist diese Art der Komposition aber in der elektronischen Musikwelt etwas ganz Gewöhnliches: Der Schöpfer eines Songs greift auf eine bereits existierende Tonfolge zurück, die sich auf einem Tonträger befindet, und baut sie in ein eigenes Musikstück ein. Charakteristisch dabei ist, dass die Tonfolge unverändert übernommen wird und es sich häufig um kleinste Tonteile, ja sogar "Tonfetzen" handelt. Das Ganze schimpft sich dann “Sampling”.
Sind zwei Sekunden genug für eine Rechtsverletzung?
Ob das ohne Zustimmung der Rechteinhaber an den Tonteilen geht, war lange unklar – bis diese Frage eben Dank der Hartnäckigkeit der Prozessbeteiligten im Streit "Metall auf Metall" die deutsche und europäische Gerichtsbarkeit 20 Jahre lang hoch- und wieder runtergejagt wurde.
Kraftwerk meinen, dass die Übernahme des Samples durch Pelham ihre Rechte als Tonträgerhersteller und ausübende Künstler sowie das Urheberrecht eines der Mitglieder Kraftwerks, das "Metall auf Metall" komponiert hat, verletzt haben. Beginnend beim Landgericht (LG) Hamburg ging es aber schnell nur noch um die Frage, ob eine Verletzung der Tonträgerherstellerrechte Kraftwerks vorliegt.
Tonträgerhersteller sind diejenigen, die das Tonmaterial auf einem Tonträger aufzeichnen. Sie haben nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) das ausschließliche Recht, die Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und – nach inzwischen geltender Rechtslage - öffentlich zugänglich zu machen, also ins Internet zu stellen. Kraftwerk als Tonträgerhersteller sind nun der Auffassung, dass Pelham (und weitere Beklagte) ihre Tonträgerherstellerrechte durch das Sampling verletzt haben. Im Kern dreht sich der “Metall auf Metall”-Streit um eine sehr grundsätzliche Frage: Reicht ein Zwei-Sekunden-Sampling aus, um eine Vervielfältigung bzw. Verbreitung anzunehmen, die die Tonträgerherstellerrechte verletzt?
Ja, tut es, entschieden zunächst das LG und dann auch das OLG Hamburg. Das Gesetz sehe keine Mindestschwelle für die Entnahme von Tonteilen vor, womit jedes Sampling auch eine Rechtsverletzung sei. Der BGH sah das, als der Fall zum ersten Mal bei ihm landete, an sich genauso. Allerdings ging er auf § 24 UrhG a.F. ein, die sogenannte freie Benutzung. Demnach durften Künstler urheberrechtlich geschützte Werke auch ohne Zustimmung des Urhebers für eigene Werke als Anregung verwenden, wenn das benutzte Werk "verblasst", also sich genug vom neuen Werk unterscheidet.
Wer es selbst nicht kann, darf auch samplen?!
Der BGH wendete das erstmals analog auch auf Tonträgerherstellerrechte an – um im nächsten Schritt gleich wieder eine Ausnahme davon zu erfinden: Das "Nachspiel-Gebot". Ist der Sampler eigentlich in der Lage gewesen, den benötigten Tonteil selbst nachzuspielen und damit nicht auf Sampling angewiesen, dann greife die freie Benutzung nicht. In solchen Fällen sei das Sampling ohne Zustimmung rechtswidrig. Dass Pelham diese zwei Sekunden, die er aus Kraftwerks “Metall aus Metall” genommen hatte, selbst hätte aufnehmen können, bejahte das OLG Hamburg nach Zurückverweisung durch den BGH. Daraufhin ging es wieder vor den BGH, der ebenfalls bestätigte: Ja, diese zwei Sekunden hätte Pelham selbst aufnehmen können.
Wenig überraschend landete der Fall dann vor dem BVerfG, denn gefallen lassen wollte sich Pelham die zweite BGH-Entscheidung nicht. Und tatsächlich sah das BVerfG einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Kunstfreiheit Pelhams durch die bis dahin jeweils zwei Entscheidungen des BGH und der zweiten OLG-Entscheidung. Durch seine Ausnahme per Nachspiel-Gebot habe der BGH den § 24 UrhG a.F. zu eng ausgelegt. Sampling müsse auch möglich sein, selbst wenn eine Tonfolge nachgespielt werden könnte, so die Verfassungsrichterinnen und -richter. Außerdem solle der BGH doch mal über ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nachdenken.
Und so kam es auch. Der BGH setzte das Verfahren nach der BVerfG-Entscheidung aus und fragte beim EuGH nach, wie es im Unionsrecht mit der Vervielfältigung und der Verbreitung von Tonteilen aussieht. Zeitlich relevant ist die EuGH-Rechtsprechung im Fall “Metall auf Metall” aber nur für Nutzungshandlungen ab dem 22. Dezember 2002, weil dann die sogenannte InfoSoc-Richtlinie in Kraft trat, die das Urheberrecht in der EU harmonisierte. Für die Zeit davor kommt es aber allein auf das nationale, also deutsche Recht an.
Zwei Zeiträume, zwei Rechtslagen
Der EuGH machte es dann nicht weniger kompliziert: Zwar stelle auch die Entnahme kleinster Teile eines Tonträgers eine Vervielfältigung und damit eine Verletzung der der Tonträgerherstellerrechte dar – aber nur dann, wenn das entnommene Teil in dem neuen Song wiederkennbar ist. Eine Verbreitung, also das Inverkehrbringen einer Kopie der auf dem Tonträger aufgezeichneten Töne, lehnte der EuGH in Bezug auf kurze Samplings wie die zwei “Metall auf Metall”-Sekunden aber ab. Dieses Recht sei nur betroffen, wenn wesentliche Teile eines Tonträgers übernommen würden.
