Ein als "AGG Hopper" bekannt gewordener Anwalt aus München wurde wegen Betruges verurteilt. Nach 63 Verhandlungstagen. Zu Ende ist die Sache damit nicht.
Achteinhalb Jahre sind seit dem Beginn der Ermittlungen vergangen, 63 Verhandlungstage, über 250 Beweisanträge. Herausgekommen ist: Ein Rechtsanwalt aus München ist schuldig des Betrugs in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit versuchtem Betrug in neun tatmehrheitlichen Fällen. Die Gesamtfreiheitsstrafe ist ein Jahr und vier Monate, sie ist zur Bewährung ausgesetzt. Wie jetzt bekannt wurde, entschied so die Große Strafkammer am Landgericht (LG) München I in der vergangenen Woche (Urt. v. 06.07.2020, Az. 12 KLs 231 Js 139171/12). Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Die Staatsanwaltschaft München I hatte im Jahr 2012 gegen den Rechtsanwalt - und dessen inzwischen ebenfalls verurteilten Bruder - Ermittlungen wegen des Verdachts auf Betrug aufgenommen. Im Dezember 2014 erhoben die Strafverfolger Anklage zum LG München I gegen die beiden Männer. Sie sollen sich auf Jobs beworben haben, ohne diese tatsächlich antreten zu wollen und hätten sich dann über Entschädigungsklagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine Einnahmequelle verschafft.
Ursprünglich war es nach Medienberichten um 25 Fälle gegangen, in denen Unternehmen eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 88.000 Euro gezahlt haben sollen, in 91 weiteren Fällen sollen die Brüder Forderungen von insgesamt 1,7 Millionen Euro erhoben haben, auf die aber nicht gezahlt wurde, so der anfängliche Vorwurf der Staatsanwaltschaft, wie die taz und das Branchenmagazin Juve damals einhellig berichteten.
Das LG München I hatte diese Anklage nicht zugelassen, auf die Beschwerde der Staatsanwaltshaft änderte das Oberlandesgericht München diese Entscheidung und eröffnete die Hauptverhandlung teilweise. Wie viele Fälle diese umfasste, ist nicht bekannt. Fest steht nur, dass es in großem Umfang Teileinstellungen gegeben hat. Alle Personen im Umfeld von Verfahren gegen den angeklagten Anwalt sind zurückhaltend mit der Herausgabe von Informationen – auch, weil der gegenüber Medien und Anwaltskollegen mit Abmahnungen agierte.
Ein einzelner Fürsprecher
Einem Menschen gegenüber tut der Angeklagte das nicht: Dr. Rüdiger Helm. Der Münchner Anwalt, der nicht der Verteidiger des verurteilten Anwaltes ist, gilt unter Arbeitsrechtlern als Kämpfer für Arbeitnehmerrechte - Kämpfer im besten Sinne. Er kann das Strafverfahren gegen den Anwalt nicht nachvollziehen. Der und sein Bruder hatten sich auf Stellenanzeigen beworben, die den Regeln des im Jahr 2006 in Kraft getretenen AGG nicht entsprochen haben und in der Folge hatte der Anwalt sowohl für sich selbst als auch für seinen Bruder Entschädigungszahlungen wegen Diskriminierung geltend gemacht.
"Von der einst großen Zahl an Vorhalten blieben auch aus Sicht der Anklage nur drei vollendete und neun versuchte Fälle relevant", sagt Helm. Der Vorwurf sei nach seiner Beobachtung wohl, dass es an der subjektiven Ernsthaftigkeit gefehlt habe, die Stellen auch anzutreten. Diese sogenannte subjektive Ernsthaftigkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum AGG aber eine Rechtsfrage – und gehöre damit nicht zu Tatsachen, über die nach seinem Verständnis strafrechtlich relevant getäuscht werden könnte.
