Streit um Twitter-Account von Nancy Faeser: Unzu­läs­sige Ein­wir­kung auf den Wahl­kampf

Gastbeitrag von Dr. Christian Conrad

06.02.2023

Aus dem amtlichen Twitter-Account von Nancy Faeser wurde am Donnerstag ein privater Account, auf dem die hessische SPD-Spitzenkandidatin jetzt Wahlkampf betreibt. Christian Conrad hält dieses Vorgehen für verfassungswidrig.

Nancy Faeser ist eine der bekanntesten Politikerinnen Deutschlands. Sie ist nicht nur Vorsitzende der hessischen SPD, sondern seit dem 8. Dezember 2021 auch Bundesministerin des Innern und für Heimat – und nun auch die Spitzenkandidatin der SPD für die im Oktober anstehende Landtagswahl in Hessen.

Hierzu twitterte sie am vergangenen Donnerstag auf dem Account @NancyFaeser folgende Nachricht: "Ich bin mit voller Kraft Bundesinnenministerin. Künftig werde ich hier aber auch über meine Arbeit als SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Hessen informieren, daher wird dieser Kanal nicht mehr von meinem Ministerium betreut." Kurz darauf änderte sie nicht nur ihr Profilbild, sondern auch die Beschreibung des Accounts (von der Amtsbezeichnung "Bundesministerin des Innern und für Heimat" in "Bundesministerin des Innern und für Heimat | Landesvorsitzende SPD Hessen | ❤️") sowie die verlinkte Impressumsangabe (von der vormals amtlichen Behördenwebsite "bmi.bund.de" auf die parteipolitische Website "nancy-faeser.de"). Zum Zeitpunkt des "Wechsels" hatte der Account 142.707 Follower:

Transparenzhinweis s.u. Transparenzhinweis s.u.

Dieses Vorgehen führte zu deutlicher Kritik. Die Bundestagsabgeordnete Serap Güler (CDU) kommentierte dies wie folgt: "Menschen sind Ihnen gefolgt, weil Sie hier als Innenministerin kommuniziert haben. Mit einem Profilbildwechsel und der Bio-Änderung sind Sie nicht plötzlich die SPD - Spitzenkandidatin aus Hessen. Es gibt so etwas wie Demut vor dem Amt, auch im Netz."

Und der Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer (CDU) wies darauf hin, dass der Account @NancyFaeser "von Dez 2021 bis heute fast 130.000 Follower bei Twitter hinzugewonnen" habe. Hauer formulierte daher den Vorwurf: "Die Reichweite hat sie vom ‚Ministerium betreut‘ erarbeiten lassen - jetzt widmet sie die Seite zur privaten #SPD-Wahlkampfseite um." Das findet er "Unanständig." Und auch die Berliner Zeitung resümiert: "So geht es wirklich nicht, Frau Ministerin."

Es stellt sich daher die Frage, ob ein Minister einen vormals amtlich betreuten Account einfach ändern bzw. umwidmen kann – und ob dies tatsächlich (nur) unanständig oder vielleicht sogar rechtswidrig wäre.

"Amtlichkeit" des Accounts

Ein Minister kann sich gerade in den sozialen Medien in vielfältiger "Rolle" äußern. Trotz der Ausübung des Amtes kann er sich natürlich auch weiterhin als Privatperson oder als Parteipolitiker äußern. Bei der Frage der Abgrenzung der verschiedenen "Rollen" hat die Rechtsprechung daher unterschiedliche Kriterien entwickelt und betrachtet damit den jeweiligen Einzelfall, wobei die bloße Amtsbezeichnung nur ein Indiz zur Einordnung ist. Anders ist es schon beim (hier unverfänglichen) Accountnamen: Findet sich dort die Amtsbezeichnung, soll nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin (Urt. v. 20.02.2019, Az.: VerfGH 80/18) bzw. der des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs (Urt. v. 24.11.2020, Az.: StGH 6/19) ein hoheitlicher Charakter bejaht werden.

