Mit dem DSA gelten EU-Regeln für große soziale Netzwerke wie Facebook. Braucht es nun überhaupt noch das NetzDG? Zumindest die Vorgaben zum inländischen Zustellungsbevollmächtigten sollten unbedingt bleiben, so Jonas Kahl und Simon Liepert.
Viele der großen sozialen Netzwerke wie Facebook, Youtube oder Twitter haben ihren Sitz in Irland oder den USA. Dies führt in der Praxis häufig zu enormen Verzögerungen bei der Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen. Innerhalb Deutschlands können Internetnutzer oft innerhalb weniger Tage im Eilverfahren ihre Rechte geltend machen. Bei einer Zustellung im Ausland kommt es dagegen oft zu monatelangen Verzögerungen.
Um solche Verzögerungen zu vermeiden, hat der Gesetzgeber die Netzwerkbetreiber schon vor einigen Jahren mit einer Regelung im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) dazu verpflichtet, in Deutschland einen Zustellbevollmächtigten zu benennen, an den Gerichtspost zugestellt werden kann. Diese Regelung steht aktuell auf der Kippe.
Was wird aus dem NetzDG?
Denn am 16. November 2022 ist der Digital Services Act (DSA) in Kraft getreten. Die unmittelbar anwendbare Verordnung bildet den Grundpfeiler der neuen europäischen Plattformregulierung. Als Vorbild dieses vollharmonisierten Rechtsakts gelten dabei verschiedene nationale Regelungen – dazu gehört auch das bereits 2017 in Kraft getretene NetzDG, das sich gegen rechtswidrige Inhalte und Hate-Speech in sozialen Netzwerken richtet.
Der DSA greift mit seinen Moderationspflichten für Online-Plattformen den Ansatz des NetzDG auf und wird insoweit vorrangig anzuwenden sein. Ob ein rechtswidriger Inhalt zu entfernen ist, richtet sich also künftig nach dem DSA. In der Konsequenz ist das NetzDG weitgehend aufzuheben oder jedenfalls grundlegend zu überarbeiten, was durch die Bundesregierung bereits geprüft wird. Im Falle einer vollständigen Aufhebung des NetzDG könnte jedoch die gerichtliche Rechtsdurchsetzung bei Verfahren im Zusammenhang mit rechtswidrigen Inhalten künftig erschwert werden.
Denn bisher verpflichtet § 5 NetzDG die Anbieter sozialer Netzwerke, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu ernennen. An diesen können Zustellungen in Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten wegen der Verbreitung oder unbegründeten Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte bewirkt werden. Würde das NetzDG infolge des DSA nun vollständig aufgehoben, wären Betroffene aber wieder auf Auslandszustellungen angewiesen.
DSA regelt die Zustellung im Gerichtsverfahren nicht
Sucht man im DSA nach einer vergleichbaren Zustellungsregelung, so fallen die Art. 11-13 DSA ins Auge: Hier finden sich Pflichten zur Benennung zentraler Kontaktstellen für die Kommunikation mit Behörden (Art. 11 DSA) sowie zur Kontaktaufnahme durch Nutzer (Art. 12 DSA).
Darüber hinaus müssen Anbieter ohne Niederlassung in der EU einen gesetzlichen Vertreter benennen (Art. 13 DSA). Dieser soll "von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Gremium zu allen Fragen in Anspruch genommen werden können, die für die Entgegennahme, Einhaltung und Durchsetzung von Beschlüssen im Zusammenhang mit dieser Verordnung erforderlich sind". Einen Hinweis auf die Zustellung im Gerichtsverfahren enthält die Vorschrift aber gerade nicht.
Weder in den Artikeln noch in den Erwägungsgründen des DSA finden die "Gerichte" Erwähnung. Vorgaben finden sich nur für die Nutzerkommunikation bzw. die Aufsicht durch Behörden. Es mangelt daher an einer die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke betreffenden Bestimmung, wie § 5 NetzDG. Nutzer die gerichtlich gegen Entscheidungen ausländischer Anbieter vorgehen wollen, werden also Auslandszustellungen abzuwarten haben. Ein zügiger Eilrechtsschutz ist damit ausgeschlossen. So könnte sich etwa die Wiederherstellung gelöschter Posts oder Reaktivierung von Accounts um Monate verzögern. Denn an einen deutschen Gerichtsbeschluss halten muss sich ein soziales Netzwerk erst dann, wenn der Beschluss zugestellt wurde. Um dies zweifelsfrei feststellen zu können, muss ein entsprechender Zustellnachweis aus dem Ausland zurück an deutsche Gerichte geschickt werden und das dauert häufig sehr lange.