Zwar fallen nach dem strafrechtlichen Tatsachenbegriff auch die inneren, geistigen oder seelischen Zustände unter die Definition – ganz klassisch etwa die Zahlungswilligkeit eines Menschen. Doch für all das sei bei einer AGG-Klage kein Raum. Dem Anklagten werde vorgeworden, dass Entschädigungen von Unternehmen gefordert habe, die AGG-widrige Stellenanzeigen geschaltet und so Menschen diskriminiert hätten, erklärt Helm. Was aber arbeitsrechtlich zulässig und - wie vom EuGH bestätigt - nicht rechtsmissbräuchlich sei, könne doch nicht strafrechtlich zu einer Verurteilung führen, meint der Arbeitsrechtler. Denn der EuGH verlange eine mehrstufige Missbrauchsprüfung. Dem habe sich das BAG angeschlossen. "Die Rechtsfrage der subjektiven Ernsthaftigkeit ist von den Fachgerichten bzw. dem EuGH bereits geklärt", sagt Helm.
Rechtsmissbrauch muss bewiesen werden
Tatsächlich ging die Frage nach der notwendigen Ernsthaftigkeit einer Bewerbung in der Arbeitsgerichtsbarkeit bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Und auch in diesem Verfahren ging es um den Münchner Anwalt. Um ein Ergebnis vorweg zu nehmen: Der hat schließlich auf eine AGG-Klage von einem Versicherer 14.000 Euro Entschädigung erhalten (Landesarbeitsgericht Hessen, Urt. v. 18.06.2018, Az. 7 Sa 851/17).
Bis es dazu kam, hat es lange gedauert: Das Arbeitsgericht (ArbG) Hessen hatte die Klage abgewiesen (Urt. v. 20.01.2011, Az. 5 CA 2491/09), das LAG Hessen blieb bei der Entscheidung (Urt. v. 16.01.2012; Az. 7 Sa 615/11). Das BAG aber hat die Entscheidung aufgehoben und zurückverwiesen (BAG, Urt. v. 23.08.2012, Az. 8 AzN 711/12). Das LAG blieb bei der Klageabweisung, es ging erneut zum BAG, das setzte aus und legte den Fall dem EuGH vor (Beschl. v. 18.06.2015, Az. 8 AZR 848/13).
Der EuGH entschied dann, dass eine nicht ernst gemeinte Bewerbung nicht von den EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinien (RL 2000/78 und 2006/54) geschützt ist (Urt. v. 28.07.2016, Az. C-423/15) – und damit auch nicht von den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das BAG hob die klageabweisende Entscheidung des LAG Hessen trotzdem auf (Urt. v. 26.1.2017, Az. 8 AZR 848/13): Für einen Rechtsmissbrauch, der den Entschädigungsanspruch hätte vernichten können, trägt derjenige die Beweislast, der den Einwand des Rechtsmissbrauchs geltend macht. Und der Beweis ist gar nicht so leicht zu erbringen, was nach dem AGG auch so sein soll. Allein eine Vielzahl von Bewerbungen oder eine Einladung zum Bewerbungsgespräch nicht anzunehmen, reicht auf jeden Fall nicht, urteilte das BAG. Ebenso wenig, dass ein Bewerber viele Bewerbungen schreibt und viele AGG-Klagen führt. Das zeige erst mal nur, dass er seine Rechte nach dem Gesetz wahrnehme, so die Richter in Erfurt.
"Mit dieser Rechtsprechung des EuGH und des BAG hat sich die Strafkammer offenbar überhaupt nicht auseinander gesetzt", sagt Anwalt Helm. So ist zumindest sein derzeitiger Kenntnisstand, die Urteilsgründe liegen noch nicht vor.
Vielleicht wird das Revisionsgericht das tun, das als nächstes mit der Anklage befasst sein wird: "Was jetzt hier vorm Landgericht München I passiert ist, ist eine Kriminalisierung von Menschen, die sich gegen Diskriminierung zur Wehr setzen", sagt der verurteilte Anwalt, selbst Fachanwalt für Arbeitsrecht, gegenüber LTO. Er und auch sein Bruder haben den Rechtsbehelf daher bereits eingelegt.
LG München I verurteilt Münchner Anwalt: . In: Legal Tribune Online, 17.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42235 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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