Gerade zu Bundesministern hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aber zuletzt in der sog. Seehofer-Entscheidung betont, dass sichergestellt sein müsse, "dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten, die den politischen Wettbewerbern verschlossen sind, unterbleibt" (Urt. v. 09.06.2020, Az.: 2 BvE 1/19). Zu diesen amtlichen Mitteln und Möglichkeiten zählt die Rechtsprechung gerade auch eine Betreuung des Accounts durch Behördenmitarbeiter, worauf insbesondere die Verlinkung auf amtliche Websites im Impressum hindeutet. Das Verwaltungsgericht (VG) München wertete insofern etwa die Angabe von amtlichen E-Mail-Adressen als amtliche Mitbetreuung (Beschl. v. 19.01.2015, Az.: M 7 E 15.136), der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel stellt auf die entsprechende Verlinkung auf die städtische Website ab (Beschl. v. 11.07.2017, Az.: 8 B 1144/17).

Im Fall der Bundesinnenministerin gilt daher: Angesichts der (nun gelöschten) Verlinkung auf die amtliche Website des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) und der eigenen Erklärung, dass "dieser Kanal nicht mehr" vom "Ministerium betreut" werde, besteht an der Amtlichkeit des Accounts zum Zeitpunkt des Wechsels kein Zweifel. Dass der Account ursprünglich – 2012 – einmal privat gegründet wurde, spielt dabei im Übrigen keine Rolle. Spätestens mit der amtlichen Impressumsangabe war eine (ausreichende) Mitbetreuung gegeben.

Vor- und Nachteile der Amtlichkeit

Diese Einordnung hat Vor- und Nachteile, die auch die beiden eingangs zitierten Abgeordneten angesprochen haben:

Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass einem Account des (designierten) Ministers und Mitglieds der Bundesregierung bereits inhaltlich mehr Personen folgen als einem parteipolitischen Account. Insbesondere dürfte die Followerschaft bei einem Ministeraccount auch politisch diverser sein, was ein Nutzer auf Twitter kritisch anmerkte. Dass Ministerien (wie auch das BMI) inzwischen über professionelle Social-Media-Abteilungen verfügen, dürfte ebenfalls zur Vergrößerung der Anhängerschaft und zur Erweiterung der Bekannt- und Beliebtheit eines solchen Accounts führen.

Spätestens seit "Spiderman" wissen wir aber auch, dass aus großer Kraft auch große Verantwortung folgt. So ist es auch hier – die Rechtsprechung hat insbesondere der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und ihren Mitgliedern mehrfach Grenzen gesetzt. Bereits 1977 stellte das BVerfG fest, dass es den Staatsorganen untersagt ist, sich "als Staatsorgane im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen" (Urt. v. 02.03.1977, Az.: 2 BvE 1/76).

Eingriff in den Prozess der Meinungsbildung

Und in der bereits benannten Seehofer-Entscheidung betonte das BVerfG noch einmal, dass jede demokratische Wahl "frei" sein muss – und dies nicht nur voraussetze, "dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, sondern auch, dass die Wählerinnen und Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können". Dies sei dann nicht gewährleistet, "wenn Staatsorgane als solche zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den Wahlkampf einwirken". Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass "die der Bundesregierung zukommende Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen eine nachhaltige Einwirkung auf die politische Willensbildung des Volkes ermöglichen." Diese beinhalte "das Risiko erheblicher Verzerrungen des politischen Wettbewerbs der Parteien und einer Umkehrung des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen". Daher ist es der Bundesregierung und ihren Mitgliedern "von Verfassungs wegen versagt, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen".

Vor dem geschilderten Hintergrund ist daher die amtliche Pflege eines Social-Media-Accounts durch ein Ministerium und dessen Übertragung (durch das Ministerium oder den Minister) zu Wahlkampfzwecken an eine Partei bzw. an einen Wahlbewerber als offensichtlich verfassungswidrige Unterstützungsleistung zu bewerten.

Dass sich dabei gleich noch mehrere ungeklärte Fragen, etwa nach der Wahrung von Persönlichkeits- und Datenschutzrechten bei vergangenem Nachrichtenverkehr mit dem nun übertragenen Account, nach (fortbestehenden?) presserechtlichen Auskunftspflichten oder aber, wie das Ministerium andere Wahlbewerber nach § 5 Parteiengesetz (PartG) gleichbehandeln will, ergeben, sei daher nur am Rande erwähnt.