§ 5 NetzDG braucht es weiterhin um Verfahren zu beschleunigen
Dieses Defizit sollte bei der Aufhebung des NetzDG bzw. bei einer Anpassung des NetzDG an den DSA berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber könnte in Erwägung ziehen, den Regelungsgehalt des § 5 NetzDG in einer an den DSA angepassten Vorschrift zu belassen. Diese sollte für sämtliche Sachverhalte im Zusammenhang mit den neuen europäischen Moderationspflichten die Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten vorschreiben. Im gerichtlichen Streit um rechtswidrige Inhalte könnte so weiterhin schneller Rechtsschutz erlangt werden.
Ein solcher Erhalt setzt allerdings die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht voraus, welche durch den Gesetzgeber zu beachten ist. Namentlich insbesondere mit der E-Commerce-RL (ECRL) und dem DSA selbst:
Der Konfliktpunkt mit der E-Commerce-RL besteht dabei beim Herkunftslandprinzip. Das Herkunftslandprinzip (Art. 3 ECRL) sieht grundsätzlich vor, dass Diensteanbieter lediglich die rechtlichen Anforderungen des Mitgliedstaats einhalten müssen, in dem sie ihren Sitz haben.
Diese Vorgabe steht gerade im Widerspruch zu der Verpflichtung eines ausländischen Anbieters einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten für Deutschland zu bestellen. Hiervon kann nur unter strengen Voraussetzungen u.a. zum "Schutz der öffentlichen Ordnung (…) und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen" abgewichen werden. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Rechtswissenschaft umstritten.
Auch der DSA darf einem verbleibenden § 5 NetzDG nicht entgegenstehen, denn der DSA hat das Ziel, harmonisierte Vorschriften im Binnenmarkt festzulegen. Schließlich zielt die Verordnung darauf ab, einen einheitlichen Rechtsrahmen in der EU zu schaffen (Art. 1 DSA, EG 2 DSA). Dementsprechend sollten keine weiteren nationalen Anforderungen erlassen oder beibehalten werden, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen.
Ausnahmsweise lässt der DSA aber nationale Rechtsvorschriften zu, wenn sie einem anderen berechtigten öffentlichen Interesse dienen (EG 9 DSA). Für so eine Ausnahme spricht, dass das NetzDG effektiven Rechtsschutz sowie den Schutz der öffentlichen Sicherheit bezweckt (§ 1 Abs. 3 NetzDG). Der DSA zielt dagegen – neben dem Schutz der in der Charta verankerten Grundrechte – auf die Verwirklichung des digitalen Binnenmarktes (Art. 1 Abs .1 DSA).
DSM-Richtlinie zum Urheberrecht könnte Vorbild sein
Weitere Argumente lassen sich auch mit Blick auf den Regelungsgegenstand des DSA finden, denn das Ziel der Harmonisierung ist vornehmlich auf diesen beschränkt. So legt der DSA im Kern Regeln über die Haftung und Sorgfalt von Vermittlungsdiensten im Umgang mit vermittelten Inhalten fest. Ergänzende Vorschriften betreffen die behördliche Durchführung und Durchsetzung der Vorgaben (Art. 1 DSA).
Zum gerichtlichen Verfahren trifft der DSA dagegen keine Aussagen. Stattdessen wird im Verordnungstext sogar die Klagemöglichkeit sowie das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf betont (vgl. EG 52, EG 55, EG 59 DSA). Auch werden die für die gerichtliche Zustellung einschlägigen Rechtsakte der EU an keiner Stelle im DSA erwähnt. Das eröffnet Raum zur Diskussion, ob ein angepasster § 5 NetzDG mit prozessualer Wirkung mit dem Unionsrecht vereinbar wäre und zugleich eine effektive Rechtsdurchsetzung sichern würde.
Fest steht, dass der DSA keine dem § 5 NetzDG vergleichbare Regelung trifft, die eine gerichtliche Zustellung an einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten ermöglicht. Betroffenen Nutzern drohen damit erhebliche Verzögerungen bei der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Rechte.
Der Gesetzgeber ist gehalten im Rahmen seiner Möglichkeiten Abhilfe zu schaffen. Die Ergebnisse der Überarbeitung des NetzDG sind daher mit Spannung zu erwarten. Hoffnung macht, dass der Gesetzgeber bereits an anderer Stelle, nämlich bei der Umsetzung der Digital Single Market (DSM)-Richtlinie, die Urheberrechte regelt, das Defizit erkannte und eigenmächtig Vorgaben für inländische Zustellungsbevollmächtigte geschaffen hat. Die könnte auch hier Blaupause für eine Beibehaltung bzw. Schaffung nationaler Zustellungsregeln sein.
Dr. Jonas Kahl, LL.M. ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht bei Spirit Legal Rechtsanwälte in Leipzig. Simon Liepert ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Spirit Legal Rechtsanwälte.
Rechtsschutz für Internetnutzer: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50969 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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