Wieder einmal wartet Deutschland auf Karlsruhe. Noch vor Verhandlungsbeginn in München will das BVerfG darüber entscheiden, ob die Platzvergabe beim NSU-Prozess verfassungsgemäß ablief, auch wenn türkische Medien keine reservierten Plätze haben. Rüdiger Zuck erinnert daran, dass Teilhabe mehr ist als bloß Information. Überlegungen zu den Maßstäben des Verfassungsrechts.
§ 169 GVG schreibt vor, dass Gerichtsverhandlungen grundsätzlich öffentlich, und das heißt auch medienöffentlich, sein müssen. Wie die Öffentlichkeit zu gewährleisten ist, entscheidet das Gericht. Den Umfang der herzustellenden Öffentlichkeit begrenzt der für die Gerichtsverhandlung zur Verfügung stehende Raum.
Wie die so beschränkte Öffentlichkeit herzustellen ist, ist nicht gesetzlich geregelt. Üblich ist es, die Plätze für die Medienvertreter nach dem sogenannten Windhundprinzip, also an die jeweils schnellsten Bewerber zu vergeben.
So ist auch das Oberlandesgericht (OLG) München bei der Vergabe der zur Verfügung stehenden 50 Plätze im NSU-Prozess vorgegangen. Unabhängig davon, ob das kausal auf die Unregelmäßigkeiten bei der Versendung von Mails zurückzuführen ist, welche das OLG München zwischenzeitlich eingeräumt hat, haben die Vertreter türkischer Medien dabei keinen der reservierten Plätze erhalten. Das hat zu erheblicher Kritik aus der Türkei geführt, weil acht der Opfer türkischer Herkunft waren. Ankara wünsche sich offene Verhandlungen, die allen zugänglich seien, sagte der türkische Staatspräsident Abdullah Gül nach Teilnehmerangaben zuletzt in einem Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) am Donnerstag in Ankara.
Viele Vorschläge, entscheiden soll nun Karlsruhe
Im Anschluss daran hat sich eine lebhafte öffentliche Diskussion zu der Frage entwickelt, wie türkischen Medienvertretern dennoch Zugang zu den reservierten Plätzen verschafft werden könnte. Zwar scheint grundsätzlich die Unabhängigkeit des Gerichts bei der von ihm getroffenen Entscheidung akzeptiert und respektiert zu werden. Auch die Angabe des OLG München, dass aus Sicherheitsgründen ein größerer Raum nicht zur Verfügung steht, scheint man hinzunehmen.
Die Forderung vor allem von Journalisten, die Verhandlung in einen Nebenraum zu übertragen, hat das Gericht – wiederum aus Sicherheitsgründen – ebenso abgelehnt wie die von akkreditierten Medien wie der Bild-Zeitung angebotene Überlassung eines Platzes an türkische Medien.
Auch Nebenkläger-Plätze, welche sicher nicht besetzt sein werden, dürfen nicht an türkische Journalisten vergeben werden. Ebenso wie die Überlassung eines bereits an deutsche Medien vergebenen Presseplatzes würde diese Lösung nämlich das Akkreditierungsverfahren als solches unterlaufen.
Über alle diese Vorschläge kann man streiten. So haben denn auch sowohl die türkische Zeitung Sabah als auch ein deutscher akkreditierter, zwischenzeitlich aber erkrankter Journalist inzwischen das BVerfG angerufen und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die Karlsruher Richter haben angekündigt, darüber noch vor Beginn der Verhandlung am kommenden Mittwoch zu entscheiden. Das Gericht wird auch klären, ob allen Medienvertretern vom Gericht gleiche Zugangsmöglichkeiten zur Platzvergabe eröffnet worden sind.
Kein absoluter Vorrang der Pressefreiheit
Gibt es für die Gewährleistung von Gerichtsöffentlichkeit verfassungsrechtliche Maßstäbe?
Auf die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit können sich die türkischen Medienvertreter nicht berufen, weil Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ein Deutschen-Grundrecht ist. EU-Journalisten hätten dagegen vielleicht eine Chance, weil das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot berührt sein könnte. Es wird aber bei der Herstellung von Gerichtsöffentlichkeit an einer berufsregelnden Tendenz fehlen.
Naheliegender ist es, sich auf die durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Pressefreiheit zu berufen. So geschehen unter anderem auch im Honecker-Prozess im Jahr 1992, als 70 reservierte Medienplätze zur Verfügung standen. Auch damals wurde das Bundesverfassungsgericht angerufen. Das höchste deutsche Gericht bejahte zwar die Anwendbarkeit des Grundrechts der Pressefreiheit, verneinte im konkreten Fall aber die vom Beschwerdeführer daraus abgeleitete Forderung nach einer Bild- und Tonübertragung der Verhandlung in einen anderen Saal des Gerichts.
Die Verfassungsrichter begründeten das damit, dass die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG nach dessen Abs. 2 durch die allgemeinen Gesetze beschränkt werden. Ein solches Gesetz ist auch die Vorschrift des § 169 GVG. Es gibt also keinen absoluten Vorrang der Pressefreiheit. Vielmehr ist zu klären, welche Bedeutung § 169 GVG im Lichte der Pressefreiheit hat.
Gerichtsöffentlichkeit beim NSU-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8513 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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