Gefahr der Einordnung als "Parteispende"

Hinzuweisen ist auch auf eine mögliche "Gefahr" für die Politikerin Nancy Faeser und ihre Partei. Würde die Bundestagsverwaltung die Überlassung des ehemals mit amtlicher Unterstützung geführten Accounts mitsamt der wohl (auch) hierdurch gewachsenen Followeranzahl – der Abgeordnete Hauer spricht insofern von einem Mehr an rund 130.000 Followern (s.o.) – durch das Ministerium (oder die Ministerin) an die Politikerin als Parteispende ansehen, droht nämlich ein Konflikt mit dem PartG.

Nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 PartG darf eine Partei keine Spenden bzw. geldwerten Leistungen (vgl. § 26 Abs. 1 S. 1 PartG) von öffentlich-rechtlichen Körperschaften (wie hier der Gebietskörperschaft "Bund") annehmen. Derartige unzulässige Spenden müssen nach der Regelung des § 25 Abs. 4 PartG unverzüglich an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleitet werden. Geschieht dies nicht, drohen Rückforderungen nach § 31c PartG "in Höhe des Dreifachen des rechtswidrig erlangten Betrages".

Parteimitglieder, die Empfänger von Spenden an die Partei sind, haben diese nach § 25 Abs. 1 S. 2 PartG zudem "unverzüglich an ein für Finanzangelegenheiten von der Partei satzungsmäßig bestimmtes Vorstandsmitglied weiterzuleiten". Sofern dies "in der Absicht, die Herkunft oder die Verwendung der Mittel der Partei oder des Vermögens zu verschleiern oder die öffentliche Rechenschaftslegung zu umgehen" nicht geschieht, existiert mit § 31d Abs. 1 Nr. 3 PartG sogar eine Strafvorschrift. Politikerin und Partei sollten daher ein ureigenes Interesse an einer schnellen Aufklärung der hier im Raum stehenden Vorwürfe haben.

Faeser sollte neuen Account anlegen

Der Wechsel eines bislang (auch) amtlich betreuten und auch derart wahrgenommenen Accounts zu einem parteipolitischen Wahlkampfaccount ist nicht nur rechtswidrig, sondern wegen des damit verbundenen Eingriffs in den demokratischen Willensbildungsprozess auch demokratiefeindlich und verfassungswidrig.

Die Bundesinnenministerin wäre daher gut beraten, den nunmehr mehrfach gewechselten Account stillzulegen, zwecks Archivierung an ihr Ministerium zurück zu übertragen und sich für den Wahlkampf einen neuen privaten Account zuzulegen. Anderenfalls könnten etwa politische Mitbewerber in Hessen versuchen, dies unter Berufung auf den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien gemäß Art. 21 GG gerichtlich zu erreichen.

Ein Beispiel kann sie sich dabei etwa an den beiden Twitter-Accounts des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) nehmen, der seit Februar 2022 unter @Bundeskanzler einen amtlichen und seit Mai 2009 unter @OlafScholz seinen privaten Account betreibt – wobei der amtliche Account trotz des deutlich kürzeren Bestehens bereits ein Mehr von rund 64.000 Followern aufweist.

Rechtsanwalt Dr. Christian Conrad ist Autor und Mitherausgeber des bislang einzigen Handbuchs zum "Öffentlich-rechtlichen Äußerungsrecht". Er leitet das Dezernat "Öffentliches Äußerungsrecht" der Medienrechtskanzlei HÖCKER in Köln.

Transparenzhinweise: Die oben gezeigten Fotos wurden vom Autor als Follower des genannten Accounts am 02.02.2023 um 18:50 Uhr bzw. um 18:51 Uhr als Screenshots aufgenommen. An der zitierten Entscheidung des VGH Kassel vom 11.07.2017 (Az.: 8 B 1144/17) war der Autor als Bevollmächtigter der dortigen Antragstellerin beteiligt.

Zitiervorschlag

Streit um Twitter-Account von Nancy Faeser: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50985 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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