Hundertausende demonstrieren in Israel seit Wochen gegen eine Justizreform, die die unabhängige Justiz massiv bedroht. Der Bundesjustizminister schweigt dazu. Noch. Am Montag reist er nach Israel. Die BRAK verlangt von ihm dort eine "Intervention".
"Stirbt die Demokratie in Israel?", fragte vor wenigen Tagen die Frankfurter Rundschau anlässlich der von Benjamin Netanjahus ultrarechts-religiöser Regierung geplanten Justizreform. Diese sieht u.a. eine massive Schwächung des Höchsten Gerichts in Jerusalem vor.
Ziel der Reform ist es, dem Parlament die Macht zu verleihen, mit einer einfachen Mehrheit Entscheidungen des Supreme Court aufzuheben. Politiker sollen außerdem bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten. Gegen die Reform protestieren nicht nur Liberale und Bürgerrechtler, sondern auch viel Konservative – und natürlich die juristischen Verbände des Landes. Sie alle befürchten das Ende der demokratischen Gewaltenteilung.
Weil eine schriftliche Verfassung in Israel fehlt, kommt außerdem dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu. Die rechts-religiöse Regierung argumentiert jedoch, das Gericht übe derzeit zu viel politischen Einfluss aus. Israels rechter Flügel versucht seit Jahren, das Justizsystem einzuschränken, da dieses ein Hindernis für seine gesetzgeberische Agenda darstellt. Vergangen Montag verbuchten die Befürworter einen ersten Erfolg: Der Justizausschuss der Knesset billigte einen Teil der umstrittenen Reform. Damit das Gesetz komplett in Kraft tritt, sind noch drei weitere Lesungen im Parlament notwendig.
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Baerbock gegen Buschmanns Israel-Reise
Die Uhr tickt also und ausgerechnet jetzt reist der Bundesjustizminister Marco Buschmann in das Land. Unter anderem auch, um dort seinen Amtskollegen Yariv Levin zu treffen. Der Likud-Politiker und Rechtsanwalt gilt als entschiedener Befürworter der Reform. Wie der Spiegel berichtet, reist Buschmann entgegen der Empfehlung der deutschen Außenministerin nach Tel Aviv. Denn noch hat sich die Bundesregierung auf keine gemeinsame Position gegenüber Netanjahus neuer Regierung verständigt. Zudem hat Israel erst kürzlich weitere Siedlungen im besetzten Westjordanland genehmigt. Außenministerin Annalena Baerbock und ihre Kollegen aus Frankreich, Italien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten teilten in einer gemeinsamen Stellungnahme mit, sie lehnten die jüngsten Schritte zum Siedlungsbau im besetzten Westjordanland "entschieden ab".
Doch diese politische Großwetterlage interessiert Buschmann nicht: Wie es aus dem BMJ heißt, ist ihm sein für Montag und Dienstag vorgesehene Besuch "ein besonderes Anliegen" und zudem seit mehreren Monaten vorbereitet. Die Reise sei ursprünglich bereits für das letzte Jahr geplant gewesen, musste jedoch aufgrund einer Corona-Erkrankung verschoben werden. Der Minister, so eine BMJ-Sprecherin, möchte durch seinen Besuch in Israel einen Beitrag zu Erinnerung und Versöhnung leisten. Buschmann wird daher zunächst die Gedenkstätte Yad Vashem besuchen und im Anschluss die internationale "Rosenburg-Ausstellung" persönlich eröffnen. Die Ausstellung ist ein Teil der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit des BMJ. Die Ergebnisse, so die Ministeriumssprecherin, seien auch heute noch ein wichtiger Beitrag für ein "nie wieder".
Dass Buschmann das Ausstellungs-Programm souverän und mit der angemessenen Haltung herunterspulen wird, gilt als ausgemacht. Spannend dürfte sein, welche Worte er zu dem heiklen Thema Justizreform finden wird – falls er es überhaupt gegenüber seinem israelischen Amtskollegen ansprechen wird. Dass ein liberaler Justizminister und Vertreter einer Bürgerrechtspartei, bislang hierzu öffentlich keinerlei kritischen Worte gefunden hat, überrascht viele. Natürlich: Eine Belehrung Israels durch einen deutschen Justizminister in Sachen Rechtsstaatlichkeit käme in Israel gar nicht gut an, die Atmosphäre rund um seine Visite wäre dann wohl vergiftet.
Buschmann deutete am Sonntag an, das Thema Justizreform nicht auszusparen. "Mit meiner Reise möchte ich meinen Beitrag leisten: für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte, für einen Ausbau unserer Partnerschaft, für die Stärkung des Rechtsstaates und der liberalen #Demokratie.".