Außerdem war der EuGH der Ansicht, dass das Unionsrecht eine "freie Benutzung" in seinen gesetzlichen Schrankenregelungen nicht vorsieht – und damit war § 24 UrhG a.F., der Dank des BVerfG eigentlich die "Rettung" der Sampler war, Geschichte.
Somit sah sich der BGH im Jahr 2020, als er zum vierten Mal über "Metall auf Metall" zu entscheiden hatte, nach der Antwort aus Luxemburg mit zwei Rechtslagen konfrontiert:
Einmal derjenigen vor dem 22. Dezember 2002, während der das nationale Recht und die Vorgaben des BVerfG zu beachten waren. Für diese Zeit gilt damit laut BGH: Vervielfältigung beim Sampling ja, aber eventuell doch zustimmungsfrei möglich über die freie Benutzung nach dem alten § 24 UrhG.
Für die Zeit nach dem 22. Dezember 2002 gelten laut BGH hingegen vorrangig das Unionsrecht und die Vorgaben des EuGH. Das bedeute für Nutzungshandlungen in diesem Zeitraum: Vervielfältigung ja, aber nur, wenn das Sample wiedererkennbar ist. Wenn die gesampelte Sequenz im neuen Song hingegen nicht wiedererkennbar ist, dann komme es auf eine mögliche gesetzliche Rechtfertigung an, um Sampling auch zustimmungsfrei zu ermöglichen, denn auf den unionsrechtswidrigen § 24 UrhG a.F. könnten sich die Sampler nicht mehr berufen.
Dabei nahm der BGH aber gleich vorweg: Schranken aus dem UrhG wie etwa das Zitatrecht oder das Pastiche, auf die sich Sampler wie Pelham berufen könnten, kämen nicht in Frage.
Allerdings deutete der BGH im Fall "Metall auf Metall" an, dass er keine Anhaltspunkte für Nutzungshandlungen nach dem 22. Dezember 2002 sehe und auch keine Erstbegehungs- und Wiederholungsgefahr – und damit auch keinen Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch für Kraftwerk. Unter anderem darüber muss nun aber das OLG Hamburg entscheiden.
Musikrechtler zur kommenden OLG-Entscheidung: "Alles ist möglich"
Doch wie wahrscheinlich ist es, dass das Verfahren dort nun wirklich sein Ende findet? Dem Technikrechtler Prof. Dr. Michael Grünberger von der Uni Bayreuth zufolge ist die Sache zumindest für die Rechtslage vor dem 22. Dezember 2002 gelaufen. "Meiner Einschätzung nach steht zumindest für diesen Zeitraum fest, dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 UrhG a.F. vorliegen und Kraftwerk demnach keine Ansprüche geltend machen kann." Für die Rechtslage nach dem 22. Dezember 2002 könnte es aber noch kompliziert werden. Sowohl Grünberger als auch dem Juristen und Musikwissenschaftler PD Dr. Dr. Frédéric Döhl von der FU Berlin fallen mehrere Szenarien ein, wie das Verfahren betreffend die Zeit nach dem 22. Dezember 2002 doch weiter Geschichte schreiben könnte.
Grünberger sieht den Knackpunkt bei der Begehungsgefahr. "Ich glaube, dass das Verfahren enden könnte, wenn Kraftwerk nicht darlegen oder beweisen kann, dass nach dem 22. Dezember 2002 eine Begehungs- und Wiederholungsgefahr vorliegt. Wenn das aber anders sein sollte, dann wird es extrem kompliziert." Grünberger zufolge gehe es dann darum, ob nicht doch § 24 Abs. 1 UrhG a.F. in Form einer Schranke für Pastiche in richtlinienkonformer Auslegung Anwendung findet. Das hatte der BGH 2020 noch mit wenigen Worten abgelehnt – fälschlicherweise, meint Grünberger. "Er hätte hier schon aus verfassungsrechtlichen Gründen diese Auslegung vornehmen müssen", so Grünberger. Außerdem stelle sich dann die Frage, ob nicht doch ein Zitat vorliegt. Der EuGH habe den Spielraum dafür geöffnet – und der BGH habe das mit nicht überzeugenden Gründen abgelehnt.
Döhl könnte sich dagegen vorstellen, dass der Streit wegen der bisher ungeklärten Frage, ob neben der Verletzung von Tonträgerherstellerrechten auch eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, weiter gehen könnte. "Schaut man die Geschichte von Plagiatsprozessen in der Musik in Deutschland an, liegt der Fall hier insoweit auf der Kante. Qualifiziert das OLG den Sample als Werk, muss es das neue, seit 7. Juni 2021 geltende Schrankenrecht prüfen, insbesondere die neue Pasticheschranke", so Döhl. Dann gehe der Fall weiter – und zwar entweder durch erneute Zulassung der Revision zum BGH oder direkt durch Vorlage zum EuGH. "Das anstehende OLG-Urteil kann also als eine reine Fußnote zu diesem Jahrhundertverfahren werden. Oder es kann die Sache nochmals ganz groß machen und das neue Bearbeitungsrecht hinsichtlich der neuen Schrankenordnung zu Fall bringen oder stabilisieren. Alles ist möglich", meint der Musikurheberrechtler.
Musiker von Kraftwerk zum dritten Mal vorm OLG Hamburg: . In: Legal Tribune Online, 25.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48229 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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