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SPD-Vize: "Bedrohungen für den Rechtsstaat offen ansprechen"
Unterdessen hat sich SPD-Vize Gabriela Heinrich, Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag bereits mit moderater Kritik zu Wort gemeldet:
"Israel muss ein demokratischer Rechtsstaat bleiben. Die massiven Demonstrationen und die großflächigen Streiks sind ein deutliches Zeichen, dass die Bürgerinnen und Bürger Israels einen Abbau des Rechtsstaates nicht hinnehmen", so Heinrich am Donnerstag. Die israelische Regierung habe bei ihrem Amtsantritt angekündigt, die Regierung aller in Israel lebender Menschen sein zu wollen. "Dieses Versprechen muss sie jetzt einlösen, auch im Rahmen der angekündigten Justizreform", fordert Heinrich. Die SPD-Politikerin ist davon überzeugt: "Die gegenseitige Wertschätzung gebietet es auch Differenzen offen anzusprechen, wie aktuell in Siedlungsfragen und bei Bedrohungen für den Rechtsstaat.“
BRAK-Präsident fordert "Intervention"
Dass Buschmann die Bedrohungen für den Rechtsstaat offensiv und entschieden im Gespräch mit seinem Amtskollegen Levin ansprechen muss, fordert auch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Dazu schrieb vergangenen Donnerstag der Präsident der Kammer, Dr. Ulrich Wessels, einen Brief an Buschmann. In diesem verleiht der BRAK-Präsident seiner Sorge über die geplante Justizreform Ausdruck und bittet den Bundesjustizminister um "Intervention": "Das israelische Justizsystem, welches unter den demokratisch geordneten Ländern hohes Ansehen genießt, würde durch die umstrittene Justizreform starken Schaden nehmen, schreibt Wessels. "Es erscheint sogar fraglich, ob es in seiner geplanten Fassung überhaupt noch die Voraussetzungen eines rechtsstaatlichen Justizsystems erfüllen würde".
Die Justizreformen würden das Gleichgewicht zwischen Legislative, Exekutive und Judikative radikal verschieben und die Gewaltenteilung in Israel faktisch aufheben. Buschmann soll daher nach Meinung des BRAK-Präsidenten auf Justizminister Yariv Levin und andere Regierungsvertreter einwirken, "und diese dazu zu bewegen, von den Justizreformen Abstand zu nehmen und den Dialog mit den protestierenden Vertretern und Vertreterinnen von Anwaltschaft und Justiz zu suchen".
Sorge bereitet der BRAK auch die israelische Anwaltschaft: Die geplante Neubesetzung und Stimmverteilung des Gremiums zur Richterwahl würde deren bisherige Beteiligung weit zurückdrängen. "Der besondere Status der israelischen Anwaltschaft, die derzeit zwischen der Judikative und Exekutive eine ausgleichende und regulierende Kraft bildet, würde damit verloren gehen", so Wessels.
Volker Beck: "Gewaltenteilung aus dem Gleichgewicht"
Ob Buschmann im Sinne des BRAK-Präsidenten in Israel derart klare Worte finden wird? Buschmann gilt als großer Freund Israels. Der Vorschlag, dort in Sachen Demokratie zu "intervenieren", dürfte ihm schon sprachlich fernliegen. Aber Kritik an der israelischen Justizreform angemessen äußern? Der ehemalige grünen MdB Volker Beck, seit kurzem Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, tut es: "Die Idee, die Urteile des Obersten Gerichtes mit einfacher Knessetmehrheit überstimmen zu können, bringt die Gewaltenteilung aus dem Gleichgewicht und setzt die Politik über das Recht. Das ist eine gefährliche Entwicklung. In der Demokratie ist der mögliche Wechsel der Mehrheit und die Beschränkung der politischen Macht durch das Recht konstitutiv!"
Auch zum geplanten Richterwahlverfahren hat Beck eine Meinung. "Vorschläge, die darauf hinauslaufen, dass sich die jeweilige Mehrheit in der Knesset eine ihr genehme Richterschaft wählen kann, gefährden die Unabhängigkeit der Justiz", so Beck gegenüber LTO. Allerdings, so Beck, stehe Deutschland bei diesem Thema Hybris nicht zu: "Auch bei uns gab es schon Diskussionen über die Beschränkungen der Macht des Bundesverfassungsgerichtes.".
SPD-MdB Heinrich wurde kürzlich gefragt, wie es gelingen könne, gegenüber Israel Kritik zu äußern, ohne dabei belehrend zu wirken: Ihre Antwort: Das bleibe ein Drahtseilakt. In freundschaftlichen Beziehungen gehöre es sich aber auch, kritische Themen offen auszutauschen.
Vielleicht sollte Marco Buschmann in Israel mehr Freundschaft wagen.
Bundesjustizminister reist nach Israel: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51102